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QAMPBELL COLLECTION

ALTPREUSSISCHE STUDIEN

ALTPREÜSSISCHE STUDIEN

Beiträge zur ballisclicn und zur vergleichenden indogermanischen Grammatik

VON

Dr. N. van WIJK /<S^g9 - /^-/ '

ord. Professor an der Universität Leiden

HAAG

MARTINUS NIJHOFF

1918

Dem Andenken

AUGUST LESKIENS

gewidmet

Digitized by the Internet Archive

in 2011 with funding from

University of Toronto

http://www.archive.org/details/altpreussichestuOOwijk

INHALT.

VII

Zur Einführung S. 1 4.

(S. 1 f.: Abel Will als üebersetzer).

Kapitel I: Urbaltisches e im Samländischen . S. 5 41, (S. 5 9 : Die Berneker-Fortunatovsche Regel und ihre Bekämpfung durch Hirt und Bezzenberger, S. 9 f. : nicht-auslaut. e > i, S. 10 24: auslaut. -e haupttonig > -e, sonst > -i, S. 11 13: semme, aulause, S. 13 23 Verbalformen auf -e^ -e, -/, S.19 22 bille: hillä, S. 22 f.: Ue, bei, hei, S.23 ^/f^, S. 24 : ö in II und I, S. 24— 39 -en>-ien, S. 25 28: mien,üen,sien S. 29f. : Akkus, auf -i^?z, -i7i, -ian, -en in II und I, S. 30—39 : im Enchiri- dion : S. 31 f. : ^-Stämme, S. 32 : i- und ^//^-Stämme, S. 33 f. : bestimmte Ad- jektive, S. 34—36: /^-Stämme, S. 36 : Adjektive und Partizipien, S. 36 39: verschiedene Formen auf -in, -ien, S. 39 41 : piencts, etwierpt usw., S. 41 : Genit. teisis, gljwis.)

Kapitel II: Zur samländischen Entwicklung

des baltischen u S. 42 47.

(S. 42 : Bezzenbergers Regel, S. 43—45: zu derselben stimmen nicht mukint^ lymuczt, enkopts,' S. 44 f. : enhopis : lit. kopti, S. 45 47: pirmonnis, -onnum, -annien.)

VIII

Kapitel III: Zur samländischen Vertretung

des baltischen ö S. 48 54.

(S. 48 : tickröma-, perunin, -?ii, S. 49 53 : dät, na : no, pra : pro, S. 53 : Ver- gleicliung mit dem Litauischen; pr. a : 0, lit. o: ff, S. 53 f. : auslaut. -ö.)

Kapitel IV: Samländische Flexionsformen auf -n und -ai und das Problem vom

preussischen /' S. 55 ß(j.

(8. 55 : Die Ansichten Trautmanns und Solmsens iiber -ei (-e, -i) und -ai, S. 56 59 : teunei, -twei, mennei usw., nautei und mattel, maisei usw., S. 58 : siipsai, S. 59: Formationen auf -öi,

S. 59 62 : vnsel : -ai, housei : -ai, assei: -ai, 2. P. P. auf -tei, -tai, N. P. Adj. auf -ei: -ai, S. 61: 2. P. P. auf -ii, S. 62—66: Bezzen- bergers und Mikkolas Annahme eines pr. c ist weder fürs Saml. noch fürs Poines. plausibel.)

Kapitel V: Zum Genitiv Singular der alt-

preussischen Nomina S. 67 80.

(S. 67 71 : der fem. Gen. auf -as hat kurzes, unbetontes a, S. ^% 70: ebenso der fem. Akk. auf -an, S. 71 75: ebenso die Genitivendung sämtlicher Flexionsklassen ; \w\.Ykerwe- ues kann Endbetonung gehabt haben,

S. 74 : soimons, S. 75 f. : Gen. und Akk. Sg., S. 76 78 : deiums (idg. -oso) u. dgl. bildeten den Ausgangspunkt des uniformen Genitivtypus, S. 78 80 : powaisennis, iioseilis,gijicis, teisis, nierties', i aus ie.)

IX

Kapitel VI: Die samländischeii Instrumental-

und Dativformen S. 81 98.

(S. 81 85 : im Altpreuss. existierte der nominale Instrum. nicht mehr als besondere Kategorie, S. 85 87: sparüsku,piruy siesmu sind Instrumental- formen, S. 87 90: Bestreitung ab- weichender Ansichten, S. 89 f.: zemait. -?7, -oic, S. 91 f. : sie, ku, lit. hU^

S. 92 : sivaids^ S. 92 f.: mäim, rnaim^

S. 93—98: Dativformen,— S. 94 f.: stessiei, stessies] idg. .vy im Saml.,

96 98 : pergimie^ klrki^ klauslwenikl^ preisiki^ S. 97 f.: die Nomina auf -lks.)

Kapitel VII: Der Nominativ Plural der alt-

preussischen öj- Stämme S. 99—108.

(S. 99: das Problem von lit. vilkai, S. 99 103: Trautmann, Solmsen, En- dzelin, Meillet iiber apr. -al , S. 101 I.: der iypus tot ^mu tuf/si, fe. 103 105 : Plurale auf -o, -aij, -oij im Elb. Vok., S. 105 f. : saml. -ai und malnijkikiij S. 106 108 : apr. -ai keine Neutralendung, lit. -ai wohl auch nicht.)

Kapitel VIII: Altpreuss. stas und tans, täns . S. 109 126. (S. 109 115 : stai nicht mit lit. sztdb von "^kto- oder "^kito-, sondern aus "^^so- X Ho-, S. 112— 114: -^.?, lit. ^'r)* kaum urbaltoslav. ; Fortunatov über abg. pitü^ nesetil, S. 115 121 : tmis, tennä usw. aus einem suppletiven Paradigma ^anas: "^tejta-, S. 116 118: lit. a?ias: /o, S. 119 121 : te?iudi, clei, *^i, S. 121 126: lit. aui/s: a^c.)

Kapitel IX: Das altpreussische Modussystem S. 127 132. (S. 127 130: das Apreuss. besass keinen modus injunctivus, S. 130 132: Bernekers Einteilung der Modi und die Einteilungsprinzipe von Bezzen- berger und Trantmann.)

Kapitel X: Die 1. Person Plural auf -^Ma^ und

der Stammesauslaut des Indikativs. S. 133 150. (S. 133: turrilwiai^ S. 133 135: emcac- helmai^ 'icaidleimai^ S. 135 137: For- men auf -;;zai, -aniai, -umai, -ämai^ -nmai, -ema'i^ -ammai, -emmai, -i?nai, S. 137 139: -emmai, -arnnial und -m«i in the- mat. Präsentia, S. 139: pr. Akzent- verschiebung, — S. 139 145:-/wai, bei ai\ ?>Stämmen altererbt, drang bei Proparoxytonesis in andere Präsentia ein : iinmlinai^ -sinnimai (S. 143 f.), 7i- Präsentia (S. 144 f.), S. 145f.: 3. Ps. Sg. Präs. auf -ai^ S. 146: ettrüi u. dgl., S. 1 46 150 : das apr. Prä- teritum, speziell dasjenige auf -ai.)

Bemerkungen ^) S. i xxxii.

(Längere oder wichtigere Bemerkungen: 10: Endzelin iiber seuune, 20: Sy- stemlosigkeit von Wills Akzentbe- zeichnungen, — 21 und 175: Impe- rative auf -w, -Uei, -iti, 30: tit, tijt, üi^ 31 : Diphthongierung von ;:, 32: krairia, -an, 39 und 41: die Nominativendung -ei^ 46: mask.

1) Die Bemerkungen waren als Fussr.oten geschrieben. Aus typo- graphischen Rücksichten erscheinen sie nicht unter, sondern hinter dem Texte.

XI

und neutr. pronominale Genitive auf -es, 48 : sündin, -is, wadlin, 56 : asmus, 64: proklit. Kürzung im Lit. und Lett., 71, 78, 89: lit. c, —74 f. : supsas, suhbai, siihhan ; die apr. Ueber- setzung von „eigen", 11 : per g eis, dellieis, isrankit usw., 81 : sähiifiei, iülninai, iurel, 82: -ti,-ti/, -assiy-asi,

94: baltoslav. -am-, gr. ^e&v, got. giba, 95: daeczt, siaey, pallapsaey, 96: Akkus, auf -nn, 100 : mutmassliche nomin. Genitive auf -al, 104: Be- tonung von Jcermenes, 105 : urbalt. Betonung des Akk. Sg., 101 \ rey- kyen, iawlscht7i, 123* lit. M, 124: -ilgimai, ilgim,i, -desnammi, -desnimma, 137 : devdi hat die Betonung der alten Oxytona, 139: Meillet über.s«^ß,

147: ö«^/a?^ ein saml. Neutrum? 149, 160: lit. -e, apr. stai, 163: tanassen, -cEsseu, 168 : ane, ane im preuss.-Nordlit., 170: lit. dial. jojamis, noredamis^ 171: dnis, dwis USW. bei Dauksza, 179: gemischter Modusgebrauch, 180, 181 : em und emm, 187 : lit. butü, stojos usw., 197: lett. fmim, fmit, finis, 198: idg. -nä-'.-nd- und -na(i)- : -ni- im Aind., Gr., Balt., 202: die Verba auf ht. -inü, 203: die apr. 1. Ps. Sg., 204: 3. Ps. auf -ei und -e, 205: Schwund von ausl. Vokalen.)

ZUR EINFUHRUNG.

In den letzten Monaten des Jahres 1916 las ich mit einigen Studenten das altpreussische Enchiridion Abel Wills. Diese Uebungen veranlassten mich, mich eingehend mit den Problemen der altpreussischen Laut- und Flexions- lehre zu beschäftigen. Jeder, der je Altpreussisch studiert hat, wird verstehen, dass dabei manche neue Hypothese bei mir aufkam, und dass ich oft die Meinungen meiner Vorgänger als nicht genügend begründet ablehnen musste. Die altpreussischen Texte und das sonst überlieferte Material geben uns nämlich ein so unvollständiges und so unklares Bild der altpreussischen Sprache, dass wir sehr oft über Ver- mutungen nicht hinauskommen. Jeder neue Untersucher wird etwas Neues finden; eine endgültige Lösung aller grammatischen Probleme wird aber noch lange zu den pia Vota gehören.

Die Ergebnisse meiner Untersuchungen bilden den Inhalt dieses Buches. In einigen Kapiteln gebe ich ganz neue Deutungen und Hypothesen (z. B. im 1. und 8. Kapitel), in andern vervollständige und korrigiere ich die Forschungen anderer (z. B. im 4. Kapitel) ; die Kapitel 2 und 3 führten mich bloss zu dem negativen Ergebnisse, dass die bisher für die samländische Vertretung von ä und ö aufgestellten Regeln nicht ganz richtig sind.

Sehr oft wird die Beurteilung des vorliegenden Materials dadurch erschwert, dass wir nicht wissen, ob eine Form oder Satzkonstruktion des Enchiridions der samländischen Spra- che, so wie sie im 16. Jahrhundert gesprochen wurde, angehört hat, oder aber vom Uebersetzer Abel Will in Abweichung vom Sprachgebrauche verwendet worden ist. Dasselbe gilt für den 1. Katechismus und in geringerem

1

Masse auch für den zweiten. Ueber die Sprachkenntnisse Abel Wills ist viel gestritten; dass seine Uebersetzung im Allgemeinen gut genannt werden kann, das haben sehr wenige Forscher geglaubt. Am meisten wird dieselbe von Ed. Hermann Kuhns Zeitschrift 47, 147 ff. gelobt. Bezzen- berger und Trautmann, die Will den Angriffen anderer Forscher gegenüber in den Schutz genommen haben, gehen ganz richtig von dem Standpunkte aus, dass man nicht bloss auf die schlechten, sondern auch auf die guten Qualitäten der Arbeit achten soll; dass die Uebersetzung in vielen Punkten in schlechtem Altpreussisch abgefasst ist, das leugnen sie nicht. Ich halte es nicht für nötig, ausführlich auf diese Frage einzugehen ; denn, ob wir den Text für etwas besser oder etwas schlechter halten, auf jeden Fall müssen wir denselben, so wie er überliefert ist, zugrunde- legen; und keiner Theorie zuliebe dürfen wir Ueberset- zungs- oder Druckfehler annehmen.

Nun liegen aber an mancher Stelle solche Fehler zwei- fellos vor; die Schwierigkeit liegt also darin, in jedem einzelnen Falle zwischen Sicherheit und Vermutung zu unterscheiden. Ich glaube so vorsichtig gewesen su sein wie nur möglich ist und den Text nicht unnötigerweise vergewaltigt zu haben. Eins dürfte feststehen : dass Will im Allgemeinen wörtlich übersetzt hat. Dieser Umstand macht es leider in vielen Fällen unmöglich auszumachen, ob ein Germanismus vom Uebersetzer herrührt oder in der preussischen Sprache des 16. Jhs. wirklich bestanden hat. Auf jeden Fall ist Will kein Uebersetzer des ersten Ranges gewesen. Seine Aufgabe war allerdings sehr schwer; aber war diejenige Kyrills soviel leichter? Mit dessen Ueber- setzungstechnik lässt diejenige Abel Wills sich absolut nicht vergleichen.

Bekanntlich gehören die Sprachdenkmäler des Altpreussi- schen verschiedenen Mundarten an. Ausser Grünaus Ver- zeichnis von Wörtern und den in verschiedenen Quellen überlieferten Eigennamen und sonstigen Vokabeln besitzen

wir das Elbinger Vokabular, dessen Dialekt gewohnlich pomesanisch genannt wird, und die drei Katechismen, die in drei sehr wenig voneinander abweichenden Lokalmund- arten des Samlandes geschrieben sind. Das Elbinger Voka- bular enthält keine Sätze, sondern einfach Wörter, so dass wir von der Morphologie und Syntax des Pomesanischen ungefähr nichts wissen. So oft ich in dieser Schrift auf morphologische und syntaktische Probleme eingehe und nicht ausdrücklich auch pomesanische Formen zitiere, gelten meine Bemerkungen bloss für den samländischen Dialekt.

Stellen aus den Katechismen von 1545 und aus Wills Enchiridion zitiere ich nach Trautmanns Ausgabe. Die Zahlen beziehen sich auf die Seiten und Zeilen derselben. Die ersten Dezennien wird diese Edition wohl allgemein von den Forschern benutzt werden ; ich wüsste nicht, wie man die altpreussischen Texte besser und sorgfältiger her- ausgeben könnte.

Bernekers Dissertation, „Die preussische Sprache", Strass- burg 1896, und Trautmanns Buch „Die altpreussischen Sprachdenkmäler'', Göttingen 1910, welche ich natürlich sehr oft zitiere, deute ich gewöhnlich einfach durch die Namen der Verfasser an; was die übrige Literatur anbe- trifft, die ich anführe, so gebrauche ich so wenig wie möglich Abkürzungen ; auf diese Weise wurde ein Litera- turverzeichnis überflüssig.

Ueber einige Einzelfragen korrespondierte ich mit den Professoren A. Bezzenberger und 1. M. Endzelin. Beide gaben mir aufs liebenswürdigste die Auskunft, die ich wünschte. Bezzenberger schickte mir sogar sein eigenes Handexemplar seines Aufsatzes aus der Festschrift für Ernst Kuhn zu, w^elche, soviel mir bekannt, in Holland nicht vorhanden ist. Endzelin konnte mir leider wegen eines Ausfuhrverbotes von Büchern das für mich bestimmte Exemplar seiner „Latysskie predlogi" nicht zeitig zusenden, so dass ich dieses Buch bei meiner Arbeit nicht benutzen konnte. Das einzige Mal, wo ich es zitiere, tue ich das

nach Zubaty's ausführlicher Besprechung im 22. Bande des Anzeigers für indogermanische Sprach- und Altertums- kunde. Ich bedauere, dass Endzelins Lettische Grammatik noch nicht erschienen ist. Selber habe ich von der letti- schen Sprache nur sehr oberflächliche Kenntnisse, und die wissenschaftliche Literatur ist grösstenteils veraltet Ich fühle mich daher den Problemen der lettischen Sprache gegenüber, sogar manchem Einzelworte gegenüber, auf unfestem Boden. Glücklicherweise brauchte ich für diese Arbeit verhältnismässig wenig auf lettische Probleme ein- zugehen.

Mein herzlicher Dank gebührt an erster Stelle den Pro- fessoren Bezzenberger und Endzelin für so manche Unter- stützung und Auskunft, weiter allen, die auf irgend eine Weise am Zustandekommen dieser Arbeit mitgewirkt haben. Zu besonderm Danke bin ich dem Herrn Verleger verpflichtet, der trotz der schweren Zeitverhältnisse die Herausgabe dieser für einen kleinen Kreis von Lesern bestimmten Schrift auf die uneigennützigste Weise über- nehmen wollte.

Leiden, 28 April 1917. N. VAN WIJK.

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KAPITEL I.

Urbaltisches e im Samländischen.

Berneker Die preussische Sprache 136 ff. und Fortunatov Bezzenbergers Beiträge 22, 177 ff. haben die Hypothese aufgestellt, dass akutiertes e im preussischen Enchiridion als i, zirkumfiektiertes e aber als e auftrete. Berneker for- mulierte die Regel folgenderweise: „Geschleift betontes e bleibt e, gestossen betontes e geht in i über" (S. 138), Fortunatov drückte sich präziser und weniger kurz aus: . . . . dass aus altem langem e mit dem preussischen accent, dem litauische fallende betonung entspricht, d. h. mit preussischem steigendem accent, hier l {y) hervorge- gangen ist , während altes e unter anderem accent,

der litauischer steigender betonung entspricht, d. h. unter preussischem fallendem accent, als e bewahrt geblieben ist*' (S. 177). Angesichts des unleugbaren Tonbewegungs- unterschiedes zwischen den preussischen und den ihnen genetisch entsprechenden litauischen Intonationen vermeide ich lieber die Wörter „steigend" und „fallend". Die Wör- ter „akutiert" und „zirkumflektiert" sind weniger zwei- deutig ').

Gegen Berneker wandte sich Hirt Indogerm. Forsch. 10, 37 f. mit einigen kurzen Bemerkungen; einer eingehen- deren Kritik wurde die Berneker-Fortunatovsche Regel von Bezzenberger Kuhns Zeitschrift 41, 76 f. unterzogen; ihm hat sich dann Trautmann Die altpreussischen Sprachdenk- mäler 120 f. angeschlossen.

Berneker stützt sich auf folgendes Material.

Akutiertes urbaltisches e soll vorliegen in: ist „essen"

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(lit. esti)y idis „Speise" {„edis „Frass" bei Kurschat in Klammern, also hat man keine Gewähr für die Richtigkeit des ~ "), sidaus „sitzend" (lit. sedw.i usw.), senditaus „gefaltet" (lit. deti), sicirins „Tiere" (lit. zveri)^ gidan „Schande", nigidings „schandbar" (lit. geda), eltviriu?is „ge- öffnet" (lit. veriau), mlllnan „Fleck" (Ut. melijnas), iurrit „haben", viilijt „lieben" usw. samt Ableitungen von Ver- balwurzeln auf -e- wie aöserglsHa?i „Schutz^^ 2veldisna?i „YiThe'\ epwarrisnan „Sieg" (lit. tur'eti^ imjl'eti usw.), lisuus (mit semmai) „niedergefahren", Ilse „kriecht" (lett. lefchat mit gedehntem Tone, abg. lez([. Der Akut des slavischen Zeit- wortes wird durch russ. le'zu, serb. u-ljezem erwiesen), spigsnä, Akk. spigsnmi „Bad" („steht im Ablaut mit spagtan „Bad", wird also e haben"), kisman „Zeit" (abg. cam\ dieses Wort wird trotz des cech. aas wohl akutiertes a haben : vgl. serb. cas, sloven. cas), pist, pidimal ,, tragen" (vgl. püdaiius „getragen habend" ; pid- soll sich zu püda- verhalten wie lit. gl'ch-ü zu glohö-ti) 2). Diesen Wörtern mit l, denen sich noch einige Lehnwörter ^) anschliessen, welche natür- lich für die Feststellung der ur baltischen Intonation von Silben mit preussischem i ohne Belang sind, stehen fol- gende Wörter mit e gegenüber, für welchen Vokal Ber- neker alten Zirkumflexus annimmt: se^nme „Erde" (vgl. lit. clukie^ naszle^ pele), packe „Friede", trenien „Drohung" („eine Bildung wie lett. meris „Pest, Sterben" zu mirV^), ivedde „führte" (lit. vede^ mit geschleiftem, wenn auch nichthaupttonigem e), ismige „entschlief" (eine Forma- tion wie wedde), die zahlreichen Präsentia vom Typus mile „liebt", auschaude „vertraut", sie „desto" (nach Ber- nekers Ansicht ein Ablativ auf idg. -ed). Für stinons „ge- litten habend" und llmauts „brachs" nimmt Berneker altes l an (vgl. Yxi.gyniau^ ^/ntz?^), während .9/"mM „Herz" akutiertes e haben soll: der Akzent von gr. y^i^ „Herz" sei nicht sicher, und wenn er richtig ist, so könne er sekundären Ursprunges sein. '*) Bloss für eine Kategorie von Wörtern nimmt Berneker Uebergang von zirkumflektiertem e in l

an, und zwar für diejenigen Formen, wo dieses p, im un- betonten Auslaute steht: wMi „Mutter", srnnni „Person" u. dgl.; pertraüki *) „verschloss". Dass in diesen Fällen ? zu i geworden ist, daran wird wohl niemand zweifeln. Von den von ßerneker in diesem Zusammenhang genannten Ak- kusativen auf -m {^ihütin^ peröum^ teisiny warln^ giwin) und Genitiven auf -is {leisls, gijwls) wird weiter unten die Rede sein.

Fortunatov verweist aaO. 177 auf S. 155 ff. seines Auf- satzes, wo mehrere Wörter mit i aus akutiertem e ver- zeichnet sind : gulan^ gldiugs^ stvirins^ giwii^ kabinns^ kirdit, 'Uwel, milijt, titrlt turritwei\ e aus zirkumflektiertem ^ soll in semnie und in Präsens- und Präteritumformen vom Typus mile, loedde vorliegen. Fortunatov führt eine grössere Anzahl solcher Formen an als Berneker, und zwar: Inlle^ hiUemai'^ bilde '^ derge\ klausemai\ mile] ismige] aupaickemai] rjuoite, quoiieti] auschaude] sege, seggesai, -emai] paskule^ paskolle] stalle, -eniai^ -eti\ enwacke, -emai\ toarge] toedde; hierher könne auch Ute „war" gehören („das druckfehler ist anstatt be, wo das über dem e ausgelassen ist"). In einer Fussnote (S. 178) werden noch einige «^r«^ Isyo^sva mit e aufgezählt: aulause „die tote" „wo e vielleicht gleichartig mit dem e in semme ist" , weiter trenieu „das Drohen" und etwere „du öffnest", zu denen Fortunatov weiter nichts bemerkt, und schliesslich „das entlehnte toerawi ^) „währet"."

Eins geht aus dem von Berneker und Fortunatov mit- geteilten Material mit Sicherheit hervor : dass in sehr vielen Fällen urbaltisches <2 im Preussischen als i auftritt. Und weiter dürfte feststehen, dass in der Mehrzahl dieser Fälle das baltische e den Akut trug. Akutierte Intonation werden wir ohne jeden Zweifel annehmen dürfen für: ist'^ sidaus] sendita7is\ swirins'^ gidan^ nlgidmgs] millnan\ llsuns, Ilse, und für die Verbalendungen -it usw., wozu sich das -Isnan der Verbalnomina gesellt. Auch für kisman ist Akutus wahr- scheinlicher als Zirkumflexus ; vollständige Sicherheit haben wir aber nicht.

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Die übrigen Wörter geben zu einigen Bemerkungen Anlass. Etwiriuns wird kaum hierher gehören; s. Bezzen- berger KZ. 41, 93 Fussnote. Auch ^;?;'.y?f,^ir/i?/zae haben viel- leicht kein altes e; s. Bezzenberger BB. 23, 300. Und wenn sie e haben sollten, so lässt sich keine Akutierung nach- weisen, weil keine sicheren Verwandten mit e vorhanden sind. Stinons und limauts können, wie Berneker bereits vermutete, altes i haben und wie lit. gyniau^ gyriau u. dgl. aufgefasst werden, deren y (d. h. l) in dem Falle auf be- reits urbaltischer Analogiebildung beruhen würde "); weil aber die Wurzeln alten e-Vokalismus haben (vgl. apr. lemlai, lit. leniü] lit. ste?iu), halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass sie die alte Dehnstufe e haben ; sie würden sich dann zu den Infinitiven '^sii?d {wovon sti?iseu7ilen „Leiden"), l'mtvx'ij, -ei verhalten wie lit. eme zu imti. In diesem Falle wäre für limauts alter Akutus am wahrscheinlichsten (vgl. lit. lerne) ; ob aber stinons dieselbe Intonation haben würde wie lerne oder aber diejenige von eme ^), das wäre kaum aus- zumachen. Alten Akut würden wir dann annehmen dürfen, wenn alle übrigen Beispiele zu der Berneker-Fortunatovschen Regel stimmten. Das ist aber nicht der Fall.

Gegen die Regel haben sich, wie schon bemerkt wurde, Hirt Indogerm. Forsch 10, 37 f. und Bezzenberger KZ. 41, 76 ausgesprochen. Hirt geht auf die Formen mit alt- preussischem l nicht näher ein, Bezzenberger aber hat darauf hingewiesen, dass einige derselben nicht zu der Regel stimmen, und zwar spigs7iä, Akkus, spigsnau und idis.

Was spigsna ( : spigsnau) anbetrifft, hier erklärt Bezzen- berger die Endbetonung nach dem Gesetze De Saussures, indem er lit. lepsna (: Akk. IBpsnq) zur Vergleichung her- anzieht. Nun stehen freilich diese Wörter nicht ganz auf einer Linie : denn das e von lepsna geht auf einen urbaltischen Diphthong zurück, der deshalb Zirkumflexus gehabt haben wird, weil er einem indogermanischen Kurzdiphthong ent- spricht, das i von apr. spigsnau ist aber ein ursprünglicher Monophthong. Trotzdem wird Bezzenberger recht haben.

Denn angesichts der von ihm ebenfalls zitierten Wörter vom Typus billisna, salübsna ist für Substantive auf -ma Flexion nach dem Akzentschema von lit. galva : gdlvq kaum annehmbar. Wenn aber apr. spigsnä keine Form wie galva ist, so muss es seine Oxytonierung durch das De Saussu- resche Gesetz bekommen haben, und dann muss das^'Zir- kumflexus haben. Noch einwandfreier ist die Annahme von Zirkumflexus bei idis (Ix; Akk. idm 1 x , daneben i^/iw 1 x ) : durch lit. valgisy kandis u. dgl. wird, wie Bezzenberger richtig bemerkt, diese Intonation sichergestellt.

Man könnte freilich die Hypothese aufstellen, dass idis einen sekundären, durch ist und andere Verbalformen, eventuell auch durch das Substantivum ^ida, idai „Essen" (— lit. eda) hervorgerufenen Akut habe. Zu solchen voll- ständig in der Luft schwebenden Hypothesen darf man aber bloss dann seine Zuflucht nehmen, wenn keine andern Wege offenstehen. Nun gibt es aber im vorliegenden Falle einen einfacheren Weg, den vorliegenden Tatsachen gerecht zu werden : wir dürfen das Lautgesetz aufstellen, dass jedes nicht auslautende e im Dialekte des Enchiri- dions zu i geworden ist. Diejenigen Formen, die für ein solches Lautgesetz ins Feld geführt werden können, wurden schon besprochen; gegen dasselbe könnte man höchstens weraui „währet", etwere „tust auf", trenieri „Drohen" anführen. JVeraui ist aber ein Lehnwort, und zwar ver- mutlich ein junges Lehnwort, etwere übersetzt an der einzigen Stelle, wo es vorkommt, das deutsche „thustauff", es ist also eine Präsensform ; im Präsens ist aber der lange Vokal absolut unverständlich, so dass wir wohl annehmen müssen, dass die Form verfehlt ist. Es bleibt also nur das einmal vorkommende Substantiv trmien „Drohen" übrig. Es gehört wohl mit trinie „droht" zur selben Basis tren-^ treU-, die in lit. trlnu, trmti „reiben" vorliegt; mehr For- men verzeichnet Leskien Der Ablaut der Wurzelsilben im Litauischen 352 [90]. Es könnte nun der Gedanke auf- kommen, dass trenleu zur von Leskien Die Bildung der

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Nomina im Lit. 270 [120] f. besprochenen Klasse von lit. gell (: rjelia^ ^^'^^^), ^^zl (^ vezli, vezti) usw. gehöre und ^ aus urbaltischem f" habe. Weil aber trpulen das einzige Wort mit nicht auslautendem e aus urbaltischem ^ wäre, möchte ich es lieber für einen Fehler halten. Das Zeugnis von spigsnan und yl],s^ idin wiegt m. E. schwerer als dasjenige des an. /ey. trmieu. Sollte das Wort richtig überliefert sein, so werden wir das ^ eher einem uns unbekannten Umstände zuschreiben müssen, welcher das Wort zu einer Ausnahme von unserer Regel machte, als die Regel selber wegen dieses einen Wortes aufgeben.

Was das nicht-auslautende baltische <^ anbetrifft, geheich also mit Bezzenberger zusammen. In der Beurteilung des Auslautes aber weiche ich von ihm ab, indem ich annehme, dass unbetontes e zu i geworden, haupttoniges e aber e geblieben ist.

Dass unbetontes -^' zu -i geworden ist, hat Berneker bereits konstatiert; s. oben S. 6 f., und vgl. auch Bezzen- berger KZ. 41, 77 f., wo die im Enchiridion vorkommenden Nominative auf -i aufgezählt werden. Diese Endung trägt, wie Bezzenberger selber hervorhebt, nie das Längezeichen. Es fragt sich nun : wie sind die Kategorien von semme., mile^ wedde und die Formen bhe „war" und ste „desto" aufzufassen?

Hirt Idg. Forsch. 10, 37 f. bemerkt, dass die regelmässige Fortsetzung des idg. e lit. e sei, während es für e kein litauisch-slavisches Beispiel gebe. Im Anschluss an diese Bemerkung bekämpft Hirt die Bernekersche Regel, indem er sagt: „Es ist daher im Preussischen auch nur i zu er- warten. Die Fälle für e sind denn auch sehr unsicher. Preuss. semme = lit. zemSy wedde „führte" = lit. vede dürften nicht mit angeführt werden, da e im Auslaut stand, un- betontes e im Auslaut aber in i übergeht, auch wenn es den Schleifton hatte, preuss. müti^ lit. mote, usw. Es bleibt also nur trmieu Akk. „Drohung" übrig", usw. Wie ist das zu verstehen ? Meint Hirt, dass betontes -e zu altpreuss. -e geworden ist? In dem Falle sind wir einig. Oder glaubt er,

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dass sew,me, wedde wegen ihrer Oxytoiiiernng nicht naitden litauischen Paroxytonis zewe^ vede identisch sein können?

Einer solchen Ansicht könnte ich nicht beitreten. Was apr. semme\ lit. zeme anbetrifft, Ng\.\\i. mute uohQW w öle. Vv\^ auch endbetonte Verbalfornien auf -^(/) wären im Preussi- schen wenig auffällig; denn diese Sprache besitzt ja auch, im Gegensatz zum Litauischen, endbetonte Formen auf -ä{t): niaitä „nährt", ebsgna^ 1. ebslgnä „segneV\ por/ lad ä „herzte", dwigMü „zweifelt" ^).

Ausführlicher und deutlicher als Hirt hat Bezzenberger sich über die altpreussischen Formen auf -^ausgesprochen. KZ. 41, 78 f. bespricht er semme. Das von Berneker 138 zusammen mit semme genannte packe „Friede" lässt er weg, und darin hat er recht; denn das Längezeichen über dem ^ beruht auf einem Irrtum Bernekers (s. Trautmanns Ausgabe 37, 16 = Berneker 43, 27; weiter Bezzenberger aaO. 77). Ob das einmal vorkommende packe in packe oder /;a6'/:i oder in noch etwas anderes zu bessern ist, lässt sich nicht ent- scheiden. Der Zusammenhang, in welchem das Wort vor- kommt, lässt uns einen Akkusativ erwarten; wie würde der aber lauten? An andern Stellen des Enchir. kommen die Akkusative packaien, packan, packuu vor, ausserdem der Dativ packai in senpackai „sicher".

Semme kommt einmal vor, und zwar in dem Satze heggi tou asse sermne „Denn du bist Erde" (65, 33). Bezzenberger fasst hier " als Zeichen für n auf, und in semmxn erblickt er einen Instrumental, wobei er auf den Gebrauch dieses Kasus im Litauischen hinweist (altlit. ins dieicals este, gaiwa moierlstes ira wiras usw.). Nun wäre allerdings ^ für 6^/^ nicht absolut unmöglich obgleich dergleichen Fälle sehr selten sind; s. Bezzenberger BB. 23, 288 , und im Litauischen würde ein Instrumental in diesem Satze nicht besonders auffallen; aber im Preussischen lässt sich der Instrumental, abgesehen von einigen Pronominalformen {sie „desto", s. weiter unten; senku „dsiiniV\ ktälgiinai ,^so\8inge'\ kudesnammi „so oft", s/u ilgiml „bis", sen mäim^ sen w,aim. „mit mir",

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sen wissan swaieis „mit allen den seinen"; s. im VI. Kapitel), als selbständiger Kasus nicht mehr nachweisen '^); und dort, wo Instrumentalformen vorliegen, sind sie funktionell vollständig mit dem Dativ zusammengefallen ; s. Verf. Neophilologus 2, 109 f. und unten im VI. Kap Angesichts dieser Tatsachen halte ich es für allzu gewagt, semwe als einen Instrumental semmen aufzufassen. Dazu kommt noch, dass wir bei dieser Auffassung eine Erklärung für den Gegensatz sem,i(iri)Len Akkus, (an zehn Stellen des Enchir.; daneben einmal semma7i): semmen Instrum. suchen müssten. In beiden Fällen wäre von -en auszugehen; im Akkus, hatte dieser Ausgang Zirkumflexus, im Instrum. Akut; weil aber sonst, wie auch Bezzenberger annimmt, die lautliche Entwicklung des baltischen e im Preussischen von der Intonation unabhängig war, würde die Hypothese, dass -eti zu -ien^ -^n aber zu -en geworden sei, vollständig in der Luft schweben. Ueber die Endung -im s. weiter unten.

Bezzenbergers Deutung von semme muss ich also ablehnen, obgleich ich gerne gestehe, dass sie scharfsinnig ist. Es bleiben nun zwei Möglichkeiten übrig '•): entweder ist semme verfehlt oder es ist ein endbetonter Nominativ. Weil das Altpreussische von Will offenbar keine Formen auf betontes -i besitzt und auch bei den Verbalkategorien von mile und toedde die Annahme, dass -e auf urbaltischem -e (aus -H) beruht, sich uns als die wahrscheinlichste ergeben wird, halte ich am liebsten trotz des Betonungsunterschiedes zwischen pr. semme und lit. zhne das preussische Wort für eine lautgesetzliche Nominativform auf halt. -e. Wenn das e verfehlt wäre, würde sogar ein doppelter Fehler vorliegen : es wäre dann -l zu erwarten, ohne Strich. Und einen dop- pelten Fehler nehmen wir, solange eine andere Auffassung möglich ist, besser nicht an. Die einmal vorkommende weibliche Partizipform aulause (61,23: sta asl giwäntei aulanse „die ist lebendig todt") erklärt sich, wenn sie richtig über- liefert ist, am einfachsten als eine Analogiebildung nach den endbetonten Femininis auf -e^ also nach der Klasse

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von semme '■^). Bezzenberger KZ. 41, 79 möchte in aulause, ^ falls sein e nicht fehlerhaft ist", einen ähnlichen Instru- mental erblicken wie in semme. Das ist sehr unwahrschein- lich. Wie zufällig wäre es, wenn speziell die <^-Klasse die alten Instrumentale bewahrt hätte, und wenn gerade bei den zwei einzigen Instrumentalen auf -eii die in unserm Texte sehr seltene Ersetzung des n durch ~ vorliegen sollte!

Eine zweite Formkategorie, wo das -^"unverändert geblieben ist, bilden m. E. die Präsensformen auf -e (aus -et), die im Altpreussischen nicht bloss für die 3. Person Singular und Plural, sondern auch für die 1. und 2. Pers. Sing, gebraucht werden. Das Material führt Bezzenberger KZ. 41, 89 ff. an : bude „wachen", derge „hassen", druwe „glaube, glaubst, glaubt, glauben", au-schaude „traut", pa-shiU, pa-sJcolle „ermahne", en-wacke „rufen an", prel-ivacke „beruft", warge „ist leid, ge- reut" (89), mile „liebt, lieben" (91), bilU „sagt, spricht, heisst", qnoite „will, wollen", po-quoiU-is „begehrt", stalle „steht, stehen", per-stalle „stehen vor" (99). S. 116 werden einige dieser Formen in konjunktivischer Bedeutung erwähnt, ausserdem noch segge „tun", sege „tue". Für die S. 99 ge- nannten Formen geht Bezzenberger vor -ei{i) aus, für die übrigen, im Anschluss an Zubaty Indogerm. Forsch. An- zeiger 16, 57, von -6]a{t) '2). Auf eine ähnliche Weise führt Bezzenberger S. 107 f. das -e der Präterita Ulle „nannte", is-mige „entschlief", ^üedd6 „führte" auf ^-;<?(^) zurück, ebenso S. 108 f. hei, hei, Wie (je einmal) „war" auf '^beje{t).

Die Bezzenbergersche Erklärung der Verbalformen auf -e wurde von Trautmann unverändert akzeptiert: s. S. 278, 282, 284 f., 290 seiner „altpreussischen Sprachdenkmäler". Trotz- dem kommt sie mir sehr wenig plausibel vor. Wenn '^be]e(t) an zwei von den drei Stellen, wo Bezzenberger und Traut- mann eine Fortsetzung dieser Form annehmen, seinen Diphthong bewahrt hat, ist es mir absolut unverständlich, weshalb bei allen andern Formen auf halt. -eje{t), -eja{t) das i spurlos geschwunden sein sollte, zumal weil wir für all diese Formen eine stärkere Satzbetonung voraussetzen dürfen

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als für das Präteritum des Verbum substantivum. Auch ist mir sonst von einer Abneigung des Altpreussischen gegen Diphthonge nichts bekannt. Zwar zeigen die meisten Form- kategorien auf -ei (fehhel^ stessei^ assei, hoüsei) neben diesem -ei auch die Ausgänge -e, -i (s. das IV. Kap.), aber hier haben wir es mit einem nachhaupttonigen -ei zu tun, so dass Formen wie stesse, asse sich etwa mit bhe „war" ver- gleichen lassen, wenn jedenfalls dieses hhe nicht als ein durch das im Texte gleich folgende he „und" hervorgeru- fener Fehler oder als eine ganz andere Form als bei, bei aufzufassen ist. Ueber bhe, bei, bei s. unten. Neben Grund- formen auf -eje(t), -f^jait) nimmt Bezzenberger auch einige auf -ei{t) an. Vorausgesetzt dass solche Bildungen je existiert haben, so glaube ich doch nicht, dass ihr -^^ auf altpreussi- schem Boden zu e geworden wäre. Eher wäre Monophthon- gierung bereits für die indogermanische Periode anzunehmen. Ueber diese mutmasslichen ^:^-Präsentia {Ulli^, quoitP, stalle) s. unten.

Eine viel einfachere und einwandfreiere Deutung der präsentischen und auch der präteritalen Formen auf -^ist möglich, wenn wir das auslautende -^ einfach als ein unver- ändert gebliebenes -^auffassen, wie Fortunatov und Berneker vorgeschlagen haben. Bezzenberger ging zu weit, als er, im Anschluss an seine im Allgemeinen überzeugende Bestrei- tung der Fortunatov-Bernekerschen Regel für die samlän- dische Vertretung des baltischen e, meinte, dass jedes e zu i geworden sei. Das von ihm selber KZ. 41, 77 kon- statierte Fehlen eines auslautenden -i im Enchiridion hat ihn leider nicht auf den Gedanken gebracht, dass vielleicht betontes -e im Auslaut bewahrt geblieben sein könnte. Hätte er an diese Möglichkeit gedacht, so hätte er, wie ich glaube, für semme keine so weit hergeholte Deutung vorgeschlagen und zur Erklärung der Verbalformen auf -^' keine Hypothese aufgestellt, die Berneker gegenüber einen Rückschritt be- deutet.

Berneker stellte Die preussische Sprache 213 7nile\ milijt

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(aus -Pü), hu(U'. lit. hudMi u. dgl. auf eine Linie mit läihii: laihüt (w, ii aus ^7), 7naitä\ maität '"*). Ebenso betrachtete Forzezinskij K istorii form sprafenija v baltijskich jazykach 134 die Typen lit. zlno^ apr. läiku und apr. hilln als gleich- artige Bildungen (Stämme auf "a- bezw. -f^-a-], die er den Typen awi-äja-^ -i^.ja- (lit. 1. Ps. S.-^;«^,-^?/?^) gegenüberstellte. In seiner Beurteilung von Porzezinskijs Arbeit hält Zubaty aaO. die sogenannten ^r^-Präsentia für identisch mit den ^v^-Prä- sentien ; das altpreussische -P, leitet er aus -Pj\ -eja her. Diese Vermutung, die, wie ich schon bemerkte, von Bezzenberger herübergenommen und weiter ausgearbeitet wurde, ist des- halb begreiflich, weil die altpreussischen Formen auf -^"voll- ständig isoliert dastehen ; im Litauischen kommen ähnliche Präsentia nicht vor. Dieser Umstand macht es natürlich unsicher, ob wir es hier mit einem urbaltischen Präsens- typus zu tun haben. Anderseits aber ergab sich uns die Herleitung des altpreuss. -P aus -Pj\ -eja als unannehmbar. Soweit ich sehe, sind zwei Auffassungen möglich: entweder stehen, wie Fortunatov BB. 22, 178 f. annimmt, die preus- sischen Präsensstämme auf -P- mit den litauischen Präte- ritalstämmen auf -P- auf einer Linie ^ '•), oder das ^-Präsens ist eine preussische Neubildung: die Analogie der Klasse von 7naliä\ maitätun-sin ^ dwigubhü: dwiguhüt ' *^) konnte leicht neben Infinitiven auf 'Pü (woraus später -U entstand) Präsentia auf -P aufkommen lassen. Diese Ansicht lässt sich mit dem, was Berneker sagt, kombinieren. Berneker bemerkt S. 213, dass die Klasse von apr. miliji lit. myleti im Preussischen ihr Präsens ohne -io- bildet, ebenso wie dem lit. grhzyja ein preussisches griki-si „versündigen sich" gegeniibersteht. Ob er diese Präsentia ohne -io- für alte Formationen oder für Neubildungen hält, teilt er nicht mit. Letzteres wäre m. E. bei beiden Klassen sehr gut möglich: tnrri „hat" würde dann w,ilP gegenüber die alte Endung bewahrt haben, und ebenso crixüa „ich taufe", das wohl formell eine 3. Pers. Sing, ist (wie die meisten altpreussischen Formen mit der Bedeutung einer 1. Pers. Sing.) und -ia aus -lja(t) haben wird,

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den Formen madli „bitte, bittet", nMüsi „diene", griki-si „versündigen sich" gegenüber. Wenn die Präsentia auf -e jüngeren Ursprunges sind, so werden sie in erster Linie ältere i- und ^/^-Präsentia verdrängt haben.

Nun hat allerdings Bezzenberger KZ. 41, 88 maitä und dwiyuhhü wegen ihrer Endbetonung zur äja-YldJS,^^ gestellt. Dabei erinnerte er an altlit. waiJcsczio, neschö u. dgl. neben domoi usw. ; die Formen mit bewahrtem und abgefallenem -i sollen beide nebeneinander in apr. kelsäi: kaltzä „lauten" vorliegen. Dagegen bemerke ich, dass der aus dem Alt- litauischen und auch aus neulitauischen Mundarten '') bekannte Abfall von -; nach o (aus a) nicht ohne Weiteres auch fürs Altpreussische angenommen werden darf. Diese Sprache hat absolut keine Abneigung gegen auslautendes -ai^ -äi. Zwar begegnen uns in einigen Formkategorien die Endungen -ai und -a, -~a nebeneinander [mensai: mensä N. Sg., nl-swintinai'. ni-swiutina 3. Pers. Präs.), aber hier liegen je zwei verschiedene Endungen vor, und -a, -^ ist nicht auf lautlichem Wege aus -at entstanden. Etwas Aehnliches wird bei kaltzä'. kehai der Fall sein: kaltzä ist eine Form der ä-Konjugation (vgl. lit. imö, apr. bia.^ per-hända), kelsäi eine Form der ^/«-Konjugation (vgl. lit. kovoja, apr. e?i^-^r^i „ant- worten", peisäi „schreiben"); ein ähnliches Nebeneinander liegt bei lit. biloja: altlit. lilo ' ^) vor. Auch ebsignä: slgna'i sind vielleicht ebenso aufzufassen. Berneker, Bezzenberger und Trautmann erblicken in diesen beiden Formen Präterita ; ich halte es aber fiir wahrscheinlich, dass ebsignä ebenso wie das ihm unmittelbar vorangehende lasinna eine Präsens- form ist (bhe lasinna ränkan nodlns | bhe ebs\i\gnädln8^ bei Traut- mann S. 69, 34 f., „vnd leget die hende auff sie | vnd Segenet sie"), während ich nicht entscheiden kann, ob signai (S. 67, 7) ebenfalls Präsens ist oder Präteritum {Deiws

teihl .... teiku .... teiku .... signai billäts . .

„Gott Schuff schuff schuff .... segnet

.... sprach . .").

Umso weniger dürfen wir uns durch die Endbetonung

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von maitä u. dgl. von der so nahe liegenden Identifizierung der Endung mit dem lit. -o abhalten lassen, als ein ähn- liches Verhältnis bei apr. ^vedde: lit. vede wiederkehrt. Sogar wenn die von Bezzenberger vorgeschlagene Herleitung von -e aus -eje{t) lautlich möglich wäre, wiirde ich mich nicht entschliessen, wedde von lit. vede zu trennen : es stimmen ja auch der Präsens- und der Infinitivstamm vollständig mit den litauischen iiberein (Imperat. weddeis Enchir., im 1. Katechismus wedais^ im 2. Kat. wedei/s: lit. vedu^ te-vedB\ west^ westwei'. lit. vhti). Auch bei ismige „entschlieff " (d.h. „schlief ein") ist die Ansicht Bezzenbergers KZ. 41, 107, dass diese Form nicht zu lit. -rnikti, Präs. mingu, sondern zu einem mit poln. wm^ijbereinstimmenden Zeitwort gehöre, ziemlich gesucht: die inchoative Bedeutung des apr. Präte- ritums macht diese Hypothese sogar sehr unwahrscheinlich. IVedde und ismige werden also aller Wahrscheinlichkeit nach altes -e(t) haben; dann wird dasselbe wohl auch fürs dritte Präteritum auf -e, d. h. für hille, gelten.

Der Gegensatz zwischen wedde, ismige, hille einerseits und pertraüki „verschloss" anderseits könnte die Vermutung auf- kommen lassen, dass die Präterita mit kurzer Wurzelsilbe die Endung, diejenigen aber mit langer, akutierter Wur- zelsilbe die Wurzel betonen, und die Formen hillrds „sprach'' : hüra „baute" könnten uns für die ^-Präterita ähnliche Ver- hältnisse vermuten lassen. Dieses Material ist aber zu gering um irgend welche sicheren Schlüsse zu gestatten. Beispiele, wo zirkumflektierte Länge der Wurzelsilbe feststünde, fehlen. Wir könnten freilich für en-deirä „sah an" zirkumflektiertes ei vermuten und annehmen, dass zirkumflektierte Länge mit Kürze auf einer Linie stehe, aber eine solche Vermutung findet in den Präsensformen auf -«(z^) keine Bestätigung: läiku „halten" = lit. lalko, per-hända „versucht" = lit. hando. Eine barytonierte Präsensform auf -eiß) dürfte in dem dreimal in ein und demselben Satze vorkommenden ;j^r-fa^^ .,gebührt" vorliegen (das Verhältnis von^j^r-to^« zum einmal belegten per-lä7ikei „gehört" ist nicht klar ' ^). Ist per-länkei vielleicht

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verfehlt?), möglicherweise auch in hilli „spreche" (1. Ps. Sing. Ind. und 3. Ps. Sing. Konj.), sialli „stehet"; hier hätten wir dann bei denselben Zeitwörtern barytonierte und endbetonte Formen nebeneinander.

Aus dem Vorhergehenden dürfte sich ergeben, dass das geringe Material des Enchiridions das Aufstellen von Regeln für die Betonung der Verbalformen auf -«(/) und -^'(0 nicht gestattet. Wir müssen uns damit begniigen, dass wir das Vorkommen von zwei Betonungstypen und die Entwicklung von -e(t) zu samländ. -e und von ~^{t) zu samländ. -i kon- statieren. M. a. W. : per-hända^ knra\ 7}iaitä,hillä-ts = j)er-Iii)iki, per'tranki'. hude, wedde = mvti, peröni: semme.

Neben den Verbalformen auf -e und -i kommen auch solche auf -e vor. Das Material führe ich an nach Bezzen- berger KZ. 41, 89 ff.: drmve „glaube, glaubt", f/iwe „lebt", pallapse „begehren", käima-luke „sucht heim", .s^^^^ „tue, tut" (89), mile „liebt" (91), bille „sage, spricht", Halle „steht, ^i^h^n^^ per- stalle „stehen vor" (99), segge „tuen (man tue)" (116). Wie sind diese Formen aufzufassen? Eine Vergleichung mit S. 13 zeigt uns, dass einige von denselben auch mit -f^ vorkommen. Dieser Umstand weist darauf hin, dass das -e trotz des Fehlens des Längezeichens als betontes -^" aufzu- fassen ist. Diese Annahme ist umso unbedenklicher, als keine der Formen auf -e auf einer andern Silbe das Zeichen hat (abgesehen von der Zusammensetzung käima-luke, wo das Längezeichen auf der Anfangssilbe höchstens beweisen kann, dass das erste Kompositionsglied einen stärkern Ton hatte als das zweite), und weil auch sonst das Längezeichen oft weggelassen wird ^^). Eine Form kommt besonders häufig mit -e vor, und zwar segge (7 x; daneben 1 x segge und 1 x sege), aber auch hier steht die Form mit -e daneben, und auch seggesei, seggemai (2 x), seggeti legen ein indirektes Zeugnis für die Betontheit und die Länge des -e von segge ab : denn diese Formen sind Neubildungen *'), die die Form der 3. Person als Grundlage haben (s. Bezzenberger KZ. 41, 91, Trautmann 278).

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Dort, wo das e nicht iin Auslaut stand, musste es in i übergehen. Das geschah u. A. im Infinitiv auf halt. -<?^i und in den iibrigen vom Infinitivstamm gebildeten Formen '' ^). Nun kann aber -it ausser auf -^/5^ auch auf -^^^ zurückgehen, und es fragt sich, inwiefern für die zu Präsentien auf -e gehörigen Infinitive von -Pii oder von -Iti auszugehen ist. Aus Bezzenbergers Erörterungen aaO. 89 ff. geht hervor, dass in vielen Fällen das t des Infinitivs durch andere Sprachen bewiesen wird (lit. hudetiy dergetuwas, ksl. o-zivHi, lit. lüketi^ mijlHi\ während auch bei druwit^ pallaipsitwei, auschaudilweiy segglt, wackiUvei. vmrge^ poshullt trotz des Fehlens litauischer ^:-Formen die Annahme von altem ^:-Vokalismus sehr plausibel ist. Im Allgemeinen diirfen wir sagen, dass dort, wo keine speziellen Umstände für ~lü sprechen, Ueber- einstimmung des Infinitiv vokalismus mit dem des Präsens am wahrscheinlichsten ist. Daneben können aber Fälle mit „Entgleisung" vorkommen. So liegt angesichts lit. hlausyü „hören" die Vermutung nahe, dass das i von apr. klausiton Inf. „erhören", klaus'mns Part. Pf. Akt. ein urbaltisches l ist, und dass die 3. Pers. Präs. "^klause, welche die Grundlage für die 1. Pers. PL klausemai gebildet hat, erst auf preussischem Bpden nach milijt\ milfi u. dgl. entstanden ist. Sicherheit, dass die Entwicklung so vor sich gegangen ist, haben wir aber nicht. S. weiter unten, speziell Bern. 31.

Die grössten Schwierigkeiten bereiten uns diejenigen Zeit- wörter, die neben Präsensformen auf -e solche auf haben : Ulla, hilla neben bille, Lille zu biUU „sagen, sprechen", quoUä neben quoiU zu '^quoitlt -^) „wollen", stallä nehen stalle, stalle zu stallit (1. -it\ vgl. is-stallit) „stehen"; s. Berneker 214 f., Bezzenberger KZ. 41, 99 ff., Trautmann 282 f. (Klasse 12). Es fragt sich, ob wir es hier mit dem Typus von lit. .ya/?;^;^/, sakdi, säko: sakyti zu tun haben ^ ^). Wenn das der Fall wäre, so könnten UIU (-£?), quoite, stalle i^-e) auf dieselbe Weise erklärt werden, wie wir oben "^klause [klausemai) gedeutet haben ; s. Berneker 2l4. Daneben kann aber der Gedanke aufkommen, ob vielleicht die Formen hille (-^), quoite, stalle (-^),

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und dann auch '^hlause^ was ihre Stammbildung anbetrifft, den litauischen Präteritis *<5^-^, hlavsew.^^. entsprechen. Diese Ansicht berührt sich nahe mit derjenigen Bezzenbergers, der KZ. 41, 100 f. für h'dlü\ hilU ein Stammpaar auf -«?-: -ei- annahm und in dem i des Infinitivs ein mit dem idg. Langdiphthong ablautendes l erblickte.

Gegen die Vermutung, dass das Verhältnis von hWlä zu hilU demjenigen von lit. säko zu saM entspreche, kann na- türlich der Funktionsunterschied der Formation auf -^7 in deh beiden Sprachen geltend gemacht werden. Diesen Einwand möchte ich beantworten mit der Bemerkung, dass im Enchir. dieselben zwei Stämme, die fürs Präsens gebraucht werden, auch im Präteritum auftreten (Ji//e „nannte": Ulla, billä-ts „sprach"), und dass auch sonst in der Sprache Wills Präsens und Präteritum nicht als streng voneinander ge- trennte Kategorien betrachtet werden können ; s. den letzten Teil des X. Kapitels. Damit soll freilich nicht gesagt sein, dass ich diese Auffassung von hill^ {-e)\ hilln {-a) usw. für mehr als eine Möglichkeit halte.

Die Beurteilung der Präsentia mit Wechsel von -^" und -^7 hängt aufs engste mit unserer Auffassung von der litauischen Klasse von sakaü, säko: sakj/ii zusammen. Hält man den hier auftretenden Ablaut [o aus) ä: i für aus der indogermani- schen Grundsprache ererbt, so kann man kaum anders tun als für billä: hilllt usw. diesen selben Ablaut annehmen; UIU usw. müssen dann auf eine der zwei oben angedeuteten Weisen erklärt werden. Nun haben Bartholomaes Unter- suchungen über den indogermanischen Ablaut äl (woraus unter gewissen Bedingungen u entstand): i (Studien zur indogermanischen Sprachgeschichte 2, 63 ff.) die V^ermutung nahe gelegt, dass dieser Ablaut in lit. -0: -y-/^■ fortlebe, und tatsächlich haben mehrere Forscher eine solche Ansicht ausgesprochen: s. Bartholomae aaO. 181 f., J. Schmidt Festgruss an Roth 184, Uljanov Znacenija glagol'nych osnov V litovsko slav'anskom jazyke 2, 231 ff., Porzezinskij aaO. 138 ff. (s. Berneker Archiv f. slav. Phil. 25, 495 ff.),

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Bezzenberger rk^jag 196 fF., KZ. 41, 101 f. Daneben ist aber mit der Möglichkeit zu rechnen, dass der litauische Ablaut -o\ -y{ti) sekundär ist. Berneker hat Archiv f. sl. Ph. 25, 497 f. auf einige altlitauische und lettische Formen auf- merksam gemacht, welche den Gedanken nahe legen, „dass wir in der Flexion von metau, metyü eine Verschmelzung der ä- und der ^-Formation erst auf baltischem Boden vor uns haben". Eine weitere Stiitze erhält diese Hypothese von Seiten des Altpreussischen, wo diejenigen Zeitwörter, denen im Litauischen Verba auf -aw. -yti entsprechen, sowohl im Präsens wie im Infinitiv ä (woraus ö, 7:^) haben: Ench. laiküt „leisten, halten", Präs. laihw. lit. laikyti, läiko] Elb. Vokab. maysotan „gemenget": lit. maiszyti: maiszo^ während die drei altpreussischen Verba, für welche man ^-^-Ablaut annehmen V2.x\x\{jnllU^^quoiUt^stallii)Q,\x(^2,x\^^\^ gedeutet werden können; denn es lässt sich nicht beweisen, dass das ^ dieser Verba altes i ist; es könnte auch ^sein. Wenn fi^ir die drei Infinitive hillU^ ^quoititj stallit von -eti auszugehen ist, so stimden die Präsentia bille, quoite^ stalle zu denselben in demselben Verhältnisse wie bude zu lit. hudeti, mile zu tnilijt usw. Wie wären dsiun aher billä, quoitä^ stallä zu erklären? Es wäre hier wohl ein ähnliches Neben- einander von Verbalstämmen auf -a- und -p,- anzunehmen wie in den Wortpaaren osk. censawn: lat. censere^\a,t.caläre: gr. xaksip usw. vorliegt; s. darüber u. A. Bartholomae aaO. 152, Von Planta Grammatik der oskisch-umbrischen Dialekte 2, 243. Zahlreich sind solche Fälle im Slavischen, wo bis- weilen die zweierlei Formationen zum Ausdruck des Aspekt- unterschiedes „abstrakt" (bezw. „iterativ"): „konkret" benutzt werden; z. B. abg. begaü'. bezaü i^begeti) „laufen", poln. drgac : drzec (beide auch in andern Sprachen) „zittern, beben", russ. dial. gl'adat': russ. gl'adet' „schauen", russ. vidat'\ videt „sehen", russ. slychat' : slymi „hören" (alle drei auch in andern Sprachen), abg. imami\ imejq, Imeü ^^) „haben". Im Litauischen sind solche Wortpaare selten ^^), wie man aus einer Durchmusterung des von Leskien in

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seinem Buche „Der Ablaut der Wurzelsilben im Litauischen" zusammengestellten Materials ersehen kann, aber ganz fehlen sie nicht (vgl. z. ß. lindeii „kriechen" : /^'^r/ö^fi „wo stecken", ling'eti „schwanken": lingoti „schweben, wackeln"), und möglicherweise ist die Anzahl dadurch verhältnismässig so gering, dass in einer reichen Verbalklasse \-au : -lau : -yti) der ^-Stamm regelmässig fürs Präsens und der ^-Stamm ebenso regelmässig fürs Präteritum gebraucht wird ^^).

Aus dem Vorhergehenden ergeben sich für hiUe^ quoite^ stalle drei Erklärungsmöglichkeiten ^^), und zwar: 1. die Präsensformen hille, quoiU, stalle gehören zu den ältesten Formen dieses Typus: ihr Stammesauslaut war von alters her mit dem der zugehörigen Infinitive {hillit aus '^biletl usw.) identisch, 2. '^^) die drei Formen hatten von alters her -.^'-, in Abweichung von dem Infinitiv (mit ö^//^: hilU: billitw^. lit. säko: säke: saJcßi), 3. die drei Formen kamen nach Ana- logie von mile: milijt auf, nachdem der Infinitivausgang -^^i mit -iti in -it{i) zusammengefallen war. Ich verzichte auf eine Entscheidung zwischen diesen drei MögUchkeiten, ebenso wie ich nicht ausmache, welche der zwei von mir besprochenen Ansichten bezüglich der litauischen aw-y/^i-Klasse das Richtige trifft. Für meinen Zweck ist eine solche Entscheidung gar nicht nötig, denn in keinem Falle widersetzt sich die Kate- gorie von hille meiner Annahme, dass das -e der alt- preussischen Formen der 3. Person Präs. und Prät. auf -e{t) zurückgeht.

In Uebereinstimmung mit dem Litauischen werden wir für das -e der preussischen 3. Person Zirkumflexus annehmen miissen ; die Erklärung dieses Zirkumflexus ist nicht leicht zu geben, wir brauchen aber auf diese Frage jetzt nicht einzugehen. Einen ähnlichen Zirkumflexus kann auch hhe „war" gehabt haben, wenn jedenfalls diese Form mit abg. Ije „id." auf idg. *Ä^(?<?)^:i5 zurückgeht (so u. A. Berneker 228; vgl noch gr. kcfit]) und nicht mit Bezzenberger KZ. 41, 108, Trautmann 290 für identisch mit hei, hei „id." zu halten ist. Diese letzte Form werden die zuletzt genannten

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Forscher wohl richtig auf älteres '^bejct zurückfuhren. Bei jeder dieser zwei Ansichten ist das Fehlen des Längezeichens über dem e von hhe dem schwachen Satzakzente zuzuschrei- ben, — wenn wir es nicht einfach mit einer Nachlässigkeit Wills zu tun haben; s. Bem. 20.

Ausser den bis jetzt besprochenen Formkategorien auf -e {-e) gibt es noch eine Form, die hier behandelt werden muss, und zwar ste „desto". Hier liegt im Gegensatz zu semme usw., mile usw. nach aller Wahrscheinlichkeit ein akutiertes e vor. Berneker 138 fasste dieses ste als einen zirkumflektiert intonierten Ablativ *5/e7/auf, Hirt Indogerm. Forsch. 10, 38 meinte, ste könne „natürlich alles mögliche sein". Für eine solche Skepsis gibt es m. E. keinen Grund. Das Indogermanische gebrauchte beim Komparativ zur Bezeichnung des „um wieviel" einen Instrumental des Masses; s. Brugmann Grundriss 2^, 2, 530 f. Nun gibt es bekanntlich in mehreren Sprachen Instrumentalausgänge, die indogerm. -e, -6 voraussetzen, und es ist wohl am ein- fachsten, auch in apr. ste eine solche Form auf -^7' zu erblicken- Auch Meillet scheint Introduction ä l'etude comparative des langues indo-europeennes^ 315 diese Auffassung von ste als vonselbstredend zu betrachten. Man vergleiche mit diesem ste zunächst den ebenfalls für „desto" gebrauchten germanischen Instrumental got. ße^ afris. {thes)te, ndl. te ^ ^). In diesem preussischen Worte hat also das akutierte -e im betonten Auslaute seine Vokalfarbe bewahrt; das Fehlen des Längezeichens dürfte, wenn es nicht auf einer Nach- lässigkeit Wills beruht, dem schwachen Satzakzente zuzu- schreiben sein (vgl. ndl. te^ d. h. t9, und s. oben zu bJie).

Wir haben jetzt die im Enchiridion vorkommenden Form- kategorien auf -e {-e) besprochen. Aus dieser Besprechung und aus der Tatsache, dass das Zeichen i im Auslaute nicht vorkommt, geht hervor, dass jedes betonte auslautende -e unabhängig von der Intonation im Dialekte Wills unver- ändert geblieben war. Die Ergebnisse der ganzen bisherigen Untersuchung möchte ich folgenderweise formulieren: In

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der Sprache des Eiichiridions ist nichtauslau- tendes e zu i geworden; auslautendes -stritt, wenn es den Hauptton trägt, als -e, sonst als -i auf.

Die Mundart des zweiten Katechismus stimmt, insofern dieser kurze Text ein Urteil gestattet, zum Enchiridion. Der erste Katechismus zeigt bekanntlich die Neigung, i in e zu verwandeln. Weil sowohl dem aus ^: entstandenen wie dem aus dem Urbaltischen ererbten l von II und Euch, in I öfters ein e entspricht, ist es wahrscheinlich, dass in beiden Fällen das e auf i zurückgeht ^*) und dass also die soeben fiirs Enchiridion gegebene Regel allgemein samländisch ist.

Ich hoße jetzt zu zeigen, dass es eine Ausnahme von dieser Regel gibt, und zwar ist, wie ich glaube, der Auslaut -en zu 'ieti geworden, m. a. W.: vor auslautendem -w entstand aus e ein durch ie bezeichneter, ent- weder diphthongischer oder monophthongi- scher Laut, der weder mit e noch mit j iden- tisch war.

Berneker 139 führt die Akkusative mütin^ perönin, temn, warin, g'iwin an, deren i er nach der von ihm angenommenen Regel: „Unbetontes ^: im Auslaut geht, auch wenn es Schleifton hat, in i über'' erklärt. Wenn wir nun aber in Trautmanns Glossar, wo alle in den altpreussischen Texten vorkommenden Formen verzeichnet sind, diese Akkusative aufsuchen, so ergibt sich, dass neben müiln Ench. 1 X, mutti/i I 1 X zweimal die Form mut'ien belegt ist, 1 X in II, 1 X im Ench., ausserdem mütien Ench. 1 X, neben perönln Ench. 2 X perönien Ench. 3 X, neben w^rrm (^ic, nicht warin) Ench. 2 X warrien Ench. 1 X und warein Ench. 2 X, neben gijwin Ench. 1 X, geiwin 11 Xgej/wien II 1 X, so dass t^isiu Ench. 5 X, woneben einmal teischui Ench., der einzige der fünf von Berneker angeführten Akkusative ist, der an allen Stellen -in hat. Und wenn wir auch noch same (Elb. Vok.), semme (Enchir.) „Erde"

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aufschlagen, so begegnen wir neben einmaligem semmin I einem zweimal im E n eh. belegten ^^»««>72 und einem achtmal im Euch, und einmal in II vorkommenden semmien] das einmal im Ench. belegte semman ist verfehlt oder eine se- kundäre Form nach der ^^-Deklination.

Sind nun all diese Formen auf -ie7i Analogiebildungen nach der i^-Deklination, wie Berneker 139 und 184 annimmt? Gewiss werden wir f i'ir die i^2-Stämme einen Akkusativ auf -ien (zunächst aus -ian) annehmen miissen; darauf weist ja vor allem die Endung -ien der männlichen ^a-Stämme hin. Wenn wir aber daran denken, dass ein Teil der M-Stämme, und zwar diejenigen mit einem Nomin. Sing, auf -i, diese lautgesetzliche Akkusativendung aufgegeben und durch ein unter dem Einfluss des Nominativs entstandenes -in ersetzt haben (s. S. 32), so fällt es uns schwer zu glauben, dass eine andere Nominalklasse, deren häufigster Nominativ- ausgang ebenfalls -i war, ihre Akkusativendung -in unter dem Einfluss der e^-Stämme durch -ien ersetzt habe ^^). Vielmehr ist hier das ie lautgesetzlich aus e entstanden. Umso wahrscheinlicher kommt mir diese Annahme vor, als sie auch fiir apr. mieu „mich", tien „dich", sien „sich" eine einfache Deutung ermöglicht: mien, tien, sien abg. me, te, se\ apr. mien, abg. me aind. mäm,, während apr. tien, abg. if(^ bloss im Stammesanlaut, nicht aber im Ausgang von ai. tväm abweicht.

Ich kehre also zurück zu der von Leskien schon im Jahre 1876 ausgesprochenen Ansicht (Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen, S. 143); „w,f, d. i. "^meti mien, lies min oder m-en.^^ Gegen diese Meinung hat sich Berneker 207 f. gewandt, ^*) und seitdem hat dieselbe wenig Anerkennung gefunden ; s. Trautmann 269, Brug- mann Grundriss 2^, 2, 413 f. ^^) Berneker hält Leskiens Ansicht deshalb für wenig wahrscheinlich, „weil man dann annehmen müsste, dass nur gerade in diesen Formen i durch ie bezeichnet werde, für das doch sonst durchgehends ^, ij erscheint". Und dann fährt er fort: „Beim zahlreichen

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Vorkommen dieser Formen ist es doch undenkbar, dass nie ein "^mln^ ^mijn erscheinen sollte, wenn i gesprochen wurde, wie es undenkbar ist, dass nie sonst langes i mit ie geschrieben wurde, wenn dieses wirklich ein Mittel zu seiner Bezeichnung war". Wäre Berneker nur auf den Gedanken gekommen, dass der durch ie angedeutete Vokal einen etwas von dem durch l bezeichneten Laut abwei- chenden, es sei denn diphthongischen oder monophthongi- schen Klang gehabt haben könne, und hätte er nur gesehen, dass die beiden Formkategorien von mien und se7n[m)ien auf eine und dieselbe Weise gedeutet werden können, so hätte er sich wohl Leskien angeschlossen, und einige von ihm und andern Forschern aufgestellte, vollständig in der Luft schwebende Deutungen von mien, tien, sien wären uns erspart geworden.

Berneker 208 hat zunächst an die Möglichkeit gedacht, dass mien, üen, sien „verkiirzte Formen "^men '^ien '^sen^^ seien; i wäre dann Erweichungszeichen. Weil aber Will die Erweichung nur sporadisch bezeichnet, so dass neben mien usw. die Orthographie "^men usw. zu erwarten wäre, gibt Berneker einer andern, viel weniger einfachen Hypo- these den Vorzug: „Nach einem dat. *//z^^ "^«^di "^««^i, letzteres vielleicht in griJctsi, lit. mi ti si, wurden nach Art der -io-St. fiir "^men, "^ten, '^sen Formen wie '^rnjen, "^tjen, *5;>?^ gebildet : in der That ist in allen klaren Fällen die Lautverbin- dung •''^) ie als -je- zu lesen". Diese letzte Behauptung ist kaum richtig (s. S. 33 f.), aber auch wenn sie richtig wäre, so würde sie Bernekers Hypothese noch nicht glaubhaft machen !

Brugmann aaO. hält mien, tien, sien für „irgend eine ana- logische Umbildung von urbalt.-slav. Formen auf -w (aus-w^ ." Er zieht auch die neben tien, sien vorkommenden Formen tln (1 X; üen 14 X), sin (ausschliesslich in der enklitischen Verbindung mit Verbalformen ; als selbständiges Wort stets sien)^^) in Betracht, welche, von preussischem Standpunkte gesehen, kaum etwas anderes als schwachtonige Formen

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für tien, sien sein können. Höchstens könnte daneben die Vermutung Zubatys Indogerm. Forsch. Anz. 16, 60 Fuss- note aufrecht erhalten werden, dass -sin eine neben dem ebenfalls zur Bildung reflexiver Zeitwörter verwendeten, etwa auf ^sfi zurückgehenden -si aufgekommene Neubildung nach sien sei, während tin eventuell als ein Fehler für tien aufgefasst werden könnte. Auf keinen Fall aber diirfen wir mit üiij sin als mit selbständigen Grössen operieren und sin, so wie Brugmann aaO. es tut, direkt mit aind. sim verknüpfen: sien sollte dann eine Neubildung sein wie 56'Ä^^ neben schin lit. m . Eine zweite Möglichkeit wäre nach Brugmanns Meinung diese, dass mien^ tien, sien „Umbildung" von mit abg. me, te, se identischen Formen seien; auf welchem Wege der Umbildungsprozess vor sich gegangen wäre, wird nicht mitgeteilt.

Trautmann aaO. formuliert seine Ansicht folgenderweise: „Mien, tien, sien beruhen auf ?ni, ti, si -+■ der Partikel -ß/i", wobei auf Bezzenberger Beiträge zur Geschichte der litaui- schen Sprache 167, BB. 23, 304 verwiesen wird. An der ersten dieser zwei Stellen werden die litauischen Akkusative mi, ti, -si auf ^7nian, '^tian, '^-sian zurückgeführt, denen apr. mien, tien, sien, umbr. tiom, osk. siom genau entsprechen sollen. All diese Formen werden von Stämmen mia-, tia-, sia- abgeleitet. An der zweiten Stelle teilt Bezzenberger mit, dass er an seiner früheren Ansicht (vom Jahre 1877) „heute" (1897) „natürlich einiges zu ändern habe", und dann ver- w^eist er auf Bugge Altitalische Studien 32 f., wo umbr. tiom, osk. siom besprochen werden. Einige andere Stellen, wo von diesen umbrosamnitischen Akkusativen die Rede ist, zitiert Trautmann aaO. Wenn wir nun aber Von Planta Grammatik der oskisch-umbrischen Dialekte 2, 231 f. auf- schlagen, so ergibt sich, dass Trautmann von der Literatur über diesen Gegenstand bloss denjenigen Teil ausgewählt hat, wo umbr. tiom, osk. siom als Zusammensetzungen kürzerer Akkusativformen (= lat. te, se) mit einer Partikel (vgl. ai. tuo-dm) aufgefasst werden, dass aber daneben eine ganz

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andere Hypothese aufgestellt worden ist; siehe auch Bück A grammar of Oscan and Umbrian 140, Brugmann Indo- germ. Forsch. 23, 312. Nun kommt es mir methodisch unrichtig vor, auf einer für ein paar umbrosamnitische Formen vorgeschlagenen, aber bei weitem nicht allgemein anerkannten Hypothese eine Erklärung altpreussischer Formen aufzubauen, und deshalb muss ich Trautmanns apodiktische Behauptung: „Mien, tien, sieii beruhen aufmi, ü, si + der Partikel -a?^" für eine in der Luft schwebende Vermutung halten.

Derselben Ansicht scheint jetzt auch Bezzenberger zu sein. In seiner Besprechung von Trautmanns Buch verweist er (KZ. 44, 327) auf die eben erwähnte Stelle Brugmanns, wo dieser Gelehrte umbr. tiom, osk. siom als substantivierte Neutra von Possessivpronomina auffasst, und auf KZ. 26, 398 Fussn., wo J. Schmidt für das Samländische ie „als Vertretung eines ursprünglich einheitlichen e oder i .... nur vor n^ einmal vor r" annimmt und als Beispiele u. A. mien^ tien, sien anfijhrt.

Dürfen wir hieraus schliessen, dass Bezzenberger jetzt die Leskiensche Auffassung dieser Formen weniger ver- werflich findet als früher? Ich glaube ja; auf jeden Fall zeigt seine Bemerkung, dass er Trautmanns Ansicht, welche sich mit der früher von ihm selber ausgesprochenen Mei- nung nahe berührt, für anfechtbar hält.

Ich hoffe dargetan zu haben, dass nicht bloss Trautmanns Meinung, sondern auch die Hypothesen von Berneker und Brugmann einen geringen Wert haben. Weiter glaube ich, dass das zu sem{m)ieti usw. Bemerkte im Zusammenhang mit dem über mien, tien, sien Gesagten die Annahme plau- sibel macht, dass auslautendes -en im Samländischen zu 'ieti geworden ist. Bisher behandelte ich aber nur einen Teil des in Betracht kommenden Materials. Eine richtige Beurteilung des Tatbestandes wird erst durch eine Be- trachtung sämtlicher Akkusative auf -in und -ieu möglich werden.

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Dabei bereitet uns die geringe Anzahl der überlieferten Formen gewisse Schwierigkeiten : nicht immer wird es möglich sein auszumachen, zu welcher Stammklasse ein Nomen gehört; ^J-Flexion dürfen wir annehmen, wenn ein Nominativ Singular auf -^^') oder -^7 vorkommt ; ein Nom. Sg. auf -is oder -s weist auf ja- oder i-Flexion hin.

Der II. Katechismus ist wegen seines geringen Umfanges und der relativen Durchsichtigkeit des in ihm enthaltenen Materials am meisten geeignet unsern Ausgangspunkt zu bilden. II enthält folgende Akkusative von ^Stämmen: sem?men (11, 26; Nomin. Ench. semmH^ lit. zeme), mutien (11, 9; Nom. Ench. mnti, lit. wi,6te\ ein im Preussischen in die ^-Klasse herübergetretener ursprünglicher r-Stamm),^^ywi^w (11, 36; Nom. Ench. giwei^ lett. dfiwe). Zu einem «-Stamme gehört naktin „Nacht" (13, 20; vgl. lit. naküs^ Gen. naktSs). Zu /«-Stämmen gehören rej/ki/en „Herrn" (11, 27; Nomin. in II rj/ki/es 13, 12, reykels 13, 20, im Enchiridion rikijs\ wohl ein //a-Stamm) und tainoi/schen „Nächsten" (11, 18; Gen. in II tauwyschis 11, 20, -ies 11, 22, Ench. tawischas 3 X, in I -is 2 X). Wenn wir die bisher verzeichneten Formen als die lautgesetzlichen betrachten, so ist es wahr- scheinlich, dass auch naseylien „Geist" (11, 28 und 34; Nomin. noseilis, noseUis Ench.), pykullien „Hölle" (11, 30; Nomin. pyculs Vokab.), geytien „Brot" (13, 6 und 21; an der ersten Stelle unrichtig geytiey geschrieben; Nomin. geiis Ench., geytye, 1. -ys Vok.) ;a-Stämme sind, während für druwin „Glauben" (11, 24) «-Flexion wahrscheinlicher ist (vgl. den Nom. Sing, dro^ffs in I, druwis im Ench.). In etwerpsennian „Vergebung" (11, 35; 13, 30) liegt ein noch altertümlicherer Akkusativ Singular eines /«-Stammes ^^) vor. Diese Form könnte uns auf den Gedanken bringen, ob vielleicht das -ieii der übrigen /«-Stämme ein ähnliches, ausschliesslich dem Dialekte von II zukommendes e hat wie etwa sten, testamenten. Auf diese Frage kommen wir bei der Behandlung des Materiales aus dem Enchiridion noch zurück. Tirtien „dritten" (11, 30) wird eine Form nach der

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/ö-Deklination sein, während wissemokin „allmächtigen" (11, 25) vielmehr der i-Deklination angehört. \]QhQv klrken „Kir- che" (11, 35) lässt sich nichts sagen; es ist ein junges Lehnwort. Die Form ycli (13, 25 f. : postan hitans ydi „nach dem Ahendmal" ; vgl. 13, 18 f. : Assa Sacramenten hyüs ydi „Vom Sacrament des Altars") kann kaum anders als ein Fehler sein. Möglicherweise ist ydi, d. h. ydin zu lesen; auch kann Bezzenbergers Vermutung BB. 23, 289, dass der Setzer anstatt '^hitasyd'm hitans ydi gesetzt habe, richtig sein. Später wird diese Form uns noch beschäftigen.

Aus der vorhergehenden Durchmusterung des Materials aus II ergibt sich m. E. eins mit Sicherheit: dass in diesem Katechismus die ^:-Substantive einen Akkusativ auf -ien haben [semmien^ mntieri^ geyvnen), während allem Anscheine nach -171 die Endung der x-Stämme ist und die /a-Stämme -ien und -ian haben. Hier haben wir aber in der Form des Nomin. Sing, kein so sicheres Kriterium für die Deklina- tionsklasse wie bei den ^:-Stämmen.

Der I. Katechismus bietet uns folgendes Material: semmin (5, 27), mutiin (5, 10). (/eiwin (7, 2), nacfm (7, 19), rekian (5, 28), tawischen (o, 19), naseilen (5, 29 und 35), pekoUin (5, ^\), geitti^i (7, 8 und 20), et iverpsamian (7, 1), att lüerpsannan (7, 29), tiriin (5, 31), [wismosing 5, 26,] kirkin [7, 1), eden (7, 25 und 18). Weil auch sonst I e anstatt i hat, diirfen wir dem neben -iw vor- kommenden -en keinen besondern Wert beilegen. Auffällig ist das Fehlen von -ien ; ich entscheide nicht, ob im Dialekte von I -ien. auf lautgesetzlichem Wege zu -in geworden war ; daneben besteht die Möglichkeit, dass die Unterscheidung von -ien und -in in II der grösseren Pünktlichkeit oder dem schärferen Gehör für Lautunterschiede des Verfassers dieses „gecorrigireten" Katechismus zuzuschreiben ist. Ueber das -ian (-an) einiger /a-Stämme sprechen wir S. 34 f.

Im Enchiridion begegnet uns ein für den oberflächlichen Beobachter regelloses Durcheinander von -ien und -in. Bei einer genaueren Betrachtung wird es uns aber gelingen, einigen Regeln auf die Spur zu kommen.

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Wegen ihrer Nominativform sind als ^-Stämme aufzufassen :

wütien^ inuiien (je 1 X) „Mutter": w.?7/iw (1 X). Nomin. ^77/i, lit. 7n6te.

semmierij semien (zusammen 10 X) „Erde". Nomin. semmp^ lit. zeme.

perönien (3 X) „Gemeinde": perönin (2 X). Nomin. peröni.

warrien (1 X) „Macht": tvarrin (2 X), warein[2y.).V^egen des Akkusativs loarein, der an zwei weit voneinander ent- fernten Stellen vorkommt und also kaum als Druckfehler aufgefasst werden kann, ist ein ebenso wie ^2Wi gebildeter Nominativ *?mm wahrscheinlich. ■'^)

peisälin (1 X) „Schrift". Nomin. peisälei.

gijicin (1 X) „Leben". Nomin. gkoei, lett. dfiwe.

teisin, ieischin (zusammen 6 X) „Ehre". Nomin. teisi^ lit. teise.

Weiter dürften hierher gehören:

sälin (1 X) „Kraut". Nomin. lit. zole, lett. fdle. Sollte soalis Vokab. „krewtecht" eine Singularform und nicht eine mit lit. zdles identische Pluralform sein, so wäre es als ein i-Stamm aufzufassen, und sälm wiirde dann wohl zu diesem selben i-Stamm gehören.

druwien, drüwien^ nidruimen (zusammen 11 X) „Glauben" bezw. „Missglauben". Als Nominativ kommen ein männ- liches druwis und ein weibliches druwi^ov (je 1 X im Ench.; in I Sias Bro'J's). Weil ich glaube plausibel machen zu können, dass die ^-Stämme einen lautgesetzlichen Akku- sativausgang -ien haben, stelle ich drutvien {ü\ ni-d.) zum Nomin. druwl. Freilich beziehen sich 33, 12 auf drüwien die Worte En kawijdsmu. Dadurch wird aber das männliche Geschlecht von drüwien nicht bewiesen; vgl. 41, 19 sta Bruwi I kas. II hat im Gegensatz zum Enchir. drmv'm. Wenn diese einmal vorkommende Form richtig überliefert ist, so wird sie dem Maskulinum druwis angehören. Wenn druwis ein ya-Stamm wäre was mir nicht wahrscheinlich ist , so könnte der Akkusativ auf -i^w auch zu diesem /«-Stamme gestellt werden.

düsin, dusin, doüsin, daüsin (zusammen 5 X) „Seele". Nomin.

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diisi im Vokab. Ein aus seiner ursprünglichen Deklinations- klasse herausgekommenes Lehnwort.

tickrömien (2 X) „rechte [Hand]." Wohl ein ^-Stamm, ebenso wie lit. deszin^, kaire.

Zu z-Stämmen gehören :

naktirij nacktin (je 1 X) „Nacht": nacktien (2 X). Nomin. lit. 'naküs^ Gen. -^s.

nautln (2 X) „Not": nautien (1 X). Vgl. den Dativ Sing. nauiei (s. im IV. Kap.) und den gotischen e-Stamm naujjs.

Zu z//ä-Stämmen gehören :

märtin *^) (1 X) „Braut", waispaMin (2 X) „Frau". Beide verdanken ihren Ausgang -in wohl dem Einflüsse des Nomin. Sing, auf -i (vgl. lit. marü,whzpati).y^Qnxvmaldünin (2 X) „Jugend" richtig für bildungsgleich mit den slavi- schen Substantiven auf -i/nji gehalten wird 's. Brugmann Grundriss 2^, 1, 280), so ist seine Endung -'m auf dieselbe Weise wie diejenige von märtin, waispaitin zu erklären.

Wenn wir vorläufig dieses was den Stammesauslaut anbetrifift im Allgemeinen klare Material liberblicken, so ergibt sich Folgendes :

Die z/;^-Stämme, für welche angesichts der Uebereinstim- mung zwischen Litauisch, Slavisch und Germanisch alte Akkusative auf -jäu anzunehmen sind (lit. mufcziq,, abg. pustynj(i., got. bandja), haben im Preussischen -in, wohl nac:i dem Nominativ auf -i. Die alten ^-Stämme haben 4en und -in. Wenn wir die Tatsache ins Auge fassen, dass der einzige der von mir angeführten ^J-Stämme, der einen Nominativ Singular auf -^: und nicht auf -i besitzt, semme „Erde", ausnahmslos die Akkusativendung -ien hat, so liegt der Schluss nahe, dass -ien die lautgesetzliche Akkusativendung der ^-Stämme ist, und dass daneben bei den Nomina auf -i (aus nicht haupttonigem -(^ unter dem Einfluss dieses Nominativausgangs die Endung -in aufgekommen ist. ^') Umso wahrscheinlicher ist diese Auffassung der im En- chiridion vorliegenden Verhältnisse, als sie sich in voll- kommener Harmonie befindet mit dem Gebrauche von -ien

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im Dialekte des II. Katechismus, wo diese Endung bei den ä'-Stämmen ausnahmslos vorliegt. Wenn uns auch bei den i-Stämmen des Enchiridions -ien und -in beide begegnen, so werden wir annehmen müssen., dass das Nebeneinander dieser Ausgänge bei den ^:-Stämmen neben dem lautgesetz- lichen -hl der i-Stämme einen zweiten Ausgang -ieu her- vorgerufen hat. *■■*)

Noch bei einer zweiten Kategorie von Akkusativen liegt ein lautgesetzliches -ie7i vor, und zwar bei denjenigen der y^-Stämme (idg. /ö-Stämme). Den klarsten Beweis, dass ihre Endung -jan zu -ie7i geworden ist, liefern uns die bestimmten Adjektivformen, die ohne Zweifel einmal 2,\ii -jan ''^) mit konsonantischem j ausgingen: prei waliie?inie?i „zum hesten'^ (27, 14) aus ^wahian-jan^ en pansdainoymien „zu letzt" (39, 13 f.), 671 pirmaymien laisken „im ersten Buch" (63, 16), en Pirmamiien „aufFs erste" (63, 36). ''''*) Auch an einigen anderen Stellen, wo Trautmann irirmounien, 'pansdaumamden^ panaadaumamnen als weibliche Formen aufFasst (s. sein Glos- sar), sind diese Formen vielmehr neutralen Geschlechtes; wir brauchen aber auf diese Frage nicht näher einzugehen,

1. weil wir auch ohne diese Formen Material genug haben,

2. weil offenbar schon im Urbaltischen die Akkusative der drei Geschlechter vollständig gleich lauteten. '' ^) Die Form en pirmannin „zu erst; zum ersten" (57, 27 f., 63, 13 f.) ist als eine Analogiebildung nach dem Nomin. Sing. "^pirmas-is oder der an dessen Stelle getretenen Neubildung "^pirmarmis, pirmonuis (s. im II. Kap.) zu betrachten; daneben dürfen wir Beeinflussung durch diejenigen i- und ^"-Stämme, die -ien und -171 nebeneinander hatten, vermuten.

Das ie dieser Adjektivformen wurde als ein Vokal oder Diphthong und nicht als je ausgesprochen. Darauf weist der Doppelkonsonant hin, der in unserm Texte nur dort geschrieben wurde, wo ein Vokal folgte; s. Trautmann 196 f. Eine ähnliche Entwicklung wie diejenige von -an7iien aus '^-aiijan möchte ich für krawia, -ian]ri[c)ka7ole, pogerdawle, gerdaioL u. dgl. annehmen, bei denen die Silbengrenze wohl

in dem w liegt (vgl. die Orthographie hrceincieij in ll; s. Verf. Neophilologus 2, 244). Mit der Verschiebung der Sil- bengrenze {-anjjen > -anjnjeu ; -aujje > -aujicje) wird der Ueber- gang von je in ie im Zusammenhang stehen. Eine ähnliche Lautentwicklung ist mir aus der holländischen Volks- sprache bekannt, wo Deminutiva wie kopje mit -/ (nach den niederländischen orthographischen Regeln wäre kopple zu schreiben) anstatt -j^ gesprochen werden. Ueber krawia usw. s. Zupitza KZ. 40, 252, der freilich in der samländi- schen Silbentrennung keine Neuerung, sondern eine aus der indogermanischen Periode ererbte Altertümlichkeit erblickt; in diesem Punkte weiche ich von Zupitza ab: dazu veranlasst mich nicht bloss die Uebereinstimmung zwischen lit. kraüjas und apr. crauijo „Blut" im Elbinger Vok., sondern vor allem der Parallelismus mit -aun'ien aus -anjan.

Wenn bei den Adjektivformen auf -annien -jan über -jen zu -ien geworden ist, so dürfen wir eine ähnliche Ent- wicklung auch für andere Akkusative auf -/^//^ voraussetzen. Und tatsächlich liegt in den meisten Akkusativen von ja-Stämmen der Ausgang -ien vor, und dort, wo wir etwas anderes finden, ist gewöhnlich der Grund der Abweichung klar. Das viermal auf einer Seite vorkommende tawischan „Nächsten" neben tawischeuj taivlsen^ J6 1 X wird deshalb -an haben, weil das / mit dem vorhergehenden Konsonanten (oder Konsonantengruppe sk) in den Laut s zusammen- geflossen war. Rikij8 „Herr" hat im Enchiridion ausnahms- los den Akkusativ ri{c)kija7i rekiau I; auch reykyen II wird dieselbe Endung haben: e für a kommt bekanntlich in II oft vor. Offenbar blieb das -a- von -'tjan auf dem ganzen samländischen Gebiete bewahrt: vgl. auch kalblan (1 X) Akk. „Schwert" (Vokab. kalabtan, lit. kalavijas N. S.) und ürtiau (i X) „dritte" (Akk. Sg. F.) = ürüeu II, wohl = ai. trtci/äm. Daneben tirian (1 X Ench.), tirün (1 X Ench.), ürün (1 X in 1). Von den übrigen Formen fällt uns bloss das zweimal vorkommende etwerpsenniau „Vergebung" (neben sechsmaligem elwerpsennien\ ausserdem 1 X -eunin^ 1 X -enninyi)

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auf. Ich verstehe nicht, weshalb wir hier -an finden ; wir dürfen aber an die Richtigkeit der Ueberlieferung nicht zweifeln, denn auch 11 hat eivjerpsenniau (2 X) und I et^ alt werpsa7inan (je einmal; ohne i\). In I und II sind dies die einzigen Akkusati ve von Substantiven auf -se?/7iis; das Enchir. enthält mehrere Akkusative auf -sennien.

Akkusative von /«^-Stämmen auf -ien dürften vorliegen in :

husennien, hoiisennieM^ hausannien „Wesen, Stand", usw. Bei- spiele gibt Berneker 179, der diese Verbalabstrakta richtig als männliche /^-Stämme auffasst. S. auch Trautmann 235. Ein paarmal kommt -sennin vor; s. Berneker aaO. Neben dreimaligem isspres(s)en7ii6n einmal Isspressennen^ m, E. ein Druckfehler.

aucktimmien (1 X) „Obersten". Vgl. die von Leskien Die Bildung der Nomina 302 [152] f. besprochene Wortklasse.

cjeiiien (2 X; auch 11 hat getjiie^i) „Brot": geii'm (3 X). Nomin. geits.

nerüe7i (3 X) „Zorn". Der Nom. Sing, kommt nicht vor, wohl der Genitiv nierties (1 X). Dieses Wort könnte auch ein weiblicher g'-Stamm sein (s. Trautmann 384). '^ ^)

noseÜien (7 X) „Geist" : noseilln (5 X), nuseilin (1 X). Nomin. noseilis (3 X, wovon 1 X mit ei geschrieben).

pichdlien (2 X) „Hölle". Im Elb. Vok. der Nomin. jö^/^w/*, im Enchir. der Genitiv pihillis (1 X).

pogirrien (1 X) „Lob". Vgl. lit. pagyris^ -io „id." bei Lalis, A dictionary of the lithuanian and english languages \\ 228.

Wenn vielleicht ein oder das andere dieser Wörter kein /^-Stamm sein sollte, so wird dadurch die Richtigkeit der Regel, dass -']an zu -leM wird, nicht in Zweifel gestellt. Ebensowenig geschieht das durch die Tatsache, dass neben -ien auch -iyi vorkommt. Der bei /«-Stämmen auftretende Akkusativausgang -'m wurde entweder durch die Nomi- nativendung -is oder durch das Nebeneinander von -ien und 'Vit bei andern Wörtern (s. S. 32 f.) oder durch diese beiden Ursachen zusammen hervorgerufen. Von einem Worte,

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das gewiss ein /«-Stamm sein wird [idis, mskl.: 49, 15 stavnds idis „solch Essen"; = lit. hJis^ edzio), kommt nur ein Akkusativ auf -m vor: po idin „nach dem essen" 53, 21; pohitas idhi „nach dem Abentmal" 49, 10, und die S. 30 besprochenen Formen aus 1 und II machen es wahr- scheinHch, dass diese Form allgemein-samländisch war. Auch von ^anis'is „Volk" kommt nur ein Akkusativ amsin vor (2 X). Allerdings könnte dieses AVort auch ein /-Stamm sein; das Litauische besitzt bekanntlich neben dem ja- Stamm um-tas, -is einen i-Stamm dmzis. ''')

Bei den Adjektiven sind ja- und i-Deklination kaum auseinander zu halten. Wie man aus Trautmann 245 f. ersehen kann, kommen mehrere Akkusative auf -in vor und nur einer auf -iew. deineunien „täglich" (2 X auf einer Seite; auf derselben Seite einmal deinennin\ I und II haben deln'man bezw. deyninan). Die weiblichen Formen werden mit den männlichen identisch sein.

Bei den Komparativen und den aktiven Partizipien ist -in aus -ni zu erwarten; vraisin „älter", vcJca kuslaisin „schwächst'', ainangimmusin „eingeboren" sind also laut- gesetzliche Formen. Die weiblichen Akkusative maldaisin „jüngst", nidfuwlntin „ungläubig", rlinntin „folgend" werden mit den männlichen Formen identisch sein, und nicht, wie Trautmann 248 und 254 vermutet, -in aus indogerm. -im haben, -in aus -rn liegt weiter in .?»^^^w6?;^^f^V^ (2 X) „Menschen" vor. Das daneben vorkommende smunentien (1 X) ist wie nacJciien, nautien zu erklären ; s. S. 33.

Ausser den bisher besprochenen Formen enthält das Enchiridion noch eine grosse Anzahl Akkusative auf -in und einige auf -ien. Ich werde sie in alphabetischer Folge mitteilen. Wenn kein Nominativ Sing, mit angeführt wird, so bedeutet das, dass dieser Kasus in den altpreussischen Texten nicht vorkommt; in diesem Falle zitiere ich, wo es möglich ist, eine oder mehr andere Formen aus dem Altpreussischen oder aus verwandten Sprachen. Das mit- geteilte Material zeigt mit genügender Deutlichkeit, dass

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diese Akkusative auf -in, -len für die Feststellung der laut- gesetzlichen Endungen der i-^ ja- und ^^-Stämme ^^) keinen Wert haben.

arrieu (1 X), in: kas arrlen Uäku „der da Dreschet". Ein Wort von unsicherer Bedeutung und Herkunft; s. Leskien Die Declination 34, Berneker 184 f., Trautniann XV, 238 und KZ. 43, 174 ff., Bezzenberger KZ. 44, 293.

astin (3 X) „Ding, Handlung". Von Berneker 281 mit einem Fragezeichen, von Trautmann 305 ohne ein solches zu idg. es- „sein" gestellt, unter Heranziehung von aind. svasti- „Wohlsein, Glück"; von beiden Forschern also als ein i-Stamm aufgefasst.

aits'm (1 X) „Gold". N. S. aasls im Vokab. Altlit. ausas, lit. duJcsas, lat. auruni.

äusün (1 X) „Maul". Vok. austo, abg. usta Neutr. Plur.

cUjlapagapün (1 X) „Werkzeug". N. S. pagapüs „brotspis" (d. h. „Bratspiess") im Vok.

etnijsti7iy etnlsün (oft) „Gnade": Akk. etnlstan 1 X; Gen. Sg. etnistis 2 X. „Unklar" (Trautmann 333). Auch Lewy Indogerm. Forsch. 32, 161 vermag das Wort nicht zu deuten.

garrin (1 X) „Baum". ^o\2^. gariayi „id."; \\i. g\re „Wald".

girbin (1 X) „Zahl". Möglicherweise direkt mit abg. ^r^'^Ä^i „xXy'iQo;^ ZU Verknüpfen. S. Trautmann 338 f. und die dort angeführte Stelle J. Schmidts, und auch Lewy Idg. Forsch. 32, 162.

greiwahaulin (2 X; IX mit ei) „Rippe". Vgl. l^.VX.haulei (1 X), Akk. Jcanlins (1 X) „Beine", Akk. Sing. Jcaulari (1 X), Vokab. caulan „Bein", lit. kdulas „Knochen". S. Trautmann 237, dessen Deutung der apreuss. Formen ich als unsicher betrachte.

höfftmarmin (1 X) „Hauptmann". Aus dem Deutschen.

iürin (2 X) „Meer". Das Vok. hat den Nom. PI. luriai/, 1. iiiriai/, das Litauische die weiblichen Pluralformen jures, jurios, daneben noch jnra. S. Sommer Die idg. id- und iö-Stämme im Baltischen 191 ff.

känxtin (1 X) „Zucht". Zu dem Adj. /^öj;?^?^* „fein, hübsch".

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kassin (2 X) „Schoss". Nom. Sg. kasschls 1 X. Ursprung unsicher, i- oder /Ä-Stamin?

keiserln (2 X) „Kaiser". Aus dem Deutschen.

kelkiu (1 X) „Kelch". Nom. kelks. I hat kelchs: kelkan, II kelkls: kelkau. Aus dem Deutschen.

kirkin, kijrk'm (5 X). Das als Genitiv Sing, verwendete kirki (1 X) ist entweder eine Nominativform nach der ^-Deklination oder es ist ein Druckfehler.

quäUhi (2 X gleich hintereinander) „Willen". Daneben quüitaii (1 X). N. S. quäiis (4 X), quaits (I, II), wohl = aind. keta-.

lastin (1 X) „Bett". Daneben lasiau (1 X). N. S. Vok. lusto.

madlin (15 X) „Bitte, Gebet". Daneben madlau (5 X). N. S. maddla. Aus poln. modta.

mijlm (IX) „Liebe". Daneben mijlan (1 X). Identität mit lit. vieile ist wiegen des abweichenden Vokalismus ausgeschlossen.

nädeiülsin (1 X) „Seufzen". Die zahlreichen Verwandten (s. Trautmann 381) gestatten uns nicht die Stammesgestalt festzustellen.

packaien (1 X) „Frieden". Wohl aus poln. /JöX-^y und dann wohl ein männlicher yVStamm. Auch ein Akkus, packan^ paokun (je 1 X) und ein Nomin. /j^c/:^ kommen im Enchir. vor.

perdin (1 X) „Futter". Zu diesem Worte lässt sich gar nichts bemerken.

pijrin (1 X) „Gemeinde". Der Dativ /;/?•« (1 X) setzt einen «-Stamm voraus.

poicijdliL (öfters) „Ding". Ausserdem bloss der Akk. PL poiveistins (1 X).

prätm (1 X) „Rat". Vgl. lit. proias „Verstand".

rikin (4 X) „Reich". Als Nom. Sg. kommt 35, 11 und 13 rijks, riks m. vor, 69, ?>2 dJoQV stas Riki Dt^itoas „ddü^^Qich. Gottes", und in II, mit weiblichem Pronomen, /^/;ay^a ?-y^Z:y.

salübiu (2 X) „Gemahl". Daneben 1 X sallübau,

seilin (1 X) „Fleiss". Ausserdem der Akkus. Plur. seiims (1 X) „Sinne". Vgl. ua-, noseilis (s. S. 29 und 35), lit. sfla „anima, animus, conscientia, vita". S. Büga Aistiski studijai 1, 82, Endzelin Archiv f. sl. Phil. 32, 295.

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schlnsieu (1 X) „Dienst". Postverbales Nomen.

fchlüsuikin (1 X) „Dienerin". N. S. schlnsnikai (1 X).

skrijsm (1 X), scris'm (1 X), scrijsien (1 X) „Kreuz". Vgl. lit. kryzius. Wie dieses aus poln. krzyz.

smün'in (1 X) „Ehre". Wohl postverbal.

spartin (1 X) „Kraft". Zum Adjektiv sparts.

sündin (IX) „Strafe". Daneben sündan (IX). Der Genitiv lautet sündis (1 X). Aus poln. s^d.

tärin (IX) „Stimme". Turin \ lit. iariu = lit. zodi: zadu? ^^) S. Trautmann 446.

tollin (1 X) „Zoll". N. S. tols (1 X). Aus dem Deutschen.

trenien (1 X) „Drohen". Zu tri7iie „droht".

loartin (1 X) „Tür". Vgl. Vok. umrio Neutr. Plur., lit. vartai.

weisin (1 X) „Frucht". Vgl. lit. vatsius. S. oben skrijsin^ und Trautmann 237.

wijrin (1 X) „Mann". Daneben wijrau (3 X ; 1 X unrichtig mit -alt geschrieben), wiran (1 X). N. S. tvijrs, wirs = lit. vp-as. Beachte den Akkus. Plur. sallübaiwlri?is (1 X) „Ehe- männer". S. Trautmann 237; die dort für lotjrin gegebene Erklärung ist freilich nicht mehr als eine Möglichkeit.

Nach dieser ausführlichen Besprechung der samländischen Akkusative auf -in, -ien kehren wir zu unserm Ausgangs- 'punkte, der Vertretung von -en, zurück. Die Betrachtung der nominalen Akkusative führte uns zu demselben Ergebnis wie diejenige von mien, tien, sien: auslautendes -en ist im Samländischen zu -ien geworden.

Dieses Lautgesetz wird mit der bekannten Neigung des Samländischen, inlautendes -en- in -ien- zu ändern, irgendwie zusammenhängen, und J. Schmidt war m. E. auf dem richtigen Wege, als er K. Z. 26, 398 Fussnote apr. mien, tien, sien zusammen mit piencts „der fünfte", aiisMendlai „er ersaufe", tienstwei „reizen" als Beispiele für die „Vertre- tung eines ursprünglich einheitlichen ^" durch le anführte. Auch siyienuns „gelitten habend" im IL Katechismus, das orthographisch genau mit pi/ienkts (II) übereinstimmt, wird hierhergehören. Es ist aber nicht möglich, all diese Fälle

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unter eine gemeinsame Formel zu vereinigen; ebenso ist auch vor r das aus e entstandene i^ eine nur in vereinzelten Wörtern (etwierpt usw.) auftretende Buchstabengruppe. Trautmann 98 f. hat versucht, ein Lautgesetz aufzustellen, aber diejenigen Fälle, wo dasselbe „nicht zu Tage tritt", sind zahlreicher als diejenigen, die zu demselben stimmen. Unter solchen Umständen muss ich die Trautmannsche Regel (s. die zitierte Stelle) für unrichtig halten ; nach Trautmanns Ansicht wären die widerspenstigen Beispiele aus mangelhafter Orthographie zu erklären. Soviel ich sehe, lässt sich eine Regel bloss für das auslautende -^"/^ geben. Ob die Ortho- graphie sti/ie)iuns, pijieukls in II auf eine starke Mouillierung des dem ie vorangehenden Konsonanten hinw^eist, wodurch diese Fälle sich von mien, semmien usw. unterscheiden würden, lässt sich nicht entscheiden, Mien, Üen, sloi kommen im II. Katechismus nicht vor; wir wissen also nicht, ob sie, wenn sie vorkämen, die Gestalt mien usw. oder mi/Leii usw. haben würden; und bei semmien usw. könnte das Fehlen des y dem schwachen Akzente zuzuschreiben sein.

Wie schon bemerkt, wurde das altpreussische ie als ein Vokal oder Diphthong ausgesprochen; s. S. 33, wo wegen des Doppelkonsonanten yor\ pirmanuien u. dgl. für diese Form- kategorie die Aussprache je in Abrede gestellt wurde : und w^enn dieses aus ja entstandene ie kein / mehr enthält, so wird das umsomehr für das aus '^ entstandene /^ gelten. Genauer wird sich die Aussprache des ie kaum feststellen lassen. Vielleicht haben wir einen ähnlichen Laut wie das lit. /-an- zunehmen; ifi würde dann, was seine Tonbewegung betrifft, dem lit. i'- ie entsprechen. Uebrigens ist es nicht ganz sicher, ob das ien von pi^ncts {llpi/ieuJcts) usw\ mit demjenigen von mien, semmien lautlich vollkommen identisch war: im ersten Falle entstand es ja aus en, im zweiten aus hi.

Allerdings könnte der Umstand, dass, soviel wir wissen, im Preussischen ebenso wie im Litauischen der weibliche Akkusativausgang -an mit der männlichen Endung -an zusammengefallen ist, '•") uns auf den Gedanken bringen,

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ob vielleicht auch -m zuerst zu -en gekürzt und erst dann zu -len geworden ist; und, soviel ich sehe, ist eine solche Vermutung ebensowenig zu widerlegen wie zu beweisen. Sollte wirklich die Zwischenstufe -eu anzunehmen sein, so wäre angesichts der Regelmässigkeit, mit welcher le bei mlen^ üen, slen auftritt, für f'n „in" und s^^ii „mit" Inlauts- und kein Auslauts vokalismus anzunehmen, was an sich sehr gut möglich wäre. ^') Ich mochte aber lieber in -ien die direkte Fortsetzung von -(in erblicken und für die Kategorien von mien, setnmien usw. einerseits, pieucts usw. anderseits zwei voneinander getrennte, wenn auch ver- mutlich durch eine und dieselbe Sprach tendenz hervorge- rufene Lautänderungen annehmen: einen ausnahmslosen üebergang von auslautendem -en in -ien und einen spora- dischen Uebergang von inlautendem -eu- in -ien- {-len-).

Abgesehen von der Gruppe -en entwickelte das ^^ sich im Samländischen gemäss der S. 23 f. formulierten Regel. Auch aus dem e der Genitivendung -es wäre also auf lautgesetz- lichem Wege l, i entstanden. Trotzdem bezweifle ich, ob Berneker 139, 189, Trautmann 232 recht haben, wenn sie die Endung von teisis^ gijiois als die regelmässige Fortsetzung des baltischen Ausganges -es auff'assen. Diese Frage hängt aber mit dem ganzen Probleme vom altpreussischen Genitiv Singular zusammen und muss innerhalb dieses Zusammen- hanges behandelt werden. S. das V Kap.

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KAPITEL II.

Zur samländischen Entwicklung des baltischen Ti.

Das Samländiscbe hat bekanntlich das urbaltische « nur hinter dentalen Konsonanten unverändert bewahrt; nach labialen und gutturalen ging u in 0, u (ü) über. Seit dem Aufsatze De Saussures Memoires de la Societe de Linguisti- que 7, 82 f. zweifelt wohl keiner an die Richtigkeit der Regel: „Nulle part un ä apres p, 0, /;/, k, (f\ Genauer hat De Saussure seine Regel nicht formuliert; erst Bezzen- berger hat in seinem Artikel über apreuss. po (Nachr. v. d. Kgl. Ges. der Wissensch. zu Göttingen, Phil.-hist. Kl. 1905, 454 fF.) versucht, den Wechsel von 0 und u unter eine Regel zu bringen: „/?ö^/ä<^?7 aus /v^/7/^^m</6/> zeigt sonnenklar, dass in der Sprache des III. Katechismus nach einem Labial unbetontes ä zu 0 geworden ist, und nur betontes als n erscheinen darf (oder, wie man besser sagen würde, dass hier a nach Labialen durch 0 vertreten, dies 0 aber unter dem Akzent in v übergegangen ist)" (S. 460). Dieselbe Regel soll auch für I und II gelten (S. 461): zwar komme in I. die Form somonentweij „ehren" (: II siiiu7iinhvey^Yj\\Q\\. smuninf) vor : 0 für v begegne uns aber auch sonst in diesem Texte (vgl. r/ohuns „-gefahren"); und ?aWMo^/;z „allmächtig" in 11 habe v-i/ssen mukls neben sich. Zur Regel stimmen in I und II po muttin (mufien), deiivuts (rle>/wuts) „selig", während auch mukinaiiy {-ei/ti) „lehret" ebenso wie im Euch, u hat.

Trautmann hat sich S. 126 f. der Bezzenbergerschen Regel angeschlossen, wobei ausdrücklich bemerkt wird, dass nach Gutturalen auch unbetontes ä zu 21 geworden ist. Für das Material verweise ich auf Trautniann.

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Ich glaube nicht, dass ßezzenbergers Regel einwandfrei ist. Für et nach p dürfte sie zutreffen : darauf weisen die Präposition po (auch Präfix) und enterpo „nützt" (eine Bil- dung wie läika, perhändd) einerseits, supüni „Frau", püdauns ■' ^) „getragen habend" anderseits hin. Aber nach ist offenbar jedes a zu u geworden. Zwar hat Bezzenberger aaO. 460 das w von mukint „lehren" (= lit. uboklnü) nebst seinen Ableitungen dem Einflüsse anfangbetonter Formen wie lit. mSku „kann", mokstit „erlerne", mokslas „Lehre", imrnoke „unterwies" (Geitler Litauische Studien 23, 11) zugeschrie- ben ; eine solche Deutung ist aber sehr unsicher, weil das Verbum mukint gar kein seltenes Wort gewesen sein wird und wir nicht wissen, inwiefern das Preussische anfang- betonte Formen mit inük- besessen hat. Wir können sogar weiter gehen und behaupten, dass ein unbetontes mo aus nicht nur unsicher, sondern sehr unwahrscheinlich ist; denn es gibt ausser mukiui noch eine andere Form mit unbetontem fnu aus wM, die man bisher in diesem Zusam- menhange wenig beachtet hat, die aber trotzdem hierher- gehören wird: die im IL Katechismus vorkommende 3. Pers. Sing. Prät. lymuczt „brach(s)" aus ^li/mu-ts. ■'^) Die hierin enthaltene Verbalform lymu kann kaum etwas anderes sein als ein Präteritum auf -ä(t) lit. -o ; der Gegensatz It/mu < '^lemä{t) : lit. lerne ist nicht auffälliger als derjenige zwischen apr. küra „baute" und lit. kure (s. Bezzenberger KZ. 41, 106). Dass '^lema{t) ein Paroxytonon war, darauf weisen nicht bloss die Anfangbetonung und der Akut von lit. lerne hin, sondern vor allem die im Enchiridion vorkommende Form llmauts, die als ein durch das unmit- telbarvorhergehende dinkauts verursachter Fehler für ^limu-ts aufzufassen ist; s. im X. Kap., und auch Bezzenberger KZ. 41, 109 f., dessen Aenderung von Um.auts in Umiits ich als eine unnötige Vergewaltigung des Textes betrachte.

Ich glaube, dass in den samländi sehen Texten auch ein Wort mit o aus ä nach einem gutturalen Konsonanten vorkommt, und zwar das Partizip en-kopts (Ench., 3 X),

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en-cops (T), en'C[uoptzt (II) „begraben". Sowohl Berneker wie Trautmanii gehen von einer Grandform mit ä aus; s. Berneker 143, Trautmann 109. Aus diesen beiden Stellen ergibt sich aber die Wahrscheinlichkeit einer solchen Deu- tung nicht. Bekanntlich kommt samländisches o für a besonders oft im auslautenden -on i\ix -aii vor, '' ^) sonst nur sehr sporadisch, ''^j Wäre es nun nicht mehr als auffällig, wenn nur das eine Wort en-kopts {encops, enquoptzt) regel- mässig 0 aus ä hätte? Weil der ö-Vokalismus in den drei Katechismen •'"') vorkommt, in einem derselben sogar an drei Stellen, ist die Alleinherrschaft der Form mit o nicht als eine orthographische Zufälligkeit zu betrachten. Das hat auch Berneker gefühlt: er hat deshalb an die Richtig- keit seiner Auffassung gezweifelt, und sich die Frage gestellt, ob nicht langes o vorliegen könne, diese Frage aber ver- neinend beantwortet, weil das o nie das Längezeichen hat und weil nach einem Guttural u {?"') zu erwarten wäre. Was die Entwicklung des ä ^") betrifft, so glaubte Berneker, dass es nach Gutturalen und Labialen stets in ti (ü) über- gegangen sei; später hat Bezzenbergers Aufsatz über /)o die Unrichtigkeit dieser Annahme dargetan. Ich glaube deshalb, dass Berneker, wenn er sein Buch zehn Jahre später geschrieben hätte, sich durch das o weniger von der Annahme eines langen Vokales hätte abschrecken lassen. Und die Schreibweise enkopts, nicht '^enlöpis^ an allen drei den Stellen des Enchiridions ist nicht auffälliger als enimt Inf. (1 X), enimtoii Inf. (1 X), enimts Part. (3 X), während imt an der einzigen Stelle, wo es vorkommt, das Längezeichen hat.

Ich erblicke also in [en-)kopts ein urbaltisches "^käp-ta-s. Der Infinitiv dazu würde ^käp-ü lauten und ich glaube, dass dieser Infinitiv tatsächlich in lit. kopü „klettern, steigen" vorliegt. Zur Bedeutung dieses Zeitwortes Fol- gendes: der Bedeutung „klettern" kann die Vorstellung einer kratzenden, scharrenden Bewegung zugrunde liegen, wobei man sich mit Händen, Füssen und Knien an die

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Gegenstände, woran man vorüberkommt, festhakt, sich in dieselben sozusagen eingräbt; vgl. Falk-Torp Norwegisch- dänisches etymol. Wörterbuch S. 572, wo zu norw. krahhe „krabbeln, kriechen", dial. auch „grapsen, scharren", schwed. dial. und isl. krahha „kriechen" Folgendes bemerkt wird: „Die doppelte bedeutung „kriechen" und „grapsen" erklärt sich daraus, dass das wort eigentlich „kratzen" bedeutet, woraus „kriechen, indem man sich festhakt"." Und von „kriechen" zu „klettern" ist ein kleiner Schritt: das von Falk-Torp in demselben Artikel angeführte engl. scrahhle bedeutet „grapsen, kratzen, klettern", beim slav. lezü begegnen uns die Bedeutungen „kriechen" und „klet- tern", — im Niederländischen sage ich ganz einfach: Eij Jcroop op de last „er kroch auf den Schrank" für „er klet- terte auf den Schrank".

Im Vorhergehenden hoffe ich gezeigt zu haben, dass samländ. rniiJchd, lymuczt,, e7ikopts (encopSy enquoptzt) sich der Bezzenberger-Trautmannschen Formulierung der Regel für altpreuss. ä nach Labialen und Gutturalen widersetzen. Diese Formulierung wird also nicht ganz richtig sein ; ich vermag aber nicht, sie durch eine bessere zu ersetzen, und einstweilen muss ich mich mit einem negativen Ergebnis rneiner Untersuchung begnügen. Auch für die samländische Entwicklung des baltischen ö ist kaum eine Regel zu geben : s. S. 48 ff. In beiden Fällen ist die Ursache unserer Un- wissentheit für einen grossen Teil im geringen Umfange des Materials zu suchen.

Diese Untersuchung würde unvollständig sein, wenn ich nicht dem Worte pirmonivis einige Zeilen widmete. Denn Bezzenberger hat KZ. 41, 80 dieses Wort und seinen Ak- kusativ pirmonnien direkt mit lit. plrmonu „Erstling" ver- knüpft, er scheint also im apr. o die Fortsetzung einer urbaltischen Länge zu erblicken. Trautmann 399 hat diese Deutung akzeptiert, obgleich es ihm nicht entgangen ist, dass das -nn- Schwierigkeiten macht: nach einer Länge wäre einfaches -n- zu erwarten. Für mich beweist das -?/j/-,

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dass Bezzenbergers Hypothese unrichtig ist. Ich vermute, dass plrmonnis, das „der erste" bedeutet, zum Akkusativ pirm,o7iuieu gebildet worden ist. Diese Form wird mit pir- mannien^ -in identisch sein. Die Stellen wo die Akkusative vorkommen, lauten folgenderweise :

a. pirmonnien'. 55, 35: Kn Tirmnnnien \ 1. Timolh. 5 „1. Timotheo am 5". Das Zahlwort „1" wurde zuerst übersetzt, dann noch einmal durch das Zeichen 1 angedeutet;

h. pirmaimien : 63, 13 f.: '/'//' hlrdeiü en Virmannin stan vnrdan Deiwas „So hört zum ersten das Wort Gottes", 63, 16: Tit pelsai Maises eri pirmaunien laisken „Also schreibt Moses im ersten Buch', 63, 35 f.: TU kirdijtienPimian- nien stau pallaipsau JJelvas „So höret auffs erste das Gebot Gottes", 57, 27 f. : kai dei . . . | Ku pmnannin segge | Madlan usw. „das man ... | zu erst thue | Bitte usw.".

Wir haben m. E. hier ebensowenig wie bei /?awÄ^/<2y;/ö;z^^iV;/, pansdaumuimien ''^) das Recht, die Formen mit o von den- jenigen mit a zu trennen, und der den Formen pirmonnis^ pirmonnie7i, pirmaunien {-in) gewidmete Passus Bezzenbergers KZ. 41, 80 sowie auch die Artikel pirmas und pirmmmis'm Trautmanns Wörterbuch sind den Bemerkungen ühlenbecks Die drei Catechismen in altpreussischer »Sprache 51 und Bezzenbergers BB. 23, 305 gegenüber als ein Rückschritt zu betrachten. Uhlenbeck und Bezzenberger erblickten dort sowohl in pirmonnien wie in pirniannien zusammengesetzte, wie lit. plrnKiji gebildete '•'^) Akkusativformen was ohne Zweifel richtig ist , Uhlenbeck ging noch einen Schritt weiter, indem er pw^/zö/zwi* als einen „fehlerhaften nominativ, nach analogie des accusativs pirmonnien^ pirniannien vom Übersetzer gebildet" auffasste. Diese Erklärung halte ich für richtig, obgleich ich nicht entscheide, ob pirmonnis (an zwei Stellen : 29, 24 8tas Pirmonnis Dellijks Der Erste Artickel", 59, 26 f. stas pirm.07iuis pallaips „das erste Gebot") ein Fehler Wills oder eine in der gesprochenen altpreus- sischen Sprache entstandene Analogiebildung ist. Letzteres wäre sehr gut möglich, denn das bestimmte Adjektiv

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war zur Zeit Wills wohl eine im Aussterben begriffene Formation, die vom Sprachgefühl vielleicht nicht melir als eine besondere Wortkategorie empfunden wurde; dazu kommt, dass offenbar die Sprache aus irgend einem Grunde bestrebt war, die Form pirmas (nur in 1) durch sekundäre Bildungen zu ersetzen : II und Ench. haben plrmois. ^ ")

Das 0 von pirmonnin hat nichts Auffälliges. Bekanntlich kommt die Endung -ou fiir -an häufig vor, speziell bei Adjektiven und Participia. So begegnet uns der Akkusativ dessimton zweimal mit der Bedeutung eines Ordinale, während dessimton^ dessim,to7is als Nomin. bezw. Akkus, des Kardinale („zehn") einmal bezw. zweimal belegt sind; an zahlreichen Stellen schreibt Will sta billiton „das Gesagte", kein einziges Mal HlllUan; usw. Eine Erklärung für dieses aufftillige -ou vermag ich nicht zu geben. Es genügt aber für unsern Zweck, die Häufigkeit seines Vorkommens zu konstatieren.

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KAPITEL III.

Zur samländischen Vertretung des baltischen ö. ^^)

S. 45 wurde bemerkt, dass das dürftige Material der Katechismen uns nicht gestattet, für die Vertretung des baltischen fi im Samländischen eine Regel aufzustellen; dass das ä nach Dentalen als n, a auftritt, ist klar; von welchen Bedingungen aber die Entwicklung von u nach Labialen und Gutturalen bald zu o, bald zu ?7, n abhängig war, wissen wir nicht.

Ebenso grosse Schwierigkeiten bereitet uns das baltische ö. Nicht über alle Teile dieses Problemes habe ich etwas Neues zu sagen. Deshalb begnüge ich mich mit einigen Bemerkungen zu einem Teile des preussischen Materials, der bisher nach meiner Ansicht unrichtig oder (von Ber- neker) nur teilweise richtig beurteilt wurde. Für das Uebrige verweise ich auf Berneker 148 ff., Archiv f. slav. Phil. 25, 476, Trautmann 122 ff., 128 ff., Bezzenberger KZ. 44, 302 ff., an welchen Stellen auch die frühere Literatur mitgeteilt wird. Was das litauische // anbetrifft, so bemerke ich, dass ich es als die regelrechte Fortsetzung des idg. (urbalt.) ö betrachte; daneben scheint aber ö aus idg. 0 vorzukommen; nicht für alle Fälle, wo es vorliegt, ist m. E. eine befrie- digende Erklärung gegeben worden; s. S. 53.

Baltisches 0 werden wir für tickröma- (Nom. Flur, ückrömai) „gerecht" nebst seinen Ableitungen und für perönin (Akk. Sg. F.) „gemein", peröni „Gemeinde" nebst Ableitungen annehmen müssen (s. Berneker 152 f., Trautmann 129); denn was könnte das ö dieser Formen sonst sein ? Baltisches ü ist wohl ausgeschlossen; und alle übrigen Vokale und Diphthonge kommen noch weniger in Betracht.

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Anderseits gibt es samländische Wörter mit ä aus ö nach einem dentalen Konsonanten. An erster Stelle kommt das Verbum dät, dätivel^ dätun{-si) [dat^ datv-ei, daton) „geben", Präs. däse, däst (dasf) in Betracht. Das Litauische hat be- kanntlich d'/tti, d/h/ü, -<s), und ohne einen zwingenden Grund dürfen wir nicht an die Identität von apr. däö mit lit. dlUl, von apr. däse mit lit. düsl zweifeln. Dass der Voka- lismus von dät sich unter slavischem Einflüsse entwickelt haben sollte (Zubaty BB. 18, 218), ist unglaublich: ein viel gebrauchtes Zeitwort wie dät „geben" muss im Kampf ums Dasein zu den stärkeren Wörtern gehört haben, die am wenigsten der Gefahr ausgesetzt waren, auswärtigen Ein- flüssen zu unterliegen. Aus demselben Grunde kommt mir auch Trautmanns Ansicht (123 f.), dass der preussische ä-Vokalismus von dät usw. mit demjenigen von baltischen Wörtern wue lit. dovanä „Geschenk" zusammenhänge (s. auch Bezzenberger BB. 23, 301) und ebenso wie dort ein auf eine ziemlich verwickelte Weise entstandenes Analogie- produkt sei, unannehmbar vor, und obgleich ich den Gegensatz dät: tickrömai, perö/ii nicht erklären kann, halte ich an Bernekers Meinung (150 f.), ^'^), dass dät dem lit. dilti vollständig entspreche, fest.

' Umso zuversichtlicher tue ich das, weil auch in einem andern Worte dem lit. ü ein preussisches a entspricht und zwar in der Präposition na „auf; nach, gemäss; gen" = lit. ml, slav. na.

Neben na steht no. ^'^) Berneker 151 identifiziert na, nä- (in nä-deivisin „Seufzen") mit lit. nft; zu no bemerkter: „no die häufigere Form hat o für a, verhält sich also zu nä- wie lit. nu zu nf(.^\ ^'*) Trautmann 128 meint, no habe altes ö wie lit. na, gr. «iö», tz« entspreche einem indogerm. "^no (also mit Ö). Bezzenberger KZ. 44, 304 sagt u. A. Fol- gendes: „no ist das weitaus häufigere, die Verwendung von no und na nicht geregelt. Ob noseilis (III) oder naseilis (I, II) richtig ist, ist aus dem Preussischen allein nicht zu erkennen; über die lautliche Gleichwertigkeit von

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no und nfi scheint mir bis jetzt weder ein Zweifel geäussert zu sein, noch aufkommen zu können, während die Stellung von na fraglich ist. Es kann neben lit. riu- stehen , wie au-pallnsts, -pallai neben lit. pidti (vgl. Wiederaann Lit. Prät. S. 23, vgl. Trautmann S. 129 b), oder es ist und dies empfiehlt der Sinn dem lit. postpositiven na (vgl. gr. avä, Geras S. 159 f.) gleichzusetzen."

Es kommt mir vor, dass die drei Forscher, deren Worte ich zitierte, der Weise, worauf die Formen na und 7io über unsere Texte verteilt sind, nicht die gebührende Aufmerk- samkeit gewidmet haben.

Die samländischen Mundarten verhalten sich dem Ge- brauche von 7ia und wo gegenüber verschieden. Während im Enchiridion die Präposition beinahe iiberall no lautet und nur an zwei Stellen na (29, 16 f. segrjUna tennessei pallaipsans „thun nach seinen Geboten"; 79, 2 f. vnsel gvlans nadaugou Auffgefahren gen Himel"), kennen I und II nur die Form na (7, ß ua semmei/, 13, 4 nasemmieij „auff erden"; •^ ^) 11, 31 Vnsei guhons naäengoji „AufFgefaren gen himmel";

I hat hier andangon, 5, 32 ^^'')). Und dass dieser Gegensatz nicht auf dem Zufall beruht (angesichts des geringen Um- fanges von I. II, wo unsere Präposition im Ganzen nur dreimal vorkommt, könnte eine solche Vermutung leicht aufkommen), das wird durch den Gegensatz zwischen uaseilis, nauylls^ -ien, -in „Geist", welche Formen in I und

II zusammen 6 X belegt sind, und den im Enchiridion an zahlreichen Stellen vorkommenden Formen owseilis (Nom. und Gen.; 1 X -ei-, 1 X -;>, 1 X -^>), -len^ -in bewiesen. Der Unterschied zwischen naseAUs und noseilis war ein dialektischer, und derjenige zwischen na und no ebenfalls. Haben wir nun anzunehmen, dass aus dem baltischen ö dieses Wortes in den Dialekten von I und II auf lautge- setzlichem Wege a entstanden ist, in der Mundart Wills aber o? Eine solche Annahme ist deshalb unbedingt ab- zuweisen, weil im Enchiridion neben //o auch ^a vorkommt, und zwar nicht bloss als Präposition (s. o.), sondern auch

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als Präfix: nädeiviain „Seufzen", nadruwiman „Hoffnung", nase'dliwhifjiskan „geistlich" (je 1 X). Neben dieser letzten Form ist noseilenmigiskan (1 X) belegt, das sich an noseilu anschliesst; ausserdem liegt yio- bloss in nowaitiänns „nach- geredet habend" (1 X) vor.

Meines Erachtens lassen sich die vorliegenden Verhält- nisse am besten durch die Annahme erklären, dass das in den drei Katechismen vorkommende na, na- die laut- gesetzliche samländische Form ist, während no, no- eine Neubildung der Mundart Wills sein wird. Wie dieselbe entstanden ist? Ich möchte Beeinflussung durch po ver- muten.

Dieser selbe Einfluss dürfte auch pro ins Leben gerufen haben, das zweimal im Enchiridion vorkommt, neben viel häufigerem pra „durch, fiir". An einer dieser beiden Stellen, wo pro vor einem Infinitiv steht und das deutsche „zu" übersetzt {pro pohaimt 55, 18), liegt die Vermutung nahe, dass pro ein Fehler für prei sei. Nesselmann Die Sprache der alten Preussen 123, Bezzenberger KZ. 44, 303 haben auch an der andern Stelle {proston Swinian NuseiUn 73, 8 „durch den Heiligen Geist") pro für einen Druckfehler erklärt. Die Möglichkeit, dass sie recht haben, ist nicht zu leugnen; anderseits aber macht das unleugbare Vor- kommen eines Präfixes pro- ihre Ansicht sehr unsicher. In I und II sind pra oder pro als Präposition nicht belegt, wohl aber als Präfix: proioela „verrieten" (I, II); proManiitz „verdammt" (I; II \\.2X\)\^r^ preclaniyts)\ prallten „YQVgos^QVi^ (II; I hat hier pallelan); im Euch, kommen vor: prolieiton, jyroledon (zusammen 3 X), pralieüon (1 X) vergossen", ^fä- bufsl'as, prahutshas „ewig" (auch andere Kasus, und ein fem. Substantiv prä-, prabutskan Akk. ; öfters), prakäisnan (1 X) „Schweiss", pram.aälln (1 X) „Fürbitte".^ praioedduns (1 X) „durchgeführt habend", praioilts (1 X) „verraten".

Aus den vorhergehenden Verzeichnissen von Formen ergibt sich, dass die Verteilung von pra, pra- und pro, pro- eine andere ist als diejenige von na, na- und 7io, no-. Dieser

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Unterschied ist kaum zu erklären. Ich glaube aber nicht, dass er gegen die Vermutung, dass no[-) und pro[-) unter dem Einflasse von po[-) entstanden sind, spricht. Allerdings ist auch der Beweis für die Richtigkeit dieser Vermutung kaum zu erbringen.

Wie aber der Vokalwechsel auch zu erklären ist, auf jeden Fall werden wir pra^ pra- und /j/-ö,/;7'ö- für im Grunde identisch halten müssen, und ebenso 7ia, na- und no^ no-. Bei einer oberflächlichen Betrachtung könnte man auf den Gedanken kommen, dass pr. pra, pra- dem lit. pra-, pr. pro, pro- dem lit. pro entspreche; aber sobald wir auf das 17 mal vor- kommende Längezeichen von prähutskas, -an, -al aufmerksam geworden sind, müssen wir einen solchen Gedanken wieder aufgeben. Auch na, na-\ no, no- können kaum aus einem Formenpaar ^^nö- : '^~nö entstanden sein ; denn auch hier kommt nur die Form mit a mit dem Längezeichen vor ((fiädeivisin 1 X). ^'^) Dazu kommt noch, dass sowohl das Litauische und Lettische wie auch das Slavische ausschliess- lich langvokalische Formen zeigen {nu, nu- hat sekundäre Kürze; s. Bem. 64); eine kurzvokalische Form könnte man höchstens für die litauische Postposition -na annehmen : s. Bezzenberger reuag 162 f. Weiter beachte man, dass weder zwischen na, na- und no, no- noch zwischen pra, pra- und pro, pro- ein solcher Funktionsunterschied existiert hat wie zwischen pa- und po, po- (s. darüber Bezzenberger Nachr. V. d. Kgl. G. d. W. zu Göttingen. Ph.-h. Kl. 1905, 454 ff.).

Aus dem Vorhergehenden dürfte sich ergeben, dass nicht nur pr. na{-), no{-), sondern auch pra{-), pro{-) ausschliesslich langvokalische urbaltische Grundformen voraussetzen. Das stimmt ausgezeichnet zu der Tatsache, dass auch das pr. po eine ausgedehntere Gebrauchssphäre hat als die ent- sprechende lit. Form pd (s. Bezzenberger aaO. 454 ff.). Im Hinblick auf diese altpreussischen Verhältnisse möchte ich die Vermutung aussprechen, ob vielleicht auch das Urlitaulettische ebenso wie das Preussische die Verbalpräfixe prä- und pä- gebraucht hat : für die in der historischen

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Periode der litauischen und der lettischen Sprache auf- tretenden Präfixe pra-^ pa- wäre dann eine ähnliche Vokal- kürzung anzunehmen wie für nii-.

Wir kehren zu unserm Ausgangspunkt zuriick. Ich hoffe es wahrscheinlich gemacht zu haben, dass das Samländische eine Präposition auch als Präfix gebraucht besessen hat, die (trotz des Bedeutungsunterschiedes; s. Bezzen- berger KZ. 44, 304) mit lit. wm identisch war. Dieses bestätigt unsere Annahme, dass saml. dät dem lit. duü entspricht. Wie die verschiedene Behandlung des urbal- tischen ö in dät, na einerseits, ückrömai^ peröni anderseits zu erklären sei, das verstehe ich ebensow^enig wie Berneker 152 f.

Wir haben es offenbar im Samländischen ebenso wie im Litauischen mit einer doppelten Vertretung desindogerm. ö zu tun. Im Litauischen tritt gewöhnlich 11 auf; die Wörter mit 0 (urlitauisch a) aus ö hat man auf verschiedene Weisen zu deuten versucht, ^'^) bisher ist aber für solche Fälle wie vokas „Augenlid" (: slav. veko), w,6lis „Lehm" (: slav. mein), hnones „Leute", t)lto „der Briicke", soviel ich weiss, keine befriedigende Erklärung gegeben. Wenn dem lit. ü Liberall ein saml. o^ dem lit. o ein saml. a (oder daraus nach Lab. und Gutt. entwickeltes ö, u) entspräche, so wäre es klar, dass das indogerm. ö sich in der urbaltischen Periode in zwei Laute gespaltet hätte; jetzt aber, wo den lit. Wörtern d'aü^ na im Samländischen dät und na gegen- überstehen, bleibt die urbaltische Entwicklung des idg. ö uns vollständig dunkel. Es ist wohl am einfachsten, neben urbaltischem ä (aus idg. ä) ein ö (aus idg. 6) anzusetzen und dann weiter anzunehmen, dass in jedem der beiden Zweige der baltischen Sprachfamilie das ö sich in zwei Laute gespaltet hat, wovon einer mit ä zusammenfiel, der zweite von diesem Vokal verschieden blieb. ^'^) Das ist allerdings keine Erklärung, sondern nur die Formulierung eines ungelösten Problemes.

In einem Falle ist offenbar ö nach allen Konsonanten

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zu saml. u geworden, und zwar im absoluten Auslaut bei akutierter Intonation : stestnu usw., grikii usw., auch siru usw. und stu (s. im VI. Kap.). Allerdings ist die Möglichkeit nicht ganz ausgeschlossen, dass stu unter dem Einfluss von ku und sirii u. dgl. unter dem Einfluss solcher Nomina, wo dem ein Labial oder Guttural voranging, entstanden sind. Ein ähnlicher Uebergang von auslautendem aku- tiertem in -?7, -it im Gegensatz zu andern Positionen liegt auch im Nord- und Westgermanischen vor (s. Janko Idg. Forsch. Anz. 15, 249 ff.).

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KAPITEL IV.

Samländische Flexionsformen auf -ei und -ai und das Problem vom preussischen e.

Trautmann hat Die altpreussischen Sprachdenkmäler 242 f., um den doppelten Ausgang des adjektivischen Nomin. Plur. (kanxtei : dürai usw.) zu erklären, für die samländische Sprache das Lautgesetz angenommen, „dass -e^i und -«i, das auf altem Kurzdiphthong beruht, im absoluten unbetonten Auslaut dem Verfall unterliegt : es erscheint als -ei^ -ai, -l, -e, d. h. zu der Zeit, aus der die Katechismen stammen, herrschte noch ein starkes Schwanken, so dass die üeber- setzer verschiedene Laute gebrauchten : es wird ein offner ^-Laut mit bald stark, bald schwach vernehmbarem i-Nach- klang gewesen sein. Dies steht im Gegensatz zu der Exakt- heit, mit der besonders in III die ei und ai sonst aus- einandergehalten sind."

Gegen diesen Passus hat sich Solmsen KZ. 44, 170 ff. gewandt. Er weist darauf hin, dass, „wenn wdr von den Schwächungen e, i absehen", ein Teil der Formkategorien nur -ei, ein anderer Teil nur -ai und eine dritte Gruppe sowohl -ai wie -ei hat : es wird dann weiter nachgewiesen, dass bei den zur dritten Gruppe gehörigen Kategorien nur je eine Endung alt ist, während die andere auf analogischem Wege aufkam.

Ich glaube, dass Solmsen vollständig recht hat, und das wird jetzt wohl die am meisten verbreitete Ansicht sein. Weil ich aber nicht in allen Einzelheiten mit Solmsen einverstanden bin und seinen Ausführungen hie und da einiges hinzufügen kann, widme ich den Formationen auf

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-ei und -ai eine spezielle Besprechung. Diejenigen Ausgänge, wo -ei, -ai auf indogermanische Langdiphthonge zurück- gehen, bleiben ausser Betracht (Dat. Sg. semnieij, semmieij\ pad'ai usw.; über die Endung des Nom. Plur. Mask. auf -a^ s. Kap. VII). Wie sich aus dem Material ergeben wird, sind -e, -i mit -ei gleichwertig; sie weisen auf eine Schwächung des unbetonten -ei hin.

Nur -ei {-e, -i) haben folgende von Solmsen aaO. 171 aufgezählte Formationen :

1. der Infinitiv auf -itvei (-tive, -twi),

2. der Dativ Sing, der Personalpronomina : mennei, ieh- hei (-<?), sebbei,

3. der pronominale Gen. Sing.: maisei, iioaisei [ttcaise, swaise), stessei, steisei {-e, -i), sc/iieise, temiessei,

4. der Nomin. Plur. lennei,

ausserdem : 5. der Dat. Sing, der i-Stämme: 7iaidei, maitei.

Ueber ietinei werde ich im VIII. Kap. reden. Der Infinitiv auf -üvei {-twe, -twi) ist ein indogermanischer Dativ auf-^i; s. darüber den schönen Aufsatz Solmsens, der den Aus- gangspunkt dieser Untersuchung bildete. " ") Auch mennei^ iebbei [-e), sebbei sind Dative auf idg. -ei, und richtig ver- gleicht Solmsen aaO. osk. tfei, sifei, pälign. se/ei.

Daneben führt Solmsen die litauischen Dative mdnei, tdvei, sdvei an. Diese Formen müssen aber mit grösserer Vorsicht benutzt werden als Solmsen es tut.

Die gewöhnlichen Dativformen sind lit. itidji, tdv^ sdv (dial. tau, sau). Sie entsprechen altlitauischen mani, tavi, savi\ 7nan hat in gewissen Gegenden noch ein weiches w, s. die mundartlichen Formen in Kurschats Grammatik der littauischen Sprache 235 ; auch ßaranowski schrieb in seinen Briefen 7nan, man ; s. Baranowski- Weber Ostlitauische Texte 1, II ff., Lietuviu^ tauta 1, 417 flf. passim, und der Schreibweise man begegnen wir auch im altern Litauischen; s. u. A. Rozwadowskis Ausgabe der Universitas linguarum Litvaniae 19, 63. Neben diesen Formen treten in zemai- tischen Mundarten Dative auf -/i auf; so zitiert De Saussure

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Indogerm. Forsch. 4, 461 Fassnote 1 aus Audrjewo munei, sdwei, und solche zemaitischen Formen haben Schleicher veranlasst, einen Dativ manei in seine Litauische Grammatik (T. 1 des Handbuches der litauischen Sprache) aufzunehmen (S. 216); s. Bezzenberger BB. 15, 301, wo richtig bemerkt wird, dass das zemaitische -et wofür Bezzenberger -e"- schreibt, Dowkont -ej im Schriftlitauischen -c lauten würde. Ein nicht-zemaitisches mdnei vermag Bezzenberger nur aus einer von Leskien publizierten daina aus der Gegend von Wilkischken (Leskien-Brugmann Litauische Volkslieder und Märchen 49, Nr. 83) zu belegen. Was die zemaitische Endung -et [— schriftlit. "^-e) betrifft, diese wird angesichts der Uebereinstimmung zwischen apr. mennel^ iehhei, sebbei und osk. tfei, sifei, pälign. ,?<9/6^i gewiss urbaltisches -ei ^') haben, aber deshalb haben wir noch nicht das Recht, mit „litauischen" Dativen ??^rt/^6^i, ?5(;m^i, *^y^i zu operieren. "^ 2) Zem. munei, sdvei würden in demjenigen Litauischen, das man gewöhnlich ohne Weiteres mit diesem Namen bezeichnet, ^mime, ^säve lauten; und das mdtiei der von Leskien publizierten daina wird kaum in der Umgangs- sprache einer nicht-zemaitischen Bevölkerung in dieser Gestalt existieren.

' In diesem Zusammenhang ist auch für die nominalen Dative nautel „Not", mattei „Mass" eine bessere Deutung als die bisherigen Hypothesen möglich. Berneker 190 iden- tifizierte die Endung -el mit dem Ausgange von lit. näkczlai, näkczei', Trautmann 237 ging von idg. -iöl aus. Nun hat nach dem Erscheinen von Trautmanns Buch Porzezin'ski Indogerm. Forsch. 31, 423 ff. auf den zemaitischen Dativ- ausgang der i-Stämme -ei, -l aufmerksam gemacht, dem ein schriftlitauisches -e entsprechen wiirde und der also auf vorlitauisches -ei zurückgehen kann ; und dann iden- tifizierte Meillet Mem. Soc. Ling. 18, 378 f. diese Endung mit derjenigen von abg. pq,ti, kosti, lat. ovl\ im idg. -ei erblickte er eine haplologische Kürzung von -ey-ei oder -ey-ai. Diese Deutung kommt mir sehr wahrscheinlich vor. Aber auch wenn sie nicht richtig sein sollte, genügt die

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Uebereinstimmung zwischen zem. vagei, vagl und abg. pc^ti^ kosti, eine baltoslavische Dativendung -ei fiir die i-Stämme wahrscheinlich zu machen. Dann wird aber auch in apr. mattei, nautei diese und keine andere Endung vorUegen.

Auch die pronominalen Genitive auf -sei {-se, -si) geben zu einigen Bemerkungen Anlass. Die zahlreichen Belege, die man in Trautmanns Vokabular unter ains, aitwntSy as, Schis, stas, sivalse, täns, tu, Uvais finden kann, zeigen deutlich, dass die Endung -ei ist und nicht -ai. Die Anzahl der Belegstellen ist so gross, ~ ^) dass wir in iousal (iousai siras „ewers hertzen" 59, 32) einen Fehler erblicken diirfen (anstatt "^iousei oder etwa '^iousas mit nominaler Genitiv- endung), und ebenso im einmal bei einem weiblichen Subst. vorkommenden tivaisai {sta?i lJäia?i twaisai CrutisnarL „die Gabe deiner Tauff" 73, 16). Trautmann fasst auch subsai 31, 28 [Nosta?i kai as tenneismu suhsai asmai „Auff das ich sein eygen seye") als Genitiv Singular mit der Bedeutung „ipsius" auf. Diese Deutung trifft ixw supseibo,14i{siüaiäsmu supsei (juttan „seinem eigen Hause") ohne Zweifel zu; '''') suhsai 31, 28 wird aber zunächst im Zusammenhang mit supsai 33, 5 (is supsai ispresnä „aus eigener VernunfFt") zu betrachten sein, welche Form Trautmann als einen Dativ Sing. Fem. auffasst. Was suhsai, sujjsai für eine Form ist, ist kaum mit Sicherheit zu sagen. Angesichts der sehr grossen Anzahl von Genitiven auf -^ei (-ä*^, -*i) kann es kein regelmässiger pronominaler Genitiv sein. Ist es dann viel- leicht ein falsch geschriebener Genitiv? Oder diirfen wir vermuten, dass Will, um das Wort „eigen" zu iibersetzen, einen andern Kasus oder eine Ableitung von sups „selbst" gewählt hat, die er in andern Fällen von einem Tolken oder sonst zur Uebersetzung des deutschen „eigen" hatte gebrauchen hören? '•'•) Auf jeden Fall beweist subsai, supsai keine Genitivendung -sai. Was die Erklärung von -sei be- trifft, dieselbe ist unsicher. Trautmanns Annahme, dass von idg. -sjoi auszugehen sei (262), ist verfehlt : aus sj wäre nicht s, SS entstanden (s. im VI. Kap.). Es ist kaum eine

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andere Grundform als -sei möglich. Wenn wir neben der indogermanischen Genitiv endung -so ein ablautendes -se annähmen, könnte -sei als eine Verlängerung dieses -se angesehen werden. Ein solches -se schwebt aber vollständig in der Luft, und es ist wohl besser, -sei als eine Umbildung van -so zu betrachten, wenn auch die Frage nach dem Wie ungelöst bleibe muss. -sei von -so trennen, das dürfen wir umso weniger tun, als dann die Endung -sei vollständig dunkel bliebe.

Diejenigen Formkategorien, die stets -al haben (1. Ps. Sg. PL auf -mai, Optativ auf -lal, Nom. PL stal, sc/iai; s. Solmsen aaO. 171) geben zu keinen besonderen Bemer- kungen Anlass. '^) An allen Stellen liegt -«i vor, nirgends -ei, -e, -l. Auch bei einigen andern Formationen tritt aus- nahmsloses -al auf (Dativ Sing, der u- und ^-Stämme, Nomin. Sg. der w^eiblichen Nomina und Pronomina: mensal, quäl, Adv. kal, YerhsiUoTmen wie eöimmai, nlswititlnai, dal, pelsäi)\ in diesen Fällen ist aber von alten Langdiphthongen oder von zweisilbigem -ä;e auszugehen. Die meisten dieser Kategorien werden wir in einem andern Zusammenhange noch be- sprechen. Ueber den Nom. Plur. der männlichen Nomina mit einem Stamm auf -a- s. Kap. VII. ' Dort wo auslautendes -el {-e, -i) und -al miteinander wechsein, ist eine der beiden Endungen die ursprüngliche, während die andere irgend welcher Analogie zuzuschreiben ist. So steht neben V7isel („hinauf"), das in den drei Kate- chismen in dieser Gestalt vorkommt (I vnsey gohiins, II vnsel giibons, Ench. vnsei gnhans „aufgefahren"), einmal vnsal- gühons (31, 16), offenbar nach sem?nal „nieder, herunter". Einem ähnlichen Wechsel begegnen wir bei drei Form- kategorien, die von Solmsen eingehend besprochen werden (aaO. 172 ff.) : beim Optativ auf -sei, -sai, bei der 2. Pers. Sing, auf -sei, -sal und der 2. Pers. Plur. auf -tei, -tal, beim Nom. Plural der Adjektiva.

Beim Optativ iiberwiegen die Formen auf -sei {-se, -sl): boüsei (4 X), housei (3 X), boüse (1 X), bouse (1 X), baüsel (2 X)

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„sei, seien", daneben housai (1 X); au-dasei{l X) „geschehe", dase (2 X) „gebe", daneben däsai (1 X); ^alöse (8 X) „walte, helfe": galbsai (1 X); nur mit -el {-e, -i): seisei (1 X) „sei"; tussise (I X) „schweige"; po-küasi (1 X) „behüte"; eh-signäsi (1 X) „segne"; hierher wohl auch muJcinsu-sin{iy.) „Iqvhq'^ (1. muhinsei'sln). All diese Formen sind dem Enchiridion entnommen; I und II haben nur -el {-ei/,'e):lau-dassei-sinj II au-äasey-sin\ par-eysey „zukomme"; lolrse „werde". '") Es ist klar, dass die regelmässige Endung -sei ist; anderseits aber darf das dreimal vorkommende -sai nicht als ein Fehler betrachtet werden. Solmsen aaO. 172 erklärt es durch den Einfluss von Imperativen wie wedais neben v:eddeis „führe", idaiü neben ideiti, edeltie „esset". Mir ist Beeinflussung durch die mit den Formen auf -sei {-se, -sl), -sai funktionsgleiche Kategorie von boülai, m. a. W. durch den Optativ auf -/a^, wahrscheinlicher. Wedais, weddeis usw. sind zwar ebenso wie die Optative auf -sei, -sai indogermanische Optativ- formen, im Preussischen aber haben sie Imperativische Funktion, -sei {-se, -sl) stellt Solmsen zu den griechischen Formantien des Opt. Aor. -oeia^, -aeie, -astuv; diese beim ersten Blicke sehr bestechende Vermutung ist deshalb unsicher, weil das griechische -aei-, wenn wir es im Zu- sammenhang mit sonstigen Erscheinungen der griechischen Sprache betrachten, w^ohl am besten als eine einzelsprach- liche Neubildung aufgefasst wird; s. Giinther Indogerm. Forsch. 33, 407 ff., wo auch die ältere Literatur besprochen ward, und Brugmann Grundriss 2-, 3, 562 f. Uns geht dieses Problem vom „äolischen Optativ" deshalb nur in- direkt an, weil an der Tatsache, dass pr. öonsei usw. altes el haben, nicht zu ri'itteln ist, auch wenn aus keiner andern indogermanischen Sprache ein ähnliches n bekannt sein sollte. '8)

Die im Enchiridion vorkommenden Formen der 2. Pers. Sing, auf -sai, -sei, -se, -sl sind folgende: assal (7 X), assei (4 X), essei (IX), asse (IX) „bist" (ausserdem in I ä^**^^ 1 X, in II resse 1 X), däse (1 X) „gibst", tvalsei (1 X), icalsse

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(1 X) „weisst'', r/iwassi (2 X), giirad (1 X) „lebst, lebest", druwfise (2 X) „glaubst", seggesei (1 X) „tust". Auch PAsei (1 X) gehst", yo-släsel (2 X) „wirst, werdest", ei-sUmi (1 X) „fährst" sind wohl Präseiisformen. '^^) Aus diesem Material ergibt sich^ dass I und II nur -se (aus -sei) haben, und dass auch im Enchiridion die Formen auf -sei {-se, -si) die gewöhnlichen sind ; -sai kommt nur bei den Stäm- men US- (es-) und ski- vor, also bei athematischen Verben, welche in der 1. Pers. Sing, -mai haben. ^^) Offenbar ist -sai unter dem Einflüsse dieses -mai aufgekommen. Vgl. iiber diese Endungen meinen Aufsatz „Zur slavischen und baltischen Präsensflexion" Archiv 36, 111 ff"., wo ich über einige Punkte anders urteile als Solmsen aaO. 173 f. ^')

Die 2. Pers. Plur. geht nach Berneker 219 50 X auf -ti, 7 X auf -fei, 7 X auf -tai aus. Im Imperativ kommt auch -te vor: rihauite „herrschet!", während das ein- malige seggita „tut!" von Berneker aaO. als ein Fehler, von Bezzenberger BB. 23, 303 als eine Dualform aufgefasst wird. Weil unbetontes auslautendes -el auch sonst als -i auftritt, liegt der Gedanke nahe, das mit -Ui identisch ist, und wenn jemand gegen diese Vermutung das seltene Vorkommen der Schreibweise -^ bei den übrigen Kategorien mit auslautendem -ei anführen sollte, so könnten wir auf den enklitischen Nominativ di, {t)i „man" hinweisen, der 6 X vorkommt, gegenüber einmaligem del^ und der doch ohne jeden Zweifel mit del identisch ist. Allerdings gibt es auch noch eine andere Möglichkeit : apr. könnte mit dem litauischen Ausgang -te, -te-[s) identisch sein. ^-)

-tei [-te] -ül) ist der Analogie der 2. Pers. Sing, auf -5<^i {-se, -sl) zuzuschreiben ; s. Porzezinskij K istorii form spfazenija V baltijskich jazykach 54 f., Trautmann 274, Solmsen aaO. 173, und 'tai entstand wohl unter dem Einfluss der 1. Pers. Plural auf -???ai Weil diese Endung bei allen Ver- ben, thematischen und athematischen, verwendet wird, brauchen wir uns nicht zu wundern, dsiss Siusser astai {5 X) „seid" (auch als Imperativ), wirstai (2 X) „werdet" auch

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klumdinaitai (1 X) „klopfet" an!" vorkommt, während in der 2. Pers. Sing, -sai nur bei athematischen Zeitwörtern belegt ist.

Der Nomin. Plur. M. der Adjektive geht gewöhnlich auf -ai aus; daneben kommen je einmal to^a-^^i „züchtig", ?r^r/^i „wert", entenntei „verfasst", pogantei „empfangen" vor. Die Belegstellen führt Solmsen aaO. 180 f. an. In dem Ausgang -rti, der häufiger als -ei vorkommt, erblickt Solmsen richtig dieselbe Endung, die in v-aiJcai^ wirdai (Nomin. Plur. der substantivischen «-Stämme) und in den pronominalen Plu-

ralen siai, quai vorliegt, ^^) ei möchte er dadurch erklären,

dass „das Schwanken zwischen -ß^ und -r^i bei den Adverbien gelegentlich auch in den Nominativ Plural der Adjektiva verpflanzt" sei; der bei den Adverbien auftretende Wechsel von -ai und -ei (z. B. ainavndai, ainawijäei „einerlei, gleich") wird einem Durcheinanderlaufen von a- und i/;a-Stämmen zugeschrieben. Diese letzte Vermutung wird wohl richtig sein. Im Nomin. Plur. aber möchte ich das Schwanken zwischen -ai und -ei anders erklären als Solmsen : den Aus- gang -ei schreibe ich dem Einflüsse der Pronomina äei „sie, man", tennei „sie" zu. Möglicherweise hat daneben der Nomin. Plural '^ei „sie", der nach meiner Ansicht in diesen zwei Pronominalformen fortlebt (s. im VIII. Kap.), auch noch direkten Einfluss gehabt. "M

Mit unserer Beurteilung des in einer Reihe von Form- kategorien vorliegenden Wechsels von -ai und -ei hängt aufs engste unsere Beantwortung der Frage, ob esim Alt- preussischen einen dem lit. i' genetisch entsprechenden, von ai und ei abweichenden Laut e gegeben habe, zusam- men. Bezzenberger fasste KZ. 41, 126 die Optativendungen -sai^ ',^ei, -se, -si, neben welchen er wegen ;;^r^m „zukomme", und (zweifelnd) dellieis „teile" noch -s annahm, als „Spiel- arten einer einzigen" auf, die er als -.?/' ansetzte. „Die Berechtigung hierzu erg[ebe] sich aus den Nomin. PI. stai, quai: tennei, as,mi: assei : asse „du bist", cläse „du gibst", tvaisei : waisse „du \veiäV\f}/ä)iinlei: sfänin/i „stehend^', isfv'ei :

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istwe „essen'', hiätwei : biftivu „fürchten", die [sie] Infinitive [sic\ auf -t, die [.?/<?] Nomin. PL if-ranklt, per-Jda7dU, ij-niaiünt, ew,-pyrM\ ^■') Nun hat Sohnsen in dem Aufsatze, der den Ausgangspunkt dieser meiner Untersuchung bildete, nachgewiesen, dass in denjenigen Kategorien, wo -ai und -ei miteinander wechsehi, zwei verschiedene Endungen nebeneinander vorliegen. Und was diejenigen Bildungen anbetrifft, wo das -/' in der Schrift gar nicht bezeichnet sein soll, s. Bem. 77. Es bleiben also bloss -ei^ -e, -i i"ibrig als unleugbare Zeichen für einen und denselben Laut. Dieser wird wohl bei relativ starker Betonung als diphthongisches ei gesprochen sein, und ich wiisste nicht, weshalb wir in diesem ei nicht die direkte Fortsetzung eines indogerm. und urbalt. ei erblicken sollten. Dass von einem idg. ai oder oi anstatt ei auszugehen sei, ist bei keiner der hier in Betracht kommenden Formkategorien zu beweisen. Dann nehmen wir doch wohl am einfachsten an, dass ei regelrecht aus idg. ei entstanden ist; eine Zwi- schenstufe e brauchen wir gar nicht: e und i sind als Bezeichnungen eines in schwachtoniger Stellung etwas reduzierten, möglicherweise monophthongierten ei ohne Weiteres klar.

. Die Hypothese, dass das litauische e sich bereits im Ur- baltischen entwickelt habe, war schon friiher von Mikkola und Bezzenberger aufgestellt worden. Das Beweismaterial entnahmen diese Forscher teilweise den samländischen Texten, teilweise dem Elbinger Vokabular und dem Gru- nauschen Wörterverzeichnisse. Ich bespreche bloss die samländischen Formen. Die Berechtigung für ein solches Verfahren wird sich uns unten ergeben. Sogar hätten wir angesichts der S. 65 konstatierten Verhältnisse vollständig auf eine Behandlung der einzelnen Formen verzichten diirfen.

Mikkola Archiv f. slav. Phil. 20, 150 führt aus den samländischen Texten nur pralieiton^ palletan, praliten „ver- gossen" an. Er hätte daneben noch pro /eiton, prolieiton nennen

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können (s. S. 51). Diese Formen beweisen keinen /-Voka- lismus: palletan kommt nur in I vor, wo bekanntlich das i der iibrigen Texte oft als e auftritt : -{J.)ldan entspricht also genau dem in II vorliegenden -Uten. Und zwischen i und (i)ei besteht ein regelmassiges Ablautverhältnis, das be dieser Verbalwurzel auch in andern Sprachen vorkommt s. das Material bei Trautmann 408 und bei ßerneker Sla visches etymol. Wtb. 1, 709 f. Wegen des Wechsels ^i : i^« vgl. geide: gieidi „warten". Das i dürfte die Erweichung des vorhergehenden Konsonanten bezeichnen. Auf keinen Fall machen iei, iei ein altpreussisches r wahrscheinlich. ^*')

Bezzenberger BB. 23, 299 möchte für geunnna „arbeiten" (2 X im Euch.) und gewineis „Knecht" (1 X im Elb. Vok.) ^'annehmen und zwar wegen lett. f//"A<???^ „wohnen; arbei- ten". 2") Weil Bezzenberger selber aaO. wegen des alt- litauischen Zeitwortes geirenü „leben" diese Deutung von gewlnna, gewineis als zweifelhaft bezeichnet hat und weil er KZ. 44, 305 f., wo er Trautmann gegenüber die Annahme eines altpreuss. i^ verteidigt, den Verbalstamm gewin- ausser Betracht lässt obgleich Trautmann 138 im dem mut- masslichen apr. /■ gewidmeten Abschnitte denselben be- sprochen hatte , vermute ich, dass er hier jetzt kein if mehr annimmt. Nach meiner Ansicht diirfen wir für altpr. geiv'in- keinen anderen Vokalismus als e ansetzen. Dass das in den altpreuss. Mundarten sonst durch verschiedene Vokale bezeichnete mutmassliche e\\i diesem Worte dreimal e und nie anders geschrieben sein sollte, das wäre mehr als auffällig, einerlei ob wir für /' die hochlitauische Aus- sprache (ie) oder etwa die nordwestzemaitische (ci, e') vor- aussetzen. S. auch Endzelin Izvestija 12, 1, 60, Slav'ano- baltijskie et'udy 95.

Später (KZ. 41, 120 ff.) hat Bezzenberger noch für eine Kategorie von Formen samländisches /vermutet, und zwar für die Imperative auf ~els^ -eili. Gewöhnlich nimmt man an, dass das ai von loddais, idaiti u. dgl. aus idg. ol entstanden ist, während das ei von iceddeis^ ideiti usw. aus denjenigen

6B

Zeitwörtern, wo das al nach i (/) zu ei geworden waf, verschleppt sein soll. Jn der 78. Bern, wies ich darauf hin, dass diese Annahme unsicher ist und dass wir auch mit der Möglichkeit rechnen müssen, dass sowohl weddeis u. dgl. wie homei u. dgl. urbaltisches (?z haben. Bezzenberger möchte für diese Kategorien altpreuss. t-' annehmen. „Wes- halb e nicht immer durch ei, sondern auch durch ai ver- treten, und ob idaitl geradezu fehlerhaft ist, wird Sache einer eigenen Untersuchung sein müssen", fügt er hinzu (S. 123) ; was das auslautende r anbetrifft, scheint er weniger an die Möglichkeit einer Vertretung sowohl durch ei wie durch ai zu zweifeln ; s. aaO. 126, und oben S. 62 f. Wenn tatsächlich das ei der Imperative ein alter, nicht erst in der Stellung nach i (;) entstandener Variant von ai (aus idg. oi) ist, so weiss ich keine Erklärung für dasselbe zu geben. ^^) Auf jeden Fall muss ich die Bezzenbergersche Deutung unbedingt ablehnen, und zwar deshalb, weil in allen andern Fällen, wo das Litauische d?' hat, das Samländische die älteren Laute ei \xx\di ai vollkommen richtig auseinanderhält: einerseits deinan, deiws, seilin, 7ioseilis, preisiks, anderseits ains, poläikt, maiggwi, waispattin] ^^) mehr Material gibt Trautmann 140 ff.; für die litauischen Formen s. Trautmanns Glossar. Unter solchen Umständen kann keine Rede davon sein, „dass das Preussische an dem lit.-lett. t-' teilgenommen habe" (Bezzenberger KZ. 44, 304 f. ^^)). Solange sich nicht nach- weisen lässt, dass in allen oder wenigstens den meisten Fällen, wo das Lettische und das Litauische (die in diesem Punkte beinahe vollständig zusammengehen ; s. Endzelin Izve^stija 12, 1, 58 Fussnote 1) den Vokal e haben, das Samländische mit ihnen übereinstimmt, dürfen wür nicht für eine einzelne Formkategorie ein saml. e annehmen, weil uns das wegen eines sonst schwerlich erklärbaren ei bequem ist.

Aus demselben Grunde müssen wir auch für die Mundart des Elb. Vok. die Annahme eines ^"ablehnen. Aus dem von

66

Berneker 255 ff., Trantmann 139 ff. zusammengestellten Material geht hervor, dass das Vok. ei, ai auch dort, wo das Litauische und Lettische <" haben, richtig auseinanderhält; am meisten beweisen hier natürlich solche Wörter, deren urspriingiicher Vokalismus durch eine Vergleichung mit Formen aus andern indogerma- nischen Sprachzweigen feststellbar ist (etwa äeywis „Gott", (leynayuo „Morgenstern"; snaygis „Schnee", aysmis „Spiess"). Wo ein Teil des Materials eine so klare Sprache redet, dürfen wir nicht wegen einiger mit e, ea, i, y geschrie- bener Wörter neben ei, ai auch noch e annehmen. Umso weniger dürfen wir das tun, als für beinahe all diese Wörter auch eine andere befriedigende Deutung möglich ist: s. Trautmann 138 f., Endzelin Izve'^stija 12, 1, ö^ ff., Archiv 32, 293.

Solange Mikkola und Bezzenberger uns nicht erklärt haben, weshalb das „preussische /-" nur in einem kleinen Teile der litauischen Fälle auftritt, halte ich eine abermalige Durchmusterung ihres schon von Endzelin und Trautmann besprochenen, dem Vokabular und Grünaus Verzeichnisse entnommenen Materials für überflüssig. KZ. 44, 305, wo er das Problem zum letzten Male behandelt hat, bemerkt Bezzenberger, dass er auch selber die Annahme eines ur- baltischen e „noch für unreif" hält. Die auf diese Worte folgende Bemerkung, dass „die Frage nach dem Ursprung des c noch nicht gelöst ist", trifft auch jetzt noch zu. Ich glaube aber, dass künftige Untersucher die endgültige Lösung des Problemes ausschliesslich im Litauischen und Lettischen und nicht im Preussischen zu suchen haben.

67

KAPITEL V. Zum Genitiv Singular der altpreussischen Nomina.

Im Altpreussischen geht sowohl bei den männlichen und sächlichen ö!-Stämmen wie bei den weiblichen ^7-Stämmen der Genitiv Singular auf -as aus, und auch in andern Kasus liegen bei den beiden Stammklassen gleiche Endungen vor. Man vergleiche:

n. sg.

deiws

ge7ia^ genä

g. sg.

deivHis

(Jenas

d. sg.

deiwai, deium

genai, apartlsJctt

a. sg.

deiivan

genau

V. sg.

deiwa, deiire

gena

n. pl.

deiwai

genai

g- pl.

dehvan

genau

d. pl.

deiicarnuns

genämanf!

a. pl.

deiirans

genans.

Leskien,

der Die Declinatio

n im Slavisch-L

Germanischen 32 f. diese Paradigmen hat abdrucken las- sen, ^^) hat dort die Genitivendung -«5 der beiden Stamm- klassen von einem Längezeichen versehen : deiwäs, genä-^. Für ein solches Verfahren hatte er einen doppelten Grund : „Dass das a der Endsilbe beim fem. als lang anzusetzen ist, versteht sich von selbst, vgl. lit. gahws, aber auch beim msc. muss es lang sein, weil a vor s im Preussischen der Katechismen ausfällt, daher der nom. sg. constant dein\% im Dialekt des Vocabulars zu ^ geschwächt ist, daher nom. deyiüis'^ (aaO. 31). M. E. hat Leskien durch diese Worte die Länge des a nicht bewiesen. Was die ^/-Stämme anbe- trifft, hier wäre ohne jeden Zweifel ein Genitiv saml.

68

'^deiiv.'i, Vokab. "^silkis ^-) zu erwarten, wenn die Grundform ebenso wie diejenige des Nominativs den Ausgang idg. -^*, balt. -as gehabt hätte. Identität der Genitivform mit der- jenigen des Nominativs ist aber sehr unwahrscheinlich. Ein äusserlich an deivs Nom. : deiwas Gen. erinnerndes Verhältnis liegt im Gotischen vor: dags Nom., dagis Gen., und der Gedanke kann leicht aufkommen, ob nicht die beiden Formpaare auf eine und dieselbe Weise zu erklären sind. Diese Frage wird uns weiter unten noch beschäftigen. Bei den weiblichen //-Stämmen stützt Leskien seine Ansicht ausschliesslich auf eine litauische Formation, ohne zu untersuchen, inwiefern die Quantität des a aus den alt- preussischen Formen selber hervorgeht. Wenn wir vorläufig bloss diese ins Auge fassen, so wird sich uns ergeben, dass vom Standpunkte des Altpreussischen^^w«^ viel wahr- scheinlicher ist ab genas.

Das a der im Enchiridion vorkommenden Genitive rdgas (2 X) „des Lohns", gakvas (1 X; in gahoasdeltiks „Haupt- stück") hat sein Timbre bewahrt und ist nicht in o oder u übergegangen, wie zu erwarten wäre, wenn ursprüngliches ä vorläge. Bekanntlich geht dieser Laut nach labialen und gutturalen Konsonanten in u oder o (in haupttoniger Stellung wird das u oft zur Bezeichnung der Länge vom Zeichen ~ versehen) über, wie zuerst De Saussure Mem. Soc. Ling. 7, 82 konstatiert hat; s. S. 42 ff. Nun hat zwar De Saussure aaO. 83 Fussn. 1 an die Möglichkeit gedacht, dass diese Regel nicht gelte „pour un ä suivi d'une consonne quelconque dans la meme syllabe", aber diese Vermutung stützt sich bloss auf die Genitive und Akkusative der ^/-Deklination, bei denen die Länge des a auch aus andern Gründen sehr zweifelhaft ist.

Bereits im Jahre 1876 erblickte Leskien in lit. wergii apr. mtirgau eine Form auf aus -an gekürztes -an (aaO. 61). Er geht dort nicht weiter auf diesen Akkusativ ein, be- merkt bloss, dass die Vokalkürzung „erst innerhalb des Litauischen selbst ^^) stattgefunden haben kann, da slav.

69

-q nur = mn, an sein kann". Ob lit. mergq ein urbaltisches ^mergau beweisen kann, bezweifle ich. Wir dürfen natürHch kein akutiertes urbaltisches -an annehmen, weil ein solches den Wortakzent herangezogen hätte (nach dem Gesetze De Saussures), ebenso wie das -(i. des litauischen Instru- mentals mercßi. Weshalb aber der Akkusativausgang -q nicht auf ein zirkumflektiertes -an zuri'jckgehen kann, das verstehe ich nicht. Auch der slavische Ausgang -r/ hat Zirkumflexas: sonst wäre in russ. börodu^ goru^ serb. brddu, goru u. dgl. der Akzent auf die Endung getreten, und dieses -a geht ohne jeden Zweifel auf älteres -am und nicht auf -am (-ö'm) zuriick. Im Litauischen mussten -äü und -an nicht nur laut- lich, sondern auch was ihre Quantität und Intonation betrifft, vollständig zusammenfallen. Das ergibt sich aus der Behandlung des idg. Ausganges -öm des Genitivs Plur., der im Litauischen ebenso wie die Endung -om des Akk. Sing, der ö-Stämme zu einem zweimorigen oder mittel- zeitigen Vokale (nach Baranowskis Terminologie) wurde; vgl. das Paradigma von ponas bei Gauthiot Le parier de Buividze 34, wo der Akkus. Sg. und der Gen. Plur. voll- kommen zusammenfallen (poml" ; Baranowski würde pdnü schreiben); in westlicheren Mundarten, wo ^^ kein 7i-Timbre bekommen hat, lauten die beiden Kasus pdnä bezw. ponü. Natürlich würde ein urbalt. ^rankän im Litauischen genau dieselbe Endung zeigen, die in /?ö??^ (Kurschat ;jö^^) vorliegt, und wenn tatsächlich ein Akkusativ rankä (Kurschat raükq^ Gauthiot runkfr) vorkommt, so braucht dieser nicht mit Hirt Der indogermanische Akzent 147 f., Idg. Forsch. Anz. 6, 20 als eine Analogiebildung nach der männlichen öj-Klasse oder im Allgemeinen nach „den übrigen Klassen" aufgefasst zu werden; er kann ebensogut auf urbaltisches ^rankäu zurückgehen. Mir kommt diese letzte Annahme viel wahrscheinlicher vor; ^*) die einzige Tatsache, die man gegen sie anführen könnte, wäre die unleugbare Kürze des a von apr. mergan, gennan\ diese kann aber durch lautgesetzliche Kürzung entstanden sein. Auch der Gen.

70

Plur. auf pr. -an^ -ö;^ wird ja Kürze haben; freilich ist hier diese Quantität nicht zu beweisen.

Der weibliche Akkusativ auf pr. -an wird auf jeden Fall Kürze haben. Das geht zwar nicht aus dem ausnahmslosen Fehlen des Längezeichens hervor: dieses beweist bloss die Unbetontheit der Endung, auch ist der ö;-Vokalismus nach Gutturalen und Labialen kein sicheres Kriterium : hierfür könnte man sich ja auf die oben angeführte Fuss- note De Saussures berufen, es gibt aber einen andern Umstand, der deutlich auf Kürze des a hinweist : ich denke hier an die Akkusative auf -^/^, die Trautmann 226 anführt : abnguasnen^ ügnasuen „Segen", mensen „Fleisch", alle drei im Enchiridion, Ixmclen {ttlenbcenden „unnützlich", wörtlich „nicht zum Nutzen") in IL Es ist ausgeschlossen, dass diese Formen einfach Fehler sein sollten ; sie werden e für a haben, was ja auch sonst vorkommt. Dieses e steht aber bloss für kurzes a, nicht für langes, sogar nicht im IL Katechismus, wo e für a besonders häufig ist. ^'^)Ahsig- nasnen usw. beweisen nach meiner Ansicht die Kürze des a der weiblichen Akkusativendung -an. ^^)

Was den Genitiv Singular der ö-Stämme anbetrifft, so fällt uns sofort der Betonungsunterschied zwischen apr. älgas und lit. algos auf. Wenn die preussische Form mit der litauischen identisch wäre, so würden wir ^algüs oder, falls De Saussures Vermutung bezüglich „« suivi d'une consonne quelconque dans la meme syllabe" richtig sein sollte, ^algäs erwarten. Solche Formen auf -üs oder -äs kommen in unsern Texten nicht vor (s. Trautmann 225): nirgends trägt die Genitivendung das Längezeichen. Wie ist das zu erklären ? Ist die Genitivendung stets unbetont? Oder hat sie kurzen Vokal? Oder ist sie unbetont und kurz zugleicherzeit? Angesichts des Gegensatzes pr. älgas: lit. alg7)s liegt die Vermutung nahe, dass Endbetonung nicht vorkam, l^nd was die Qualität anbetrifft, so weist der einzige Genitiv eines ^7-Stammes, der im IL Katechismus vorkommt, menses^ durch sein e auf Kürze des a von -as hin.

1

71

Absolute Sicherheit, dass die Endung bei allen ^/-Stämmen unbetont und kurz war, haben wir nicht, aber für sehr wahrscheinlich dürfen wir es halten, zumal weil auch bei den andern Stammklassen, die alle einen Genitiv auf Vokal + .V haben, nirgends Länge dieses Vokales oder Endbe- tonung wahrscheinlich zu machen ist.

Wie ist nun das unbetonte, kurzvokalische -as zu erklären ? Wenn nur die Vokalkürze erklärt zu werden brauchte, so könnte man sie als eine Folge der Tonlosigkeit auf- fassen. ^') Dann bliebe aber die zweite Frage ungelöst: woher die Anfangbetonung?

An die Altertümlichkeit der Endbetonung von alf/ds u. dgl. diirfen wir angesichts des Vorhandenseins indogerma- nischer oxytonierter ^^-Stämme nicht zweifeln. Hat nun älgas einen zurückgezogenen Akzent? Eine solche Annahme schwebt vollständig in der Luft. Weshalb sollte das Sprach- gefi'ihl Oxytona wie endiris „sieh an!", milijs „Wob^V^ mensä „Fleisch", semme „Erde", mile „liebt" geduldet haben, aber nicht ^algäs oder ^algüs'i

Lieber möchte ich älgas, mensäs {-es) als Analogiebildungen auffassen.

Gewiss wird dabei der Akk. Sing., der bereits im Urbal- tischen ausnahmslos barytoniert war^^) und der im Preus- sischen auf -an auslautete, ein Rolle gespielt haben. Ge- nügte aber dieser eine Kasus, die Neubildungen älgas, mensäs ins Leben zu rufen? Angesichts endbetonter Nominative wie gallü „Kopf", mensä „Fleisch" usw. ist das sehr zwei- felhaft. Und wenn wir weiter daran denken, dass im Alt- preussischen bei keiner Stammklasse ^ ^) endbetonte Genitive Sing, vorzukommen scheinen, während alle Stammklassen denselben Genitivtypus zeigen, der wohl überall als eine Bildung auf kurzen Vokal + s aufzufassen ist, so liegt die Vermutung nahe, dass bei einer oder mehr Stammklassen eine Endung dieser Gestalt lautgesetzlich ist und dass von hier aus die Uniformierung der Genitivformen sämtlicher Paradigmen ihren Anfang genommen hat.

72 Stellen wir zunächst das hierhergehörige Material zu-

sammen I

Die männlichen und sächlichen «-Stämme haben, wie bereits bemerkt wurde, einen Gen. Sing, auf -as. Das Material findet man bei Berneker 186 (aus dem Elb. Vokab. gesellt sich dazu noch die Form silkas) und bei Trautmann 216. Auch die ja- bezw. «/"«-Stämme tawiseha-, riklja- haben im Enchiridion einen Genitiv auf -aa. Bekanntlich haben diese Substantive im Akkus. Sing, -an] daneben auch tawischen (1 X), iawlsen (1 X). In I und II kommt der Genitiv vor riklja- nicht vor, wohl aber derjenige von tawischa-: taivlscJiis 2 X in I, tauivjjschis, iauwi/schies je 1 X in II. Der Akkus, lautet in I iaiöisclien^ in II tauicyschen.

Die weiblichen «-Stämme haben einen Genitiv auf -«*; s. 0. '«")

Die ^-Stämme zeigen die Genitivendung -is\ gijwis{\ X), teisis (1 X). Möglicherweise sind auch klrkis „der Kirche", pergimnis „der Natur", preigimnis „der Art", die Trautmann 232 hierherstellt, 6'-Stämme; sicher lässt es sich aber nicht ausmachen (s. S. 88 und im VI. Kap.). Dasselbe gilt für den einzigen Genitiv auf -ies: nierties „des Zorns"; vgl. den Akkus, nertien und s. S. 35 mit Bem. 46.

Die j«-Stämme (abgesehen von tawischa- und r'ikija-, die sowohl im Akkus, wie im Gen. a haben) haben einen Genitiv Sing, auf -Is: powaisennis (IX) „des Gewissens", noseilis ^,^q^ Geistes" (2 X; ausserdem 1 X -ie^ 1 X -is] für beide ist wohl -is zu lesen, s. Trautmann 185 und die daselbst an- geführten Stellen: Trautmann 25 Fussnote, Fortunatov BB. 22, 188 Fussn.). I hat naseilis, II nasei/lia. Ebenso die i-Stämme, welche von /«-Stämmen und a-Stämmen nicht immer deutlich zu unterscheiden sind. Zu einem i-Stamm gehört wohl etnistls „der Gnade" (2 X), nletelsüs 1. nietnistis „der Ungnade" (1 X): Akkusativformen auf -in kommen von diesem Nomen 16 X vor (1 X etnlstan). Weiter können pergimnis und preigimnis (s. o.) zu der i-Klasse gehören; möglicherweise auch amsis „des Volkes" (1 X), das aber

73

auch ein ;Vi-Stamm sein kann (s.S. 36). Pi/^^^^/i« „der Hölle" ist wohl ein /ö-Stamm (s. S. 85). Auch kommen ein paar Genitive van Adjektiven vor, deren Flexionsklasse (i- oder /üt-Klasse) sich nicht feststellen lässt: wijssenmulds II, icu- moslugls I „allmächtig". Sündls (1 X) „der Strafe" gehört mit dem Akkusativ snnclln zusammen, woneben 6'«/«^/^;^ vor- kommt (s. S. 39); hleüs I, bijü^i II {bietls eden bezw. hijtis ydl „des Altars") stehen einem angesichts lltai „Abends" als die regelmässige Form zu betrachtenden bltafi {^wo^.'.bltas idiu) gegenüber, während auch b'dans ydl in II jedenfalls zu einem «-Stamme gehört. Weiter lässt sich über sündls und bietis, hytls kaum etwas sagen.

Von einem aktiven Partizip kommt einmal ein Genitiv vor: niaublllluils „des unmündigen". Es wird wohl eine Form nach der «-Deklination sein: vgl. die Akkusative nidriiwintln „ungläubig", riimitln „folgend", alnangimmasln „eingeboren". Nach der konsonantischen Deklination wären Formen auf -es^ -e7i zu erwarten.

Der konsonantische Stamm kermen- „Leib" (Nom. Sg. hermens 2 X, hermeiis I, II) hat einen Genitiv kermenes (5 X). -es ist die aus der indogermanischen Grundsprache ererbte Endung -es, die auch im Altlitauischen noch in ihrer ur- sprünglichen Gestalt auftritt (s. De Saussure Idg. Forsch. 4, 456 fF.). Im Preussischen hat diese Endung bei einigen Nomina einen Akkusativ auf -eu ins Leben gerufen : ker- 7tienen^ kermenen^ kermuen, kermnen (je 1 X ; ausserdem hrende- kermneu 1 X ; nach der «-Deklination kermeuan 1 X) ; enmeu „Namen" (1 X in I, 2 X in II, 9 X im Euch., ausserdem in I emmen 1 X, wofür em7ten zu lesen ist; im Enchir. etnnau 4 X, nach der ö^-Deklination).

Es bleiben nur noch die z^-Stämme übrig. Bloss von einem Worte sind Genitivformen überliefert und zwar von soims „Sohn" = lit. sünus. Im Enchiridion lautet der Genitiv stets auf -as aus, der Akkusativ gewöhnlich auf a7i (7 X), nur 2 X auf -on (aus -un). Offenbar hatte das Wort in der Mundart Wills die «-Flexion bemahe vollständig aufgegeben.

74

In .1 dagegen lautet der Akkusativ an der einzigen Stelle, wo er vorkommt, summ, II hat an der entsprechenden Stelle sounon {-an aus -ww); und der Genitiv geht in I auf 'OS (1 X), in II auf -ous (1 X) aus. -os ist ohne Weiteres klar: sein o ist aus u entstanden, und wenn I im Akku- sativ -Uli, im Genitiv -us hat, so beruht das ebensogut wie drowe: dniioe (beide in I) „glaubt" auf orthographischer Systemlosigkeit. Das Verhältnis sunos i^sünns) : snnun steht auf einer Linie mit dekcas: deiwau, geunas'. fjennan, etnisüs: etnlsiin, kermenes: kermeneii. Wenn nun in II der Genitiv sounons lautet, so wird diese Form, wenn sie unrichtig iiberliefert und nicht mittels -s vom Akkusativ gebildet ist (eine solche Formation ist m. E. nicht sehr wahrschein- lich), in sounos oder souuus zu ändern sein, und nicht, wie man gewöhnlich annimmt, in sounous. Dieses '^sounous wird entweder als eine preussische Neubildung "^süuüs (Berneker 188) oder als eine altererbte Form lit. siTnaüs, aind. snnoh, got. (mit kurzem ?/.) sunaus (Trautmann 240) aufgefasst. Ich glaube aber, dass wir angesichts der Form su7ios in I und des bei allen übrigen Stammklassen auftretenden Genitiv- typus, der am besten als eine Formation auf kurzen Vokal H- s aufgefasst wird, nur dann einen festen Boden unter den Füssen haben, wenn wir anstatt des in II auftretenden sounons sounos oder souuus lesen und diese Form mit sunos in I identifizieren. Trautmanns Hypothese würde uns nötigen, für diese eine Form uu aus a?^ anzunehmen, im II. Katechismus, wo bekanntlich neuwenen „neu" und krmuviet/ „Blut" vorkommen, wäre aber eher -6'^^* als -owä zu erwarten. S. Verf. Neophilologus 2, 244 f.

Wie bereits bemerkt wurde, ist für alle Genitive Sing, ein kurzer Endungsvokal anzunehmen. Das einmal vor- kommende noseilis (neben sonstigem noseUis) ist umso eher als ein Schreib- oder Druckfehler zu betrachten, als gerade bei dem i der geringe Unterschied zwischen dem Punkt und dem Längezeichen leicht zu Fehlern Anlass geben konnte. Sonst trägt die Genitivendung nie das Längezeichen : das

75

weist darauf hin, dass der dem -s vorangehende Vokal bei keiner Stammklasse eine betonte Länge ist. Die bei vielen Nomina verschiedener Deklinationsklassen durch das Län- gezeichen angedeutete Bary tonier ung ' " ') wird auch für die von keinem Zeichen versehenen Formen anzunehmen sein. Bei den «-Stämmen fällt die ausnahmslose Barytonierung nicht auf: auch die litauischen «^-Stämme haben bekannt- lich, von der jüngeren Akzentverschiebung nach dem Gesetze De Saussures abgesehen, im Singular ausschliesslich barytonierte Formen. Bei den übrigen Deklinationsklassen WLirden wir angesichts der litauischen Verhältnisse für einen Teil der zu denselben gehörigen Nomina endbetonte Genitive erwarten. Solche Fälle wie älga^ und sounous, 1. sounos oder -iis (die Diphthongierung von ü kommt nur in haupttonigen Silben vor!) aber weisen darauf hin, dass sämtliche altpreussische Genitive auch von ä-, u- und wohl auch von i-Stämmen Barytona waren. Und was die Quan- tität des dem -s vorangehenden Vokales anbetrifl't, so liegt nirgends ein Anlass vor, weshalb wir die bei den ^-Stäm- men klar hervortretende Kürze nicht auch für die übrigen Stammklassen annehmen sollten. •"•') Die äussere Gestalt der in unsern Texten vorkommenden Genitive des Singu- lars weist ja auf eine uniforme Bildungsweise hin.

Nur bei einer Stammklasse ist m. E. mit der Möglich- keit von Endbetonung zu rechnen, und zwar bei den konsonantischen Stämmen: der Genitiv kermenes wird an den fünf Stellen, wo er vorkommt, mit er und nicht mit er geschrieben. Wenn wir aber daran denken, wie oft das Längezeichen weggelassen wird (s. Bem. 20; der Akkus. Sg. von kermens hat ebenso oft er wie er)^ so ist es auch nicht ausgeschlossen, dass kermenes mit er zu lesen ist. Ein oxytoniertes kermenes würde die indogermanische Betonung bewahrt haben (vgl. lit. akmens aus akmenes), S. Bem. 104.

Die unleugbare Uniformität der preussischen Genitive Sing, aller Stammklassen weist auf gegenseitige Beeinflus- sung der verschiedenen Paradigmen hin, und für jede Form,

76

die nicht vollkommen klar ist, müssen wir analogische Neubildung für ebensogut möglich halten wie lautgesetzliche Entwicklung. Dass etnistis und sunos i^^sümos) nicht die in- dogermanischen Endungen -eis oder -ou bezw. -eüs^ -oüs haben, das hat Trautmann 236, 240 richtig hervorgehoben. Ob aber Trautmanns eigene Erklärung: -is aus -(iYws, -us aus -{2i)wes das Richtige trifft, bezweifle ich. Möglich wäre sie zwar, ich halte es aber für w^ahrscheinlicher, dass die Genitive auf -is, -ua {> -os) Neubildungen zu den Akkusa- tiven auf -m und -un sind. Auf eine Wechselbeziehung zwischen Genitiv und Akkusativ Sing, weisen auch emnen und kermuen usw. hin (s. S. 73). Hier unterlag der Akku- sativ dem Einflüsse des Genitivs; bei andern Deklinations- klassen dürfte das Umgekehrte geschehen sein : so wird älgas unter dem Einflüsse von '^äUjan entstanden sein, und für etnistis und sunos i^-us) ist eine ähnliche Erklärung möglich. ' °^)

Wie S. 71 bereits bemerkt wurde, würden Analogiebil- dungen dieser Art dann sehr begreiflich sein, wenn ein ähnliches Verhältnis wie "^älgan: älgas^ etnistin\ etnistis bei einer andern Stammklasse bereits in einer friiheren Periode existiert hätte. Ist nun das Vorhandensein eines solchen Prototyps wahrscheinlich zu machen? Ich glaube ja. An die konsonantischen Stämme darf hier kaum gedacht werden. Zwar hatten sie einen aus der Grundsprache ererbten Genitiv auf -es^ aber der Akkusativ auf -en ist jung, viel- leicht jünger als der Genitivtypus älgas; ausserdem waren die Genitive auf -es idg. und urbaltische Oxytona; '"^) schliesslich ist die Hypothese, dass die konsonantische Deklination einen so grossen Einfluss auf andere Deklina- tionsklassen gehabt habe, wegen der geringen Rolle, die diese Stammklasse in den baltischen Einzelsprachen spielt, a priori sehr unwahrscheinlich. Die einzige Klasse, die wir m. E. als den Ausgangspunkt des ganzen Uniformierungs- prozesses betrachten dürfen, ist die a-Dekünation. Leskien aaO. 31 ff. erklärte den Typus detwas durch den Einfluss

der weiblichen Genitive gennaf^ usw. Er nahm dort fi'ir (jennas ein langes ü an. Jetzt, wo wir für rjennas^ rdf/as usw, kurzes a und ausnahmslose Barytonierung wahrscheinlich gemacht haben, sind diese Formen vcllständig dunkel fiir uns, und sie dürfen deshalb zur Erklärung von deiwas kaum benutzt werden. Wenn deiiuas auf eine andere AVeise befriedigend erklärt werden kann, so würde die Annahme, dass umgekehrt geiinas usw. nach diesem Muster entstanden sind (gemäss der Proportion deiwan : deiwas gennan : x), sehr nahe liegen. Sogar würde das Vorhandensein der Endun- gen -as: -an im Genitiv bezw. Akkusativ einer so reich- haltigen und wichtigen Nominalklasse wie diejenige der männlichen und sächlichen «-Stämme das analogische Auf- kommen von kurzvokalischen Genitivausgängen auf -.9 bei sämtlichen Stammklassen begreiflich machen.

Und tatsächlich glaube ich, dass r/^iw«,? eine alte Form ist. Zwar ist Trautmanns Hypothese (S. 216 der Apr. Sprach- denkmäler), dass -as auf -osjo zuriickgehe, wegen des auslau- tenden -s unannehmbar (s. im VI. Kap.), aber gegen eine Herleitung aus -oso^ wobei deiwas als eine ähnliche Forma- tion wie got. dagis, altangelsächs. domces aufgefasst wird, lässt sich nichts einwenden. Ausführlicher begründe ich diese Ansicht Neophilologus 2, 108 f. Formen mit bewahr- tem auslautendem -a dürften möglicherweise in dem säch- lichen Genitiv neainessa „keines" und in dem in weiblicher Bedeutung verwendeten kawijdsa „welcher" (je 1 X) stecken: das in Proparoxytonis geschwundene -a wäre dann in Paroxytonis bewahrt geblieben. Aber neainessa^ kawijdsa können auch als Fehler fiir Formen auf -se oder -sei auf- gefasst werden. Wegen der pronominalen Genitivendung -sei (-se, -si) s. oben S. 58 f., Neophilologus 2, 109.

Wenn der Genitiv Singular der männlichen und säch- lichen ö^-Stämme ein lautgesetzliches -as aus -asa (idg. -oso) hat, so lassen sich nach der Analogie von deiwan: deiwas sämtliche zu Akkusativen auf -in, -uu gehörige Genitive auf -i.?, -US, sowie auch die weiblichen Genitive auf -«5 ohne

78

Weiteres erklären. Und die ausnahmslose Barytonierung all dieser Genitive auf -as^ -is, -iis ist angesichts der Bar}^- tonierung der Akkusative auf -an, -in, -un einerseits, der männlichen und sächlichen Genitive auf -ß5 anderseits '"^) die einzige Betonung, die wir erwarten di'irfen.

Im Vorhergehenden glaube ich fi'ir den Genitiv Singular beinahe aller preussischen Nominalklassen eine plausibele Deutung gegeben zu haben. Bloss die/ö;- und die ^7-Stämme erfordern noch eine besondere Besprechung. Der Gen. Sg. dieser Stämme geht gewöhnlich auf -u aus, während die lautgesetzliche Akkusativform beider Klassen den Ausgang •ien hat, woneben nach Analogie der i-Stämme -in vorkommt (s. S. 31 ff.). Es besteht hier also zwischen den beiden Kasus ein Unterschied im Vokalismus. Zwar könnte man darauf hinweisen, dass die zwei einzigen Genitive auf -is, deren Zugehörigkeit zu der ^-Klasse feststeht, gijw'is und tfuu, im Enchiridion nur Akkusative auf -in neben sich haben, oder darauf, dass zum dreimal vorkommenden Akkusativ nerilen der Genitiv nierties gehört, bei den ;ö^-Stämmen yowaisennis und noseilis aber ist der Gegensatz zum Akkusativ nicht zu leugnen. Den Akkusativen auf -ennien gegeni'iber sind diejenigen auf -^7^(7z)m so wenig zahl- reich {f/im,senin „Geburt" 41, 25; ettverpsennin „Vergebung" 43, 18; hierher auch etwerpsenninn 49, 17?), dass es allzu willkürlich wäre, den einmal vorkommenden Genitiv potvaisennis sonst kommen keine Genitive von Nomina auf -en7iis vor in direkten Zusammenhang mit denselben zu bringen, und auch noseilis darf nicht vom Akkus. noseilien getrennt und zu noseiUn gestellt werden, weil dieses Wort im IL Katechismus, der, was die Ausgänge -ien und -in betrifft, die alten Verhältnisse treu bewahrt hat (s. S. 29 f.), ebenso wie im Enchiridion einen Genitiv auf -is hat, daneben aber nur den Akkus. naseijUen (2 X). Wir mi'issen also den Vokalunterschied zwischen -is und -ien bei den ;ö!-Stämmen als eine unleugbare Tatsache betrachten; dann haben wir aber kaum das Recht, die Existenz von

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Genitiven ^sewmu (: semmien), "^m-utis (: mniien) zu leugnen. Leider sind uns von diesen ^^-Stämmen keine Genitive Sg. überliefert.

Wie sind nun powaUennis^ Hoseilis, fj{jn'if^, feisU und etwaige sonstige Genitive dieser Art aufzufassen? Eine solche Deutung verdient wohl den Vorzug, welche diese Formen innerhalb des Rahmens des einheitlichen preussischen Genitivs3^stems zu deuten vermag. Deshalb glaube ich ebensowenig an ein lautgesetzlich aus -?s entstandenes -is '^'^') als an ein lautgesetzliches -as (ulgas) aus -äs. Es ist wohl am einfachsten, -ts aus -ies zu erklären, und zwischen diesem -ies und dem Ausgang -ien des Akkusativs einen direkten Zusammenhang anzunehmen. Die weiblichen Genitive "^semmies, "^gijivies, ^teisies u. dgl. werden ihr -ies auf eine ähnliche Weise erhalten haben wie die ^/-Stämme ihr -aSj m. a. W. nach der Proportion äeiican : deivms sem.wMn'. x. Es ist noch wahrscheinlicher, dass die r7-Stämme eine vermittlende Rolle gespielt haben : nachdem Rigas usw. entstanden waren, wurden '^^semmies usw. gebildet nach der Proportion "^^äjgart : älgas semmÄen : x. Und was die männ- lichen und neutralen Formen anbetrifft, hier wird -ies^vS. eine ähnliche Weise aus -ias \-jas) entstanden sein wie im Akkusativ -ien aus -ian (-/an). Diejenigen Wörter, die im Akkusativ ihr -ian, -an unverändert bewahrten, haben auch im Genitiv -las^ -as\ riJHjas^ tawischas: rikijan, tawisclian im Enchiridion. i«')

Ueber den Uebergang von -ies in -is brauchen wir uns nicht zu wundern. Der Laut ie hatte eine Vorliebe für gewisse Stellungen. Er entwickelte sich aus (?-Lauten speziell vor n und r (s. S. 39 f.); in andern Positionen hatte die Sprache vielmehr die Neigung ihn aufzugeben. So begegnen uns von Zeitwörtern auf -aut im Enchiridion dreimal Priisensformen auf -ie, fünfmal solche auf -i; zu diesen gesellt sich noch popecknwi „behi'itet''. S. das Material bei Bezzenberger KZ. 41, 85 f. Das zweimal vorkommende din(c)hama „danke" wird von B. wohl richtig in (lni{c)haina

so

geändert. Ohne Zweifel lautete die Endung ursprünglich -La\ dieses -ia ging aber lautgesetzlich in -le und weiter in -i über; dm[c)'kauia wird ein nach Analogie von Zeit- wörtern ohne vorhergehendes i wiederhergestelltes -a haben. Einen ähnlichen, mit grösserer Regelmässigkeit durchge- führten Uebergang von le in i werden wir vor -s anzunehmen haben : daher poiDaisennls^ noseiUs, (jij^''^^^ teisis. Nierties wird kaum lautgesetzlich bewahrtes le haben ; vielmehr ist das ie dem dauernd fortbestehenden bezw. sich von neuem geltend machenden Einflüsse des Akkusativs auf -leu zu- zuschreiben.

S. 40 wurde bemerkt, dass die Aussprache des Vokales le nicht feststeht. Er war entweder ein Monophthong oder was mir wahrscheinlicher vorkommt ein Diphthong. In diesem letzten Falle ist der Uebergang von -le in -i und von -ies in -Is als eine Monophthongierung und wohl zu- gleicherzeit als eine Kürzung aufzufassen. Ueber das aus- lautende -ien s. noch S. 40 f. '^^)

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KAPITEL VI. Die samländischen Instrumental- und Dativformen.

Im Glossar zu Trautmanns Ausgabe der altpreussischen Sprachdenkmäler werden widerholt zu <^-Stämmen gehörige Kasusformen auf -an als Instrumentale aufgefasst und auch in der diesem Glossar vorangehenden Grammatik lesen wir von einem bei dieser Nominalklasse vorkommenden, stets von sen „mit" abhängigen Instrumental auf -än^ -a7i (S. 226 f.). In den Abschnitten iiber die übrigen nominalen Stammklassen finden wir nichts über den Instrumental, abgesehen von der Bemerkung S. 233, dass die Bezzen- bergersche Deutung von senune als semmen, das dann eine Instrumentalform sein sollte (ebenso wäre nach B. aulanse aufzufassen), kaum richtig ist. Ueber semme und Bezzen- bergers Hypothese s. oben S. 11 f.

Aus Trautmanns Buch bekommt man also den Eindruck, dass das Altpreussische bei einer Stammklasse den Instru- mental bewahrt, bei den übrigen ihn aufgegeben hat. Es fragt sich dann aber : welcher Kasus hat bei diesen andern Flexionsklassen die Funktion des Instrumentals übernom- men? Nach einer Antwort auf diese Frage suchen wir natürlich in Trautmanns einleitendem Kapitel zur Dekli- nation, wo vom Gebrauche der Kasus die Rede ist. Der Instrumental wird hier tatsächlich besprochen, und zwar im Abschnitte über die Präpositionen, S. 211 f.; zur Prä- position sen wird da Folgendes bemerkt: „5^w „mit" regiert

6

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von Hause aus den Tnstrum. wie li. su, slav. sn. So steht

er [sie] mit dem Instr z. ß. 71, 2 „seidti^' ; 51, 23 „sen

mäim^' ; 61, 26 „*^w madlan^^ ; 27, 21 „^^^^ 7vmgriskan'\ Da nun lautlich bei den meisten ^/-Stämmen der Instr. und Akk. Sg. zusammenfiel und auch ostpr. mU mit dem Akk. steht, so wurde se}i mit dem Akk. verbunden z. B. 29, 30 „sen toissans pergirnmans^^ ; 39, 32 „se7i denvas tvirdan^\ Zu dieser Akkusativkonstruktion wirkte noch ein Drittes mit. Nach dem D. steht se?i c. Dat. (man beachte auch, dass sf^/ikic lautlich sich mit dem Dat. grlku deckt) z. B. 43, 9 „sen Christo'^] 57, 3 „sen sUimans^^ \ 65, 28 f. „S(ni alklnisq^iai \ daraus entstand die Konstruktion c. Dat-Akk. z. B. 33, 16 „sen wissamans Christianans''' \ 41, 21 f. „sen stesmu wirdan^\ Aus diesen verschiedenen Möglichkeiten ergeben sich ge- mäss § 112 Mischkonstruktionen: sen c. Akk. -Instr. 75, 1 „sen loissans swaiels''' \ c. Dat. -Instr. z. B. 27, 22 „sen ainesmu swäigstan'^ ', 31, 26 f. „sen stoaiäsniu swinton temprcm krawian^\^^ Wenn man so etwas liest, so begreift man die durch Trautmanns Grammatik veranlasste Frage Lewy's Indo- germ. Forsch. 32, 170: „kann es eine Sprache in diesem Zustande der Formen überhaupt geben?" und die etwas weiter in demselben Aufsatze vorkommende Bemerkung, dass solche Schwankungen im Kasusgebrauch wie das Enchiridion sie aufweist wohl nirgends vorkommen, „ausser etwa bei Leuten, die eine Sprache nicht können" (S. 174). In mehreren Fällen, wo der Kasusgebrauch ein unwahr- scheinlich buntes Bild zeigt, haben wir den Grund vielleicht in Wills ungenügender Kenntnis der preussischen Sprache zu suchen. Im oben zitierten Passus aber hat Trautmann das Bild bunter gefärbt als nötig war. Dass sen im En- chiridion mit einem Dativ und einem Akkusativ, bisweilen sogar mit einer Kombination dieser beiden Kasus konstruiert wird, das ist nicht zu leugnen. Auch kommen vereinzelt Verbindungen von sen mit pronominalen Instrumentalen vor, einen nominalen Instrumental dürfen wir aber für das Altpreussische Abel Wills nicht annehmen. ' °^) Es

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fällt uns sofort auf, dass Bezzenberger und Trautmann den Instrumental nur für solche Deklinationsklassen annehmen, wo dieser Kasus mit dem Akkusativ lautlich zusammen- fallen musste. Unter den zahlreichen Beispielen, wo diese Forscher einen Instrumental annehmen, gibt es kein ein- ziges, wo dieser Instrumental vom Akkusativ verschieden wäre. Freilich wäre angesichts lit. ranka Akk. : ranka Instr., szvente: szveutc^^^^) auch im Preussischen ein Betonungs- unterschied zwischen den beiden Kasus möglich, und tatsächlich hat man geglaubt, altpreussische oxytonierte Instrumentale annehmen zu dürfen. Ein solcher wäre nach Berneker 197 die einmal vorkommende Form isspresium [sen isspresnan „mit Vernunft"). Mit dieser Ansicht erklärte sich Bezzenberger BB. 23, 304 einverstanden. Später aber hat dieser Gelehrte entdeckt, dass ein oxytoniertes isspresnan nicht zu den Betonungsgesetzen des Altpreussischen stim- men würde, weshalb er jetzt isspresnan liest (KZ. 41, 80); dieser Meinung hat sich Trautmann 226 angeschlossen. Wenn wir nun daran denken, dass isspresnan die einzige Form ist, worauf man die Annahme eines in der Betonung vom Akkusativ abweichenden Instrumentals stiitzen könnte, so legt die Korrektion von -an in -an den Gedanken nahe, dass das Preussische zu Wills Zeiten bei den ^-Stämmen ebensowenig wie bei den andern Nominalklassen einen Instrumental gekannt hat. Bezzenberger und Trautmann haben aber diesen weiteren Schritt nicht gemacht. Im Gegenteil: die Meinung, dass das Altpreussische einen Instrumental auf -au besessen habe, hat Bezzenberger aaO. 78 f. zur verzweifelten Hypothese geführt, dass die je einmal im Enchiridion vorkommenden Formen semmenndi aulause mit auslautendem -en zu lesen und als Instrumentale aufzufassen seien (s. darüiber oben S. 11 ff.), während Trautmann zwar diese Bezzenbergersche Vermutung für unwahrscheinlich hält (S. 233), seinerseits aber einen zweiten Instrumental auf -an in ränkän (53, 12) erblicken möchte, wofiir er "^rankän liest. Die Form ränkän kann natürlich so

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wie sie iiberliefert ist nicht richtig sein. Sie steht in der Ver- bindung sensenditmai ränkäti „mit gefalten henden'', während einige Zeilen weiter (53, 21 f.) in derselben Bedeutung das viel begreiflichere sen senditans ränkans vorkommt. Was für sen senditmai ränkari zu lesen ist, weiss ich nicht. Wenn wir die Form ränkän auf eine einfache Weise korrigieren wollen, so lesen wir am besten mnkan : wir hätten dann eine ähnliche Mischkonstruktion anzunehmen wie bei sen stesmu v-irdan ' ') (s. S. 82). Allerdings muss auch bei dieser Auffassung die Form senditmai für nicht ganz richtig gehalten werden.

Die Form isspresnän gibt noch zu einer Bemerkung Anlass. Bezzenberger hat die Konjektur isspresnän deshalb vorge- schlagen, weil die Endung -an nicht zum dritten der von ihm aufgestellten Betonungsgesetze der preussischen Sprache stimmen würde, nach welchem „neutraler Ton [d. h. der Akzent auf kurzer Silbe] im Gegensatz zum Litauischen und Slavischen nicht behandelt wird, wie geschleifter, sondern bleibt auf seiner Stelle, auch wenn ihm eine un- betonte gestossene Silbe unmittelbar folgt" (z. B. maddla, tickra, wissa). Obgleich die angeführten Beispiele Bezzen- bergers Regel sehr plausibel machen, bleibt wegen des geringen Umfanges des überhaupt vorhandenen Materials Raum für die Frage, ob nicht dennoch aus einem paroxy- tonierten ^isspresnart bei akutierter Ultima isspresnän geworden sein könnte, trotz maddla usw. Ich gehe auf diese Frage nicht ein, erstens weil eine Lösung mir unmöglich scheint, zweitens weil wir isspresncm, auch wenn kein anderer Grund für diese Konjektur vorläge, schon deshalb in isspresnän ändern dürfen, weil es die einzige im Enchiridion vor- kommende Kasusform auf -an ist, während zahlreiche Formen auf -an vorkommen, auch nach der Präposition sen. Wo die Verhältnisse so liegen, ist die Annahme viel wahrscheinlicher, dass die Form isspresnän verfehlt ist es gibt ja zahlreiche Fehler in unserm Drucke! als dass sie der einzige Rest einer sonst im Preussischen nicht mit

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Sicherheit nachweisbaren urbaltischen Kasusformation sein sollte.

Aus dem Vorhergehenden ergibt sich, dass der Kasus- gebrauch nach sen nicht so bunt war wie man aus Traut- manns S. 81 f. zitierten Worten schliessen würde : sen regiert den Dativ und Akkusativ, einen Instrumental werden die Nomina der historischen altpreussischen Periode kaum mehr besessen haben. Bezzenbergers Bemerkungen BB. 23, 304, KZ. 41, 80 f. ' ^ ^) und Trautmanns Paragraphen 113 g (S. 211 f., über die Rektion von sen) und 130 (S. 226 f., über den Instrumental der ^l-Stämme) bedeuten einen Rück- schritt Berneker gegenüber, der S. 197 zwar isspresnän als eine Instrumentalform betrachtete, diese Form aber bloss als einen Kasusrest, nicht als den Vertreter einer in der Sprache noch als solche existierenden Kategorie betrachtete.

Das Indogermanische besass bekanntlich neben dem nur aus dem Balt. und Slav. bekannten Instrumentalausgang -am in gleicher Funktion die Endung -ä\ ved. dhärä usw., und in einem Teil der germanischen Sprachen hat diese Formation die Funktion des Dativs übernommen: ahd. gehu, as. getu, an. gjof. S. u. A. Streitberg Urgerma- nische Grammatik 237, Janko Soustava dlouhych slabik 'koncovych v stare germans^tine 56 ff., Brugmann Grundriss 2^, 2, 190. Dagegen liegen alte Dativformen auf idg. -äl in got. gibal, ags. giefe vor; s. Streitberg aaO. 237, Janko aaO. 255 f. (Idg. Forsch. Anz. 15, 262), Brugmann aaO. 168 f. Für eine ältere Sprachperiode haben wir diese beiden Bildungen nebeneinander anzunehmen, zuerst natürlich in verschiedener Funktion; allmählig aber wurden die Funktionsunterschiede verwischt. Wenn wir nun im Alt- preussischen neben dem Dativ auf -ai [perdäsai „Ware", alklnisqitai „Kummer"; von Adjektiven : ^mÖ2^<ste' „ewig", wissa'i „ganz") in gleicher Funktion einer Formation auf -u begegnen (kanxtishi „Zucht", sparüsku „Stärke", reddishc „falsch", sm,ünemsku „menschlich"), so liegt die Vermutung nahe, dass das Altpreussische, das ja bei den Nomina

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keinen Instrumental als lebendigen Kasus mehr besitzt, auf eine ähnliche Weise wie die germanischen Sprachen die alte Instrumentalform auf idg. -u (woraus nach Gut- turalen apr. -u entstehen musste) in dativischer Funktion, oder besser gesagt: auf eine ähnliche Weise wie die ur- sprimghchen Dativformen sowohl in dativischer wie instru- mentaler Funktion verwendet. Allerdings bleiben zwei Sachen auffällig: 1. dass die Form auf -?,' aus -^7 ausschliess- lich bei Substantiven auf -iska- und Adjektiven auf -iskajä- vorkommt, 2. dass das Altpreussische eine andere indo- germanische Instrumentalendung zeigt als das Litauische und das Slavische. Einen ähnlichen Gegensatz finden wir aber auch in andern Fällen, z. B. apr. Genitiv dekvas :\it. a^vo, abg. hoga ; apr. Dat. hasmu (mit sm^ : lit. kdm^ Mmui, abg. komu. Für meine Vermutung, dass kanxüsht usw. Instru- mentalformen sind, dürfte noch der Umstand sprechen, dass auch bei den männlichen und sächlichen «-Stämmen ein Dativ-Instrumental vorliegt, der sowohl Dativ- wie Instrumentalausgänge zu zeigen scheint.

Der Dativ der ß-Stämme geht im Preussischen bekannt- lich auf -ai oder -ii aus: einerseits istai ,,^Q^Qii^\malnijklkai „Kindlein", ivirdai „Wort", auch wohl das als Adverbium gebrauchte Utal „Abends", anderseits (jrlku „Sünde", malnlkn „Kind", piru „Gemeinde" und siru „l^Qj:z^\ivaldniku „König"; s. ßerneker 189, Trautmann 216 f. Lewy Idg. Forsch. 32, 173 Fussnote 7 hat die allerdings „ausdrücklich mit vielen Fragezeichen" versehene Vermutung ausge- sprochen, dass -ai die Endung der Neutra, -u diejenige der Maskulina sei. Wenn diese Vermutung richtig sein sollte was nicht zu beweisen ist , so wäre doch die Verteilung der beiden Ausgänge sekundär, denn ursprüng- lich hatten die männlichen und die sächlichen Nomina in allen Kasus ausser dem Nomin. Sing, und dem Nomin.- Akkus. Plur. dieselben Endungen. Ich glaube, dass wir, einerlei ab Lewys Vermutung richtig ist oder nicht, den altpreussischen Formen am besten gerecht werden, wenn

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wir in -ai eine indogermanische Dativendung {— lit. -ui, avest. -äi, gr. -w, lat. -ö, altlat. -c^, osk. -üi, ahd. -^; s. Brug- mann aaO. 2% 2, 168 und die dort zitierte Literatur, Trautmann 216), in -u aber eine Instrumentalendung (= lit. -u, aind. -ä, ahd. -u, mit qualitativem Ablaut got. -a aus idg. -e; s. Brugmann aaO. 188 ff.) erblicken. ' ' ■'^) Apr. wirdai usw. stehen dann also zu piru usw. in einem ähnlichen Verhältnis wie ags. ckege, as. dage, ahd. tage, an. dage zu got. daga, as. r/«^«, ahd. 25^_^«<. Das Althochdeutsche und Altsächsische stehen insofern auf einer altern Entwicklungs- stufe als das Altpreussische, als sie den alten Funktions- unterschied zwischen den beiden Formationen bewahrt haben. Auf die Dauer wurden aber auch auf hochd. und niederd. Boden die beiden Kasus nicht auseinander gehalten, bis schliesslich der Dativ den Instrumental vollständig verdrängte; s. Behaghel Geschichte der deutschen Sprache ^ 288, Wilmanns Deutsche Grammatik 3, 663 ff., 704 f., Holthausen Altsächsisches Elementarbuch 181. Hier erfolgte also die Entwicklung in derselben Richtung wie bei den gotischen und angelsächsischen r>Stämmen, aber in umge- kehrter Richtung als bei den gotischen ö^-Stämmen und den althochdeutschen r;-Stämmen.

Ein ähnlicher Parallelismus zwischen dem Preussischen und den germanischen Sprachen liegt auch in der pro- nominalen Deklination vor. Got. ßamma^ hwamme-h, ahd. deynu^ as. theynu haben eine Instrumentalendung, idg. -e -o , die an den um idg. -sm,- (vgl. ai. tdsmai, tdsmät, tdsmm) ver- längerten Pronominalstamm getreten ist (s. Streitberg aaO. 269, Janko aaO. 56, 93, Idg. Forsch. Anz. 15, 252, Brugmann 2-, 2, 363). Dativendungen kommen nicht vor. ^ *^) Ebenso begegnen uns im Altpreussischen ausschliesslich Formen auf -sm.-ii\ ' ' •'') siesmu^ sUismu^ schismu^ kasmu usw. Das -u dieser Formen kann aus entstanden und also mit demjenigen von ahd. demu^ as. themu identisch sein, und ich wüsste keine Erklärung, welche plausibeler wäre.

Trautmann 226, 217, 262 ^ix^^id^^T. spar tisku^reddisku, piru ^

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stesmu usw. anders auf. Das ist teilweise dadurch zu erklären, dass er dem Instrumental als syntaktisch selbständigem Kasus einen allzu grossen Platz eingeräumt hat. Dadurch konnte er kaum auf den Gedanken kommen, dass in einem preus- sischen Dativ eine Instrumentalform stecken könne. Wenn wir aber den preussischen Instrumental als selbständigen Kasus leugnen und darauf achten, dass die sogenannten Da- tivformen sowohl von Nomina wie von Pronomina auch nach sen stehen (die sogen, pronominalen Instrumentale sind nur vereinzelte Kasusreste; s.u.), so ist gegen unsere Auffassung nichts einzuwenden. Sie ist umso wahrschein- licher, als die von Trautmann vorgeschlagenen Deutungen auch sonst auf sehr schwachen Füssen stehen.

Trautmann fasst S. 262 stesmu als ein indogerm. "^fctesmö auf, mit der zirkumflektierten Dativendung -ö, die nach J. Schmidt Festgruss an Böhtlingk 102 neber -öl existiert haben soll. S. 217 wird für preuss. griku ebenfalls eine Dativendung -o angenommen ; auch hier wird auf J. Schmidt aaO. verwiesen. Und der weibliche Dativausgang -u wird S. 226 als ein indogerm. aufgefasst, das zu -^i in einem ähnlichen Verhältnis stehen soll wie zu -öi] auch für dieses wäre also zirkumflektierte Intonation anzunehmen. Ausser J. Schmidts Fussnote Festgruss an Böhtlingk 102 wird hier auch Collitz BB. 17, 34 f. zitiert.

Wenn wir nun die von Trautmann angefiihrte Stelle aus dem Festgruss am Böhtlingk aufschlagen, so sehen wir, dass J. Schmidt dort tatsächlich neben -öi einen Dativ- ausgang '0 annimmt, und zwar soll dieser in gewissen italischen, baltischen und germanischen Formen vorliegen : lat. populo, apr. waldniku^ kasmu^ ahd. mo^ huuemu. Was zuerst den lateinischen Ausgang anbetrifft, dieser kann sehr wohl auf italischem Boden aus -öi entstanden sein; s. Som- mer Lateinische Laut- und Formenlehre ^ 342. Die deutschen Formen auf -o sind mit denjenigen auf -u nicht identisch; s. Janko Soustava S. 57 Fussn. 88, S. 84, Idg. Forsch. Anz. 15, 251. Für keine von diesen beiden Endungen

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brauchen wir von idg. -d auszugehen (s. Janko an den angefiihrten Stellen), für -u ist das sogar unmöglich: was aus indogerm. im Ahd. wird, das zeigen f/omo und namo. Ahd. demu, hnuemu müssen -o gehabt haben; vgl. die ab- lautenden gotischen Endungen von fjamma^ hwamma^ hiüammeJi^ wofür nichts anderes als idg. -e' angenommen werden kann. Sollten wir nun unter solchen Umständen das -u der preus- sischen Dative stesmu, kasmu auf ein in der Luft schweben- des idg. -b zuriickführen anstatt es mit dem -71 von ahd. demu zu identifizieren ? Und dasselbe, was für den Ausgang der Pronominalformen gilt, muss auch für die maskulinen und neutralen nominalen Dative gelten: ein idg. Dativ "^perd ist eine ungenügend begründete Form; gegen einen Instrumental "^pero ^i^) als Grundform des altpreuss. piru lässt sich dagegen nichts einwenden. ^^'^) Wegen des apr. 'U s. S. 53 f.

Bevor wir weitergehen, müssen wir einen Augenblick den preussisch-nordlitauischen Dativen auf -ü, womit die zemaitischen auf -ü, -ou identisch sind, unsere Aufmerk- samkeit widmen. Trautmann 217 identifiziert die nordwest- zemaitische Endung -ou mit dem preussischen Ausgang -m, die südost-zemaitische Endung aber mit lit. -ui.^^^) Piese Trennung der Formen auf -ou von denjenigen auf ist verfehlt: bekanntlich entwickelte sich aus dem im Schriftlitauischen als //auftretenden Vokalim nordwestlichen Zemaitischen -ou, im südöstlichen Zemaitischen -ü] und wenn nun neben einer s.-o. -zemaitischen Form auf in gleicher Funktion eine n.-w.-zemaitische Form auf -ou vorkommt, so dürfen wir ohne einen zwingenden Grund diese For- men nicht voneinander trennen, sondern müssen sie beide als Aequivalenten einer und derselben schriftlitauischen Form auffassen. S. Bezzenberger Nachrichten v. d. kgl. Göttinger Ges. d. Wiss. 1885, 160 f., Baranowski-Leskien Idg. Forsch. Anz. 13, 88, jetzt auch Porzezin'ski Idg. Forsch. 31, 425. Und wenn südost-zemait. einem litauischen -ui entsprechen kann, so muss dasselbe für nordwest-zemait.

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'ou gelten. Tatsächlich wird eine solche zemaitische Ent- wicklung des auslautenden idg. -öl, urlit. -m von mehreren Forschern angenommen, und diese Ansicht wird wohl richtig sein. Das Preussisch-nordlitauische geht hier mit dem Zemaitischen zusammen. Als Zwischenstufen werden -nu > anzunehmen sein. Aus diesem -// ' ^ ^) entstand in einem Teile der Mundarten -v^ in einem andern Teile -ou. S. Bezzenberger aaO. und BB. 21, 302, Baranowski-Leskien aaO., Doritsch Beiträge zur litauischen Dialektologie CV (Ma. von Klooschen-Bartel), CCV (Ma. von Salanty).

Für den mutmasslichen indogerm femininen Dativ auf verweist Trautmann auf J. Schmidt aaO. 102 Fussnote und Collitz BB. 17, 34 f. An diesen Stellen ist von preus- sischen Formen keine Rede: ein indogerm. Dativ auf wird wegen altlateinischer Formen wie MatiUa und wegen germanischer Formen wie ahd. gehu, dem, blinteru, an. gjof angenommen. Was die lateinischen Formen anbetrifft, diese haben ihren Auslaut -a wohl erst auf italischem Boden erhalten; vgl. Sommer aaO. ^ 146, 290, 327 und die daselbst angeführte Literatur; und die germanischen können kein indogerm. haben : wenn idg. -5 im Althochdeutschen zu -0 geworden ist {gomo usw.), so muss für -r/. dieselbe Ent- wicklung angenommen werden, -u setzt altes und nicht voraus: dieses -n ist eine Instrumental- und keine Dativ- endung. Es liegt also absolut keine Berechtigung vor, in apr. sparüsJcu, reddisku usw. Dativformen auf idg. ' ^ ") zu erblicken ; gegen meine Auffassung dieser Formen als Instru- mentale lässt sich dagegen kaum etwas einwenden.

Aus dem bis jetzt Erörterten ergibt sich ein gewisser Parallelismus zwischen der Entwicklung des altpreussischen Kasussystems und derjenigen des germanischen. Natürlich beruht dieser Parallelismus nicht auf einer engen Verwandt- schaft der Sprachen. Die Hauptthese der Leskienschen Schrift „Die Declination im Slavisch-Litauischen und Ger- manischen": dass die Deklinationsformen nicht auf eine nahe Verwandtschaft von ßaltisch-Slavisch und Germanisch

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hinweisen, wird sich wohl auch in der Zukunft ebenso unerschüttert behaupten wie sie es schon vierzig Jahre ge- tan hat. Und das Altpreussische ist eine baltische Sprache ; es steht also genetisch zum Germanischen in demselben Vehältnis wie Litauisch oder Lettisch. Die Sache ist ein- fach diese: dass das im Baltischen treu bewahrte indo- germanische Kasussystem im Preussischen auf die Dauer dadurch vereinfacht wurde, dass einige Kasus aufhörten als syntaktisch-morphologische Kategorien zu existieren. Auf eine ähnliche Weise hatten die germanischen Sprachen ein oder anderthalb Jahrtausend früher einige Kasus ver- loren. In beiden Fällen erfolgte die Entwicklung in der- selben Richtung und wurden ähnliche Mittel verwendet. Auch was die nicht dativisch gebrauchten Reste des alten Instrumentals anbetrifft, besteht eine gewisse Aehnlichkeit zwischen Altprenssisch und Germanisch. Das Gotische besitzt bekanntlich noch ein paar pronominale Instrumen- tale: jje und hive. Hive existiert noch im lebendigen Ge- brauch als Instrumental: „womit? wodurch?"; sonst werden hwe und ße nur noch bei Komparativen gebraucht [hwe managizo „um wieviel mehr?", 711 ]je haldts „non eo amplius"), und in der Verbindung mit Präpositionen: bipe „nachher; als, nachdem", dujje „deshalb; dass, weil", hihwe ^,^0V2i\-iV\ duhve „wozu? weshalb?" ' "^ '); s. Streitberg Gotisches Elemen- tarbuch -^'^ 118 f., 173. Diese Formen kehren in andern germanischen Sprachen wieder: altnord. altschwed.jö^', /^z^?«', ags. "^i-s, hwi, as. hwl, mittelniederl. hedi (= got. hiße), twi (vgl. got. duhve). '--) Und daneben mit ö-Stufe ags. M, afris. as. mnl. hü, altschwed. Im- „wie?" aus idg. %'/<?'. Auf diese selbe Form *^«<?' wird auch der litauische Instrumental M zurückgehen. Die geschleifte Intonation und die dadurch bewahrt gebliebene Länge des Vokales haben bei einer einsilbigen pronominalen Form nichts Auffälliges (s. Hujer Slovansku deklinace jmennä 65 Fussn. 1 und die dort angeführte Literatur). Dass lit. M eine andere Formation als taku, gern sein sollte, '^^) ist mir unglaublich. Im Preus-

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sischen blieb diese Instrumentalform in einigen Verbin- dungen bewahrt: senku „damit" (vgl. got. hihwe usw.), kuil- fj'imai {(jiwassi) „so lange (du lebst)", hidesnamm.i [Joes imieUi\ II), hoclesmmma {yous pogeiity] I) „soofFt(jhrs trinckt)." '^^)

Ein Instrumental von stas begegnet Mn^Qo,2>2: siuUgimi kai „bisz das". Wegen des -a s. S. 53 f. Ein lautgesetzlicher Instrumental von stas mit ^-Stüfe wird aber in sie mijls „deste lieber" (57, 2) vorliegen. In dieser Bedeutung ge- brauchte ja das Indogermanische einen Instrumental (s. Brugmann Grundriss 2^, 2, 530 f.); auch im Germanischen hat sich dieser Instrumental gehalten: got. pe^ afris. ndl. te\ s. S. 23.

Ausser den bisher besprochenen Formen gibt es in unsern Texten noch zwei Reste vom Instrumental und zwar swaieis und ^nüim^ maivi.

Stvaieis kommt einmal vor: 75, 1 sen ivissan sivaieis „mit allen den seinen". Diese Form kann kaum etwas anderes sein als ein Instrumental Plural mit nach i aus -ais ent- standenem -eis^ und dieses -ais ist identisch mit lit. -als, ai. -üik, gr. -oig, lat. -is. S. Berneker 197, Trautmann 272. Dieses swaieis ist der einzige Instrumental Plural der alt- preussischen Texte. Ich vermute, dass die alte Formation in einigen Ausdrücken bis in die historische Zeit bewahrt geblieben ist, ebenso wie z. B. der alte Lokativ in griech. olyoi und 'la&^oi fortlebte oder wie man im Polnischen noch immer in inne)?ii siowy „mit andern Worten" u. ähnl. Aus- drücken einen Instrumental auf -y verwendet, während sonst eine den ö-Stämmen ursprünglich nicht zukommende Endung -ami gebraucht wird.

Mäim, maiw, kommt dreimal im Euch, vor: 51, 23 sen mäim und 53, 5 sen maim „mit mir", 67, 22 in dativischer Funktion mäim „mir", während sonst in dieser Funktion bloss mennei gebraucht wird, und zwar ziemlich oft; ebenso iebhei, -e „dir" und sebhei „sich". Diese Formen werden nie instrumentalisch gebraucht. Dieser Tatbestand erklärt sich am einfachsten, wenn wir annehmen, dass das dativisch

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gebrauchte mäim, auf einem Fehler Wills oder eines Tolken beruht: das Deutsche stellte den preussischen Formen w.^2m und rnennei nur eine Form gegenüber: mir; dadurch ist ein solcher Fehler sehr begreiflich. Wir dürfen es also für wahrscheinlich halten, dass die altpreussischen Personal- pronomina, jedenfalls im Singular, eine besondere Instru- mentalform mit instrumentalischer Funktion besessen haben. Dies ist aber die einzige Wortklasse, wo dieser Kasus existiert. Das Altpreussische befindet sich also in derselben Entwicklungsphase wie das Lettische. S. Endzelin Slav'ano- baltijskie et'udy 61 f. Fussnote.

Die altpreussische Instrumentalform mäim, malm wird verschieden erklärt (s. Berneker 208 f., Trautmann 269 f., Brugmann Grundriss 2^,2, 419). Das einzige, was fest- stehen diirfte, ist, dass das -7n auf -m;i zurückgeht und mit dem Ausgang von lit. imrii, manlnü, abg. Umi identisch ist.

Bei der Besprechung der Instrumentalformen widmeten wir bereits auch einigen Dativformen unsere Aufmerk- samkeit. Jetzt werde ich die im Preussischen vorhandenen Formationen des Dativs Singular der Reihe nach behandeln.

Wirdai usw. haben wohl ein indogermanisches -öi; s. Berneker 189 f., Archiv f. slav. Phil. 25, 477, Trautmann 216, Brugmann Grundriss 2 ^, 2, 168.

Das -ai von perdäsal usw. wird wohl allgemein als idg. -m aufgefasst und eine andere Deutung wäre kaum denkbar; s. Brugmann aaO. 169.

Auch semmey, -ley (I na semmey, II nasemmiey „auff erden") ist eine klare Form : es entspricht dem litauischen Dativ zem.ei. Wegen des Wechsels -ey. -iey s. S. 63 f. Dass das i die direkte Fortsetzung eines im Litauischen geschwun- denen urbaltischen i sein sollte, kommt mir weniger wahr- scheinlich vor (vgl. semme N. Sg., nicht "^semmie).

Auch die zu i-Stämmen und zu Personalpronomina ge- hörigen Dative auf -ei bereiten uns keine Schwierigkeiten;

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wegen nauiei^ inattei vgl. S. 57 f., wegen mennei, tebhei {-e), sehhei s. S. 56 f. Auf die Stammesgestalt brauchen wir jetzt nicht einzugehen.

Eine Form auf idg. -äi ist auch stessiei, der Dat. Sing. Fem. vom stas. Brugmann aaO. 169 identifiziert diese Form mit aind. tasi/äi, und das \vird vom Anlaut abgesehen richtig sein. Dieselbe Ansicht vertreten Berneker 201, Trautmann 263. Dem letztgenannten Forscher scheint es entgangen zu sein, dass er durch diese Annahme mit der S. 171 von ihm ausgesprochenen Ansicht, dass sj im Alt- preussischen zu '-^ (geschr. «7^) geworden sei. ^-•'') in Wider- spruch gerät. Dieser Widerspruch gibt mir Anlass, der Form stessiei meine besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

Wenn wir uns das in Trautmanns Vokabular übersicht- lich zusammengestellte Material genauer ansehen, so ergibt sich, dass neben stessiei^ steisiei, stessie ^ ^^) (je 1 X) auch stessei, sUisei, steisei, steise (je 1 X) vorkommen , und zwar werden diese Formen an allen vier Stellen als Artikel gebraucht, während stessiei, 67^?<?i^i substantivische Pronomina der „Der- Deixis" sind (73, 22 stessiei qiiai\ 73, 25 steisiei quai „der [d. h. derjenigen] die") und stessie (75, 14) als Personalpro- nomen („ihr") verwendet wird. Und dass diese Verteilung der Formen auf Zufall beruhen sollte, ist deshalb umso unwahrscheinlicher, weil ähnliche Verhältnisse beim Genitiv Sing. Fem. vorliegen : wenn wir die ursprünglich männlich- sächlichen bezw. pluralischen Formen auf -sei (-se) und 'son {'Sa?i), die oft mit femininer Bedeutung gebraucht werden, ausser Betracht lassen, so bleiben folgende Formen iibrig, die je einmal als Gen. S. F. vorkommen : stesses, steis^s, stessies, stessias; die ersten zwei Formen sind Arti- kel, ^^^) die dritte und vierte werden pronominal gebraucht (75, 35 esse stessies X. Paitson „von wegen dieser N.". 77, 16 en stessias deicktau „an jrer stat"). Dieser Tatbestand lässt sich am einfachsten erklären, wenn wir annehmen, dass der Dativ auf -siei {-sie) und der Genitiv auf -*i^5 (-5/^5) die normal betonten Formen sind, während die Formen auf

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-sei {-se), -ses bei schwächerer Satzbetonung aus jenen ent- standen sind. Die Endungen -siel (sie), -sies [sias] sprechen gegen die Annahme eines samländischen Lautgesetzes „sj > A' {scky\ Auch die Form muisieson „grösser" wird si aus sj haben; freilich ist ihre Bildungsweise nicht ganz klar. Das einzige Beispiel, das man für die Entwicklung von sj zu s anführen kann, ist das Pronomen scJäs „dieser", dessen a' aus denjenigen Kasus hergeleitet wird, wo dem anlautenden Konsonanten ein j folgte. Diese Annahmeist umso plausibeler, als die Kasus mit ; im Preussischen noch zahlreicher geworden sind als sie im Urbaltischen waren : dem lit. szi^ steht bekanntlich ein preussisches schan (3 X), sckian (1 X), schien (2 X) gegenüber. Nun hat dieses Wort ein urbaltisches a- aus idg. I; Beispiele mit a' [seh) ausidg. urbalt. s + / sind uns nur aus dem Elbinger Vokabular bekannt: schumeno „Draht", schutuan „Zwirn", schuwihis „Schuhmacher", '^^) nicht aus den samländischen Texten. Aus diesen Tatsachen geht hervor, dass das Gesetz sj > -v bloss für die Mundart des Vokabulars anzunehmen ist, während im Samländischen urbaltisches %' zu ^v ''•^^) wurde (urbaltisches -v ohne folgendes / ging bekanntlich in * über; s. u. A. Trautmann 168 f.), sj aber als solches erhalten 'blieb oder etwa in ein durch die Orthographie sl bezeich- netes mouilliertes s überging.

Aus dem vorhergehenden Exkurs in das Gebiet der Lautlehre ergibt sich, dass die Identifizierung der alt- preussischen Dativendung -siei {-sie), -sei {-se) mit ai. -s^/äi richtig ist. ' ^ ") Aehnliche Formationen diirften auch sc/nssai „dieser", kawijdsei „welcher" (je 1 X) sein, obgleich natürlich die Möglichkeit nicht zu leugnen ist, dass schissai eine Form wie got. ßizai sein könnte. Es kommt mir aber un- wahrscheinlich vor, dass das Apr. zweierlei Bildungen ererbt hat; noch eher wäre -ai dem Einflüsse der Nomina zuzuschreiben. Ueber supsai 33, 5 nach Trautmann ein Dat. S. F. s. S. 58. Tennei „ihr" hat dasselbe ei, das in sovielen Kasus dieses Pronomens vorkommt. Mayiey

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(II) und swa'iai (Dat. Sing, possessiver Fürwörter) haben idg. -ai.

Ein nominaler Dativ auf idg. -/^i wird in ^/<^M2<;i(?^ „Blut'' (in II) stecken; s. Bern. 32.

Wir haben jetzt beinahe alle Dative Sing, der preus- sischen Texte besprochen. Es bleiben noch folgende Formen i'ibrig : ' "^ ' )

pp,rg'wiie\ 71, 16 en sioaiai pergimie „in seiner Natur". Berneker 190 hielt es für eine ähnlich gebildete Form wie nautei, mattei, weil „e leicht auch ein unvollkommener Ausdruck für ei sein" könne. Dass auslautendes -e für -ei stehen kann, das ist ohne Zweifel richtig (s. Bern. 126), im vorliegenden Falle aber dürfen wir wegen des Genitivs pHrginmis (71, 31) „Natur", der angesichts des unmittelbar vorhergehenden preigimnis „Art" kaum verfehlt sein wird, nicht ohne Weiteres annehmen, dass pergimie uns richtig überliefert ist. Ist vielleicht pr^rgimnei zu lesen ? Oder etwa pergimne^ mit -e für -eil Etwas Positives lässt sich nicht sagen. S. Trautmann 395.

kirJci „Kirche". Von Berneker 190 für einen Dativ ge- halten. Eine solche Form kommt laut Trautmanns Wör- terbuch nur einmal vor, und zwar 69, 2 f. : stan Sacramen- tan I twaise mijlas Soünas Jhesu Christi \ hlie steisei kirki swaise märtan „das Sacrament deines lieben Sons Jesu Christi | vnd der Kirchen seiner Braut". Die Satzkonstruktion erfordert hier einen Genitiv, und die Formen steisei und sicaise^md. tatsächlich Genitive. Ebenso wie die von Haus aus männ- lich-sächliche Form sv:aise bei einem weiblichen Substantiv steht, könnte anch steisei hier die feminine Form steisies vertreten. Kirhi kann aber kaum eine Genitivform sein; es ist wohl als ein s3nitaktischer Fehler Wills oder als ein Druckfehler zu betrachten. Ein ähnlicher Fehler wird in endirisna steison smüni „ansehen der Person" (61, 9 f.) stecken. Ist kirki ebenso wie smn?ii eine Nominativform, oder, wie Berneker annahm, eine Dativform?

Klausiweniki (47, 5 f. priki stessemu Klauslweniki „gegen dem

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Beichtiger"), preisihi (73, 9 stesmu preisiki „dem Feinde"). Berneker 190 fasst das -i „als Schreibung für unbetontes ^i" auf. Das wäre an sich sehr gut möglich: ein ähnliches -'/ für -ei kommt auch sonst vor (s. S. 56 ff.), und, was speziell die Dative klauslweniki, preisiki anbetrifft, hier könnte die ausnahmslose Schreibung -i der starken Vokalschwä- chung in der dritten und vierten Silbe nach dem Haupt- akzente zugeschrieben werden. ^^'^) Neben dieser Deu- tung liesse sich aber auch die Hypothese verteidigen, dass das altpreuss. -i mit dem -ij oder -i altlitauischer Dative identisch sei. S. Trautmann 236, dessen Herleitung von -i, -ij (die Trautmann beide als Schreibungen für kurzes -i auffasst) aus -ejai freilich kaum richtig sein wird. S. jetzt über altlit. -i und -tj Porzezin'ski Idg. F. 31, 423 ff.

Diese beiden Erklärungsversuche gehen von der Vor- aussetzung aus, dass klauslweniki und preisiki Dative von Ä-Stämmen seien. Nun sind aber die litauischen Nomina auf -ikls^ von welchen die beiden preussischen Wörter nicht getrennt werden dürfen (s. Leskien Die Bildung der Nomina im Litauischen 511 [361]), ;VStämme; wir müssen daher mit der Möglichkeit rechnen, dass auch die preussischen Substantive auf -iks *''^) zu dieser Flexionsklasse gehören und einmal eiaen Dativ auf -jai = lit. -iui gehabt haben. Dass hieraus über -^ei {-iei) ein schwächerer, einfach durch i bezeichneter Laut entstanden sein kann eventuell nur in weiterer Entfernung vom Hauptakzente , das halte ich für ebensogut möglich wie das in unserm Texte wider- holt konstatierte Auftreten von -i für -ei. Im Grunde ist diese Auffassung mit derjenigen von Berneker iden- tisch, der (191) den Ausgang -ei (woraus -i) aus -iei < -iäi (= lit. -iui) erklärte, worin er die auf die männlichen i-Stämme übertragene Endung der /^-Stämme erblickte. S. Bem. 132.

Sogar liesse sich diesen drei Hypothesen noch eine vierte anreihen. Die einzige Kasusform von einem Nomen auf -iks, die ausser den schon angeführten Formen in unserm

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Texte vorkommt, ist der Akk. Plural swinückens „Heilige" 81, 15; diese Form könnte die Vermutung aufkommen lassen, dass die Nomina auf -iks Konsonantstämme seien. Bei dieser Klasse kommt nämlich ein Akkus. Sing, auf -eu öfters vor: em7ieH „Namen" 9 X im Euch., 1 X in I, 2 X in II, emmen „ds." 1 X in I, l'P.rmenen^ kermenen^ kermnen^ kermnen „Leib" je 1 X im Ench., hrendekermnen 1 X im Ench.; s. Berneker 181 f., Trautmann 241 ; wenn von diesen Nomina ein Akk. Plur. vorhanden wäre, so würde dieser vermutlich auf -eus ausgehen, und siotnückens könnte tatsächlich eine solche Form sein. Dann wären die Nomina auf -iks konsonantische Stämme ebenso wie gr. uei^n^, lat. senex, irisch ail; s. Brugmann Grundriss 2-, 1, 475. Und klausiice?iikl, prnsiki wären als Dative der konsonantischen Klasse aufzufassen, und zwar entweder als Dative auf idg. -ei (mit altpreussischer Schwächung des auslautenden Diphthongs) wie kypr. jiFei, osk. paterei, medikei (s. Solmsen KZ. 44, 161 fF.) oder als mit altlit. dukteri^ akmeni (Bezzenberger Beitr. z. Gesch. der lit. Spr. 128), ostlit. dukta^ri, akma'^ni (Porzezinskij Izvestija Il-ogo otdel. xlkad. Nauk 3, 1130), lit. sekaut, -auü-s (mit Dativ verbundenes Gerundium; s. De Saussure Idg. Forsch. 4, 460 f.) usw. '-*) bildungsgleiche, in dativischer Funktion gebrauchte idg. Lokative. Diese Vermutung ist deshalb sehr unsicher, weil sie auf einer bloss einmal vorkommenden Form des altpreuss. Enchiridions beruht. In solchen Fällen muss immer mit der Möglichkeit eines Fehlers oder einer un- genauen Lautbezeichnung •^") gerechnet werden.

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KAPITEL VII.

Der Nominativ Plural der altpreussischen ^-Stämme.

Die männlichen ö!-Stämme haben im Litauischen einen Nominativ Plural auf -ai: vilkm, tlliai usw. In diesem -ai erblicken die meisten Forscher eine ursprüngliche Neutral- endung; vgl. ausser der von Solmsen KZ. 44, 184 f. erwähnten Literatur (Mahlow Die langen Vocale 81, J. Schmidt KZ. 26, 363, Die Pluralbildungen der idg. Neutra 227 ff., Wiedemann Das litauische Präteritum 16, 200 f., Handbuch der litauischen Sprache 64, Bezzen berger r^^«,^ 155 ff., Meillet De quelques innovations de la declinaison latine 15 f., Trautmann Die altpreuss. Sprachdenkmäler 218 f.) auch Gauthiot Idg. Forsch. 26, 353 ff. und die nach Solmsens Aufsatz erschienenen Bemerkungen Meillets Rocznik Slawistyczny 5, 160 ff., Mem. Soc. Ling. 19, 80 ff. und 191. Allgemeine Anerkennung hat diese Ansicht nicht gefunden; vgl. Brugmann Grundriss 2', 2, 213, Solmsen aaO., Endzelin Slav'ano-baltijskie et'udy 138 ff.

Ich behandle jetzt diese Frage nicht in ihrem ganzen Umfange. Das wäre nicht möglich ohne eine eingehende Untersuchung des bisher nicht endgültig gelösten Proble- mes vom Ursprünge des litauisch-lettischen /'. Einige Be- merkungen darüber findet man Bem. 78 und 89; ich bin aber nicht imstande, die ganze Frage von einem neuen Standpunkte aus zu betrachten. Deshalb beschränke ich mich jetzt auf die altpreussische Seite des Problemes, indem ich untersuche, inwiefern die preussischen Nominative maskuliner und sächlicher (2-Stämme zur Lösung desselben etwas beisteuern.

Das altpreussische Material wurde bereits von mehreren

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Forschern im Zusammenhang mit den litauischen Pluralen auf -ai besprochen. Trautmann 218 ff. erwähnt aus dem Pomesanischen (Elb. Vok.) nur Nominative Plur. des Neutrums: austo „Mund" usw.; männliche kommen nach seiner Ansicht im Vok. nicht vor. Tm Samländischen geht der Nom. Plur. Mask. der «-Substantive auf -ai aus; zahl- reiche Beispiele verzeichnet Trautmann aaO. In diesem -ai erblickt er „die Endung -cd der Neutra", welche „in

allen drei baltischen Sprachzweigen beim Substantiv

durchgeführt" sei. Neben diesen zahlreichen Formen auf -ai hat das Enchiridion an zwei Stellen den Nom. Plur. malnijhiku „Kindlein", welchen Trautmann als einen alten Nom. Plur. Neutr. auf -a und als eine Stütze fiir seine Ansicht über die Endung -ai auffasst.

Gerade umgekehrt argumentiert Solmsen aaO. 185: „Ich selbst habe mich Wochschr. f. klass. Phil. 1904, 941 eben- falls für Mahlows und Schmidts Theorie ausgesprochen, allerdings nicht in dem Sinne dass -Ri schon ursprach- licher Ausgang des Nom. Plur. Neutrius der nominalen ^•-Stämme gewesen sei, sondern nur so, dass es damals den pronominalen c^'-Stämmen neben -a zugestanden habe und von diesen aus im Sonderleben des Litauisch- Lettischen zunächst auf die neutralen Nomina, alsdann bei deren Aufgehen in den Maskulinen auch auf diese über- tragen worden sei. Ich halte heute die Theorie auch in dieser Gestalt für unrichtig, und zwar auf Grund des Preussischen. Niemand wird die litauischen Nom. PI. Masc. auf -al von den preussischen auf -ai trennen wollen, im Preussischen aber endigt der Nominativ Plur. der Neutra in der Sprache des Elbinger Vokabulars durchaus auf -o idg. -ä,, in der des Enchiridions in dem einzigen Rest, der ihm mit Wahrscheinlichkeit von den beiden neuesten Bearbeitern des Preussischen zugewiesen wird, in dem deminutivischen zweimaligen malnijhiku (zum maskulinen Nomin. Sing, malnijkixs „Kindlein") auf -a, d. i. ebenfalls idg. -ä. D. h. diejenige Kategorie, die bei dem Uebergang

^ßSMPBELL GOLLECTION

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der Endung der pronominalen Neutra auf die nominalen Maskulina notwendig hätte die Vermittlerrolle spielen müs- sen, kennt die angeblich übertragene Endung gar nicht!"

Auf eine ähnliche Weise führt Endzelin aaO. 138 f. das Vorhandensein der sächlichen Plurale austo usw. im Elb. Vokab. und des zweimaligen maluijkiku (das E. als den Plural eines von Haus aus sächlichen Wortes auffasst) im Enchiridion gegen die Hypothese, dass -al eine ursprüng- liche Neutralendung sei, ins Feld: in der Sprache des Enchiridions sei das Neutrum zwar im Aussterben begriffen (vgl. stas . . . iHstamenis^ gegenüber sta . . . tesiamentan in I), aber der alte Gegensatz: N. PL M. -ai\ N. PL N. -a habe in nialnijkiku eine unleugbare Spur hinterlassen. Und dann wendet Endzelin sich gegen Meillet, der Mem. Soc. Ling. 15, 73 ^•'"') den Untergang der litauischen Personalformen der 3. Pers. PL mit der üurcliführung der nach seiner Ansicht von Haus aus neutralen Endung -ai bei allen ö-Stämmen in Zusammenhang gebracht hatte, indem er eine Verallgemeinerung des syntaktischen Typus ;V)« xqkysv annahm. Endzelin kann diese Ansicht nicht akzeptieren ' ^"): während das Preussische den formellen Unterschied zwischen dem Nom. PL M. und dem Nom. PL N. bewahrt habe, gehe der Untergang der Form der 3. Pers. Plural auf die urbaltische Periode zurück. Auf diese Bemerkung Endzelins hat Meillet Rocznik Slawistyczny 5, 162 f. geantwortet, dass neutrale Pluralformen auf -o (d. h. idg. -^7) bloss im Elbinger Vokabular belegt seien, wo überhaupt keine Per- sonalformen vorkommen, während „les textes vieux prus- siens, qui seuls presentent des formes verbales, n'ont d'autres nominatifs pluriels que ceux en -ai^\ '^'^) Mem. Soc. Ling. 19, 82 kommt Meillet wieder auf den Gegenstand zurück : eine Hypothese Endzelins über die Ursache des Schwundes der Personalformen der 3. Person Plural wird abgelehnt; ' ^ ^) wenn man diesen Schwund erklären will, so sei man genötigt, es im Sinne der Meilletschen Hypothese zu tun.

Dieses di'irfte insofern richtig sein^ als eine bessere Er-

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klärung für die Vereinfachung des Personalformensystems bisher nicht gegeben worden ist. Wenn aber wichtige Gründe gegen die Ansicht Meillets und anderer, dass -ai ursprüng- lich die Endung des Neutr. PI. gewesen sei, sprechen, so ist es nicht zu leugnen, dass dadurch auch die Theorie von der Verallgemeinerung des Typus t«" i^^^^* ai^ Wahrscheinlichkeit verliert; dann ist es wohl am besten, die Vereinfachung des baltischen Personalformensystems einfach als eine Tatsache zu betrachten, und zu warten, bis jemand eine plausibele Erklärung für dieselbe findet. Es gibt ja soviel Unerklärtes in der Grammatik jeder Sprache, und es ist besser keine Erklärung zu geben als eine nicht überzeugende.

Und die von Schmidt und Meillet vertretene Ansicht ist absolut nicht überzeugend ; es sind vor allem die preussischen Verhältnisse, die gegen dieselbe sprechen.

Meillet gibt nicht nur Rocznik Slawist^^czny 5, 162 f., sondern auch M. S. L. 19, 82 ein sehr unvollständiges Bild des preussischen Formbestandes. Bevor ich dieses Bild vervollständige, zitiere ich Meillets Bemerkungen am zuletzt zitierten Orte: „Sans doute la personne dupluriela ete eliminee en vieux-prussien comme en letto-lituanien ; mais c'est que, en vieux-prussien comme en letto-lituanien, la forme en -ai a servi pour le pluriel neutre, et ceci a entraine, en vieux-prussien comme en letto-lituanien, l'elimination de la distinction du masculin et du neutre au singulier; dans les catechismes, il n'y a plus que des traces du singulier neutre en -an, qui est si courant dans le Vocabulaire (voir les exemples dans Trautmann, Dte altpreuss, Sprachdenkmäler, p. 214 et suiv.) ; un mot comme v.-pr. loirds des catechismes est un ancien neutre, ä enjuger par lat. uerhum et got. waurd; le pluriel ?^m/ö!«, dont la forme est commune au masculin et au neutre, a entraine wirds au singulier, et par suite l'empioi de loirdans a l'accusatif pluriel (voir Trautmann, loc dt., p, 219). Le vieux-prussien a garde des formes de neutres en -ä, et ces formes sont

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eiicore frequentes daiis le Vocabulaire; mais on ignore si, dans le dialecte du Vocabulaire, la 3^ personiie du pluriel avait disparu."

Wir fangen unsere Besprechung der altpreussischen Ver- hältnisse am besten mit einer Uebersicht der im Elbinger Vokabular vorliegenden Formen an. Die Mundart dieses Textes besass bekanntlich noch zahlreiche Neutra auf -an: s. Burda Beiträge zur vergleichenden Sprachforschung 6 (1870), 403 ff., Pauli das. 7 (1873), 201 ff., Berneker 266 ff., Trautmann 214 ff. Die Endung des Neutr. Plur. lautet -0, und dieses -o war aus einem indogerm. und urbaltischen entstanden. Solche Plurale auf -o sind sla^o „Schlitten" ( : Sing, slayan „Schlittenkufe") und die Pluralia tantum ausio „Mund" (= abg. iista)^ warto „Türe" (= abg. vrata\ lit. vartm), wanso „Flaumbart" (: poln. ^vasy^ russ. usy\ möglicherweise noch ein paar andere; s. Trautmann 218 und die daselbst zitierte Literatur. Neutra Plur. auf -ai komaien nicht vor. Wohl gibt es einige Plurale nicht säch- licher Substantive auf -ai {-ay) : hroakay „Kniehosen", straunay (1. strannayl strainayl. s. Trautmann 439) „Lenden", lur'iay (1. iuriay) „Meer"; hierher gehören auch wohl c/cü^^^^c^ „Klet- ten", yccroy „Waden": wegen -oy für -ay vgl. Pauli aaO. ,177, Berneker 257, 268, Trautmann 145, 227. Pauli aaO. 176 f. fasste all diese Formen als Nominative Plur. Mask. auf, ebenso Berneker 268. Bezzenberger BB. 23, 303 sah in broakay^ strannay^ yccroy Nominative Dual Fem. ; über clattoy, Iuriay redet er nicht. Trautmann 227 f. nimmt für alle fünf Formen weibliches Geschlecht an, hält aber die Endung für anaiogisch nach dem -ai der preussischen Maskulina entstanden. Wer hat recht? Oder haben viel- leicht die Wörter verschiedene Geschlechter? Zu entschei- den ist die Sache kaum. Broahay^ clattoy sind Lehnwörter aus dem Niederdeutschen ; wenn aus dem Ausgang -ay, -oy das altpreussische Geschlecht nicht hervorgeht, so lässt dieses sich nicht feststellen. <S7ra?^;^ay, /z^n'ay gehören zunächst mit lit. stre7io,s oder vielmehr stre'nos ' "^ ") bezw. jures, jurios

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zusammen. Was luriai/, wofür iiiriaij zu lesen ist, anbetrifft, so liegt die Annahme nahe, dass es mit lit. jnres, jürios identisch ist und feminines Geschlecht hat. Und auch für straiinay ist dieses Geschlecht am wahrscheinlichsten, wenn die Form in strainay zu korrigieren ist, dessen a'i dem lit. e genau entsprechen würde. Allerdings ist das weibliche Geschlecht der beiden preussischen Wörter unbeweisbar, denn auch sonst kommen männliche tz-Stämme und weibliche ^-Stämme nebeneinander vor (s. u. A. Pauli aaO. 161). Auch bei yccroy lässt sich das Genus nicht mit Sicherheit feststellen. Angesichts lett. ihrs „Wade", ^ ^ ') lit. iZ-mi „roe; spawn" (Lalis A dictionary of the lithuanian and english languages^ 1, 111) ist mir männliches Geschlecht am wahr- scheinlichsten ; es ist aber nicht ausgeschlossen, dass preuss. yccroy ein Lehnwort aus dem Polnischen ist (poln. dial. ikra, Plur. ihry).

Wenn alle Nominative auf -ay^ -oy oder ein Teil derselben männlich sind, so zeigt das Vokabular den Gegensatz: männl. -ay {-oy) : sächl. -o < -ä, und dann ist es unannehm- bar, dass -ay eine von Haus aus neutrale Endung sei. Aber auch wenn sämtliche Plurale auf -ay (-oy) weiblich sein sollten, so ist es mir am wahrscheinlichsten, dass sie ihre Endung von den männlichen ^-Stämmen bekommen haben. Der Dual spielt im Altpreussischen gar keine Rolle mehr (s. Trautmann 219); wenn er bei einer Stammklasse bewahrt geblieben wäre, so würde er dort kaum sein ur- sprüngliches Gebiet erweitert haben, ^^'^) so dass die von Bezzenberger für Lroakay, straunay, yccro// vorgeschlagene Deutung nicht auf clattoy, luriay angewandt werden könnte. Dann ist sie aber auch für broakay, straunay, yccroy nicht wahrscheinlich ; viel plausibeler ist die Ansicht Trautmanns, dass die fünf Formen auf -ay, -oy „eine Neubildung nach dem Nom. Plur. der ^-Stämme auf -ai" sind (227 f.).

Neben dieser Hypothese, wobei die Formen auf -ay, -oy als Feminina aufgefasst werden, bleibt die bereits von Pauli geäusserte Ansicht, dass diese W^örter männlich seien,

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gewissermassen plausibel ' ''^); denn im Elbinger Vokabular kommt die alte Endung -äs der ^^-Feminina in der Gestalt -OS bei zahlreichen Substantiven vor; s. Trautmann 227 und die daselbst verzeichnete Literatur. Anderseits aber können diese Formen auf -os das männliche Geschlecht der Formen auf -aij, -oy nicht beweisen, denn es können in einer und derselben Mundart Formen auf -äs (> -os) und -al nebeneinander existiert haben. Im Enchiridion begegnen wir bekanntlich neben einmaligem stawldas inadlas „solche Bitte[n]" und einem unklaren mensas ^ '' '-") welches, auch wenn es richtig überliefert ist, kaum ein Nom. Plur. Fem. ist an einer Stelle einem FlMrale preiöilllsnai „Ver- heissungen" ^^•"•) und an drei Stellen stal gennai^stai gannal „die Weiber". Im Samländischen des 16. Jhs. scheint also die wohl nach Analogie der männlichen ^-Stämme aufge- kommene Endung -ai ziemlich häufig gewesen zu sein. '''^) Weshalb sollte nun die Mundart des Vokabulars nicht ähnliche Verhältnisse gekannt haben ? Das Ueberwiegen des altern Typus in diesem Denkmal dürfte dann mit dem höhern Alter desselben zusammenhängen.

Wie dem aber auch sein soll, auf jeden Fall werden wir fiir die Mundart des Elb. Vokab. eine männliche Plu- ralendung -ai neben einer sächlichen Endung -o (aus -ä) annehmen müssen. Dieses -ai kann also selber kaum ein ursprünglich sächlicher Ausgang sein, und, wenn es mit dem -ai von lit. vilkal identisch ist, kann auch dieses litauische -ai keine alte Neutralendung sein. Bevor wir der Frage näher treten, ob das preussische -ai tatsächlich mit dem litauischen -ai identisch ist, besprechen wir das Material der samländischen Texte.

In den samländischen Texten kommen mehrere ohne jeden Zweifel männliche Nominative Plur. auf -ai vor; s. Trautmann 218. Daneben hat das Enchiridion an zwei weit voneinander entfernten Stellen (33, 29; 71, 4) malnijlahu „Kindlein", welche Form natürlich nicht für einen Fehler gehalten werden darf. Bezzenberger BB. 23, 303 fasste mal-

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nljklhu als einen Dual auf. Das ist angesichts des Fehlens sicherer Spuren dieses Numerus sehr unwahrscheinlich (s. Trautmann 219). Vielmehr ist malnijkiku mit Berneker 192 und Trautmann 219 als eine neutrale Form auf idg. urbalt. aufzufassen. Dass eine solche Form nur bei einem Worte überliefert ist, das stimmt vorzüglich zu den sonstigen ärmlichen Resten der neutralen Nominalflexion. Der einzige mit Sicherheit im Enchiridion belegte Nom. Sg. eines (^-Neutrum ist gijioan, glwan „Leben". '^') I und II haben ausserdem testameidan^ bezw. testamenten „Testament"; in der Sprache Wills war dieses Wort männlich geworden, und auch andere Maskulina sind gewiss alte Neutra, so z. B. tvirds, wirds „Wort"; vgl. got. waurd N., lat. verhum N. Of- fenbar war im Samländischen des 16. Jhs. das Neutrum im Aussterben begriffen, und in der Sprache Wills war dieser Prozess etwas weiter fortgeschritten als in derjenigen von I und II. Zu diesem im Singular klar zutage tretenden Uebergangsetat stimmt vollkommen das Vorkommen einer sächlichen Pluralform bei nur einem Worte. Das Deminutivum nmlnijkth {-ix, -ixs) wird ein urspri^ingliches Neutrum sein; vgl. die aus dem Elb. Vokab. bekannten Deminutiva auf -ia;^ : maldian „Füllen" usw. ; s. Burda aaO. 405, Berneker 267, Trautmann 215.

Aus dem Vorhergehenden ergibt sich, dass das Enchiri- dion ebenso wie das Elb. Vokab. auf einen gemein-altpreuss. Gegensatz: N. PI. M. -ai\ N. PL N. -n hinweist. Die Form malnijklhi hat für diese Frage einen besondern Wert. Solmsen und Endzelin haben das verstanden (s. oben S. 100 f.), und auch wohl Trautmann, obgleich dieser auf eine für micli unbegreifliclie Weise das Vorhandensein dieser Form auf urbaltisches -u als eine Stütze für die Ansicht, dass -ai eine Neutralendung sei, betrachtet, gerade umgekehrt als Solmsen und EndzeHn. Wenn Meillet die Form malnijkiku nicht vollständig ignoriert hätte, so hätte er wohl auch dem „pomesanischen" Gegensatz -aif (-oij) : -0 die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet, und

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die unrichtige Bemerkung, dass „en vieux-prussien comme en letto-lituanien, la forme en -ai a servi pour le pluriel neutre", wäre ungeschrieben geblieben, -al ist im Gegensatz zu (Vokab. -o, saml. -//) die Endung des Nomin. Plur. Mask. und kein von Haus aus neutraler Ausgang.

Ist nun dadurch dasselbe fi'ir die litauische Pluralendung -ai (-at) bewiesen? Natiirlich wohl in dem Falle, wenn das preuss. -al mit dem lit. -ai identisch ist: dann haben wir es mit einem von Haus aus männlichen urbaltischen Aus- gang -lu zu tun. Mir ist dies sehr wahrscheinlich. '''") Die Möglichkeit ist aber nicht zu leugnen, dass die alt- preussische Endung -ai im Einzelleben der preussischen Sprache von den Pronomina herübergenommen ist, ebenso wie gr. Xiy.nt nach ol gebildet wurde: sAso wir dai usw. neiGh stai. Nun wird stai wohl dieselbe Endung haben wie lit. ü, ^m, gere'ji] *^'-*) wenn diese Erklärung von ?6Ufr/a^ richtig wäre, '^^) so würde also der Ausgang von lit. vilkal im Preussischen nicht vorkommen.

Wie wäre in diesem Falle lit. vilkäl zu erklären ? Sowohl die Annahme, dass es eine urbaltische Form des Nom. PL M. sei, als diejenige, dass es eine urbaltische Neutral- form sei, würden vollständig in der Luft schweben. Die 'letztgenannte Hypothese wäre angesichts der preussischen Neutra Plur. auf pomesan. -o, saml. -u sehr unwahrschein- lich. Es bliebe noch die Möglichkeit, dass -ai in der lettisch- litauischen Sprachgruppe auf eine solche Weise, wie Gauthiot Idg. Forsch. 26, 353 ff. annimmt, durch die Anhängung eines -t (oder etwa -ai) an den Ausgang des Neutrum PI. entstanden wäre. Wir müssten dann aber auf jeden Fall den von Gauthiot angenommenen Zusammenhang zwischen der Verallgemeinerung der Personal formen der 3. Pers. Sing, für alle Numeri und der Herübernahme von -ai durch die maskulinen Substantive leugnen; denn die Formen der 3. Person Dual und Plural schwanden wohl bereits im Ur baltischen. Darauf weist die Uebereinstim- mung in diesem Punkte zwischen dem Litaulettischen und

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der einzigen Mundart des Altpreussischen, woraus über- haupt Personalformen bekannt sind. hin. '•^^) Nun würde aber durch diese Modifizierung die Ansicht Gauthiots soviel von ihrem Reiz und ihrer Kraft verlieren, dass wir dieselbe besser ganz aufgeben.

Wie ist lit. vilkal dann aufzufassen? Am einfachsten und natürlichsten ist und bleibt die Identifizierung des lit. -ai [-äl) mit der männlichen Pluralendung -ai der preussischen Nomina. Wie aber dieses lit., apreuss. und wohl bereits urbaltische -ai {-äi?) zu erklären ist, das weiss ich nicht. Solange ich, wie beinahe alle Forscher es tun, für lit. t(}y gerl, gere'-ji den idg. Ausgang -oi annehme, ist es mir nicht möglich, das -ai von vilJcai aus diesem selben -Ol zu erklären.

Zum Schlüsse möchte ich noch bemerken, dass für apr. stai und tvaiJcal, wenn sie mit lit. ic bezw. lit. va'ikal iden- tisch sind, verschiedene Intonation des -ai wahrscheinlich ist; denn der Zirkumflexus von ü ist sekundär (vgl. gerX^ gere'-ji)^ und wir dürfen kaum vermuten, dass er auf die urbaltische Periode zurückgeht. Allerdings könnte der Into- nationsunterschied im Preussischen ausgeglichen sein.

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KAPITEL VIII.

Altpreuss. stas und (ans, tans.

Das altpreussische Pronomen stas^ das als Artikel, als Pronomen der „Der-Demonstration" („der, dieser") und als Personalpronomen der dritten Person („er") auftritt, wird gewöhnlich als ein Mischungsprodukt zweier Prono- minalstämme aufgefasst: der erste soll idg. /-Anlaut haben, während der zweite der indogermanische Stamm '^~to- (ai. tiim^ gr. ToV, got. ßan-a, lit. tas, td^, abg. tu) sein soll. So meint Berneker Die preussische Sprache 198, stas sei „aus einer Verschmelzung der idg. Pronominalstämme "^'/o- und "^to- entstanden" ; er setzt ''^kto- an und glaubt, dass dieser Stamm auch im lit. szidi „siehe hier" stecke. Brugmann, auf dessen Grundriss (2, 770) Berneker aaO. verwiesen hatte, hat sich seinerseits in seiner späteren Schrift „Die 'Demonstrativpronomina der indogermanischen Sprachen" (1904), S. 39, wo er lit. szls, szltas „dieser", sztdi „sieh hier", lett. Schis, preuss. stas nebeneinander anfiihrt, auf Berneker aaO. berufen, so dass wir annehmen dürfen, dass er die Annahme von ^Ho- auch damals für richtig hielt. Und auch im zweiten Drucke des Grundrisses 2, '^ 2, 322 (1911) nimmt er für lit. sztdi, apr. stas einen Stamm ^'k-to- an. Trautmann 260 vertritt dieselbe Ansicht. Er fügt die Be- merkung hinzu, dass "^^Ho- durch Kombination von */:^- und "^tejto- entstanden sei.

All diese Forscher haben sich in ein und demselben Punkte geirrt: die litauische Interjektion sztdi ist Sius szitai entstanden, welche Form mit der Bedeutung „sieh hier" in altlitauischen Texten widerholt vorkommt: s. Bezzen-

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berger Beiträge zur Geschichte der litauischen Sprache 172 Fussnote 2, wo einige Belege aus Bretken verzeichnet sind, und weiter etwa Dauksza's Postilla, ed. Wolter 238, 12; 251, 8; 340, 15; 341, 30; Szyrwids Punkty Kazan', ed. Garbe 82, 5; 97, 24; 109, 4; 146, 17 (daneben sziay 19, 1 und 4). Ein jeder kann sich ohne Miihe soviele Belegstellen zusammensuchen wie er wünscht. Dass aus szitai sztai ge- worden ist, hat wenig Auffälliges: bei Interjektionen kann ein solcher Vokalschwund auch ausserhalb des Gebietes der für andere Wörter geltenden Lautgesetze vorkommen. Dieses szitai, szidi ist nichts anderes als das Neutrum von szUas „dieser"; s. Zubaty Listy filologicke 36, 341 f. ''-'')

Zur Begriindung der Hypothese, dass stas idg. fct- habe, dürfen wir uns also nicht auf lit. sztdi berufen. Ist dann aber die Annahme von einem Stamme ^'kto- überhaupt plausibel? Ich glaube, nein.

Zubat}' aaO. identifiziert stas mit lit. szitas, indem er den Schwund des i „snad prichylenim k jednoslabicnemu tas, lit. ins, misto nehoz v prustine skoro üplne opanovalo" (d. h.: „etwa durch Anschluss an das einsilbige /a«, lit. ^^><y, welches es im Preussischen beinahe vollständig verdrängte") erklären möchte. Dass diese Hypothese Zubaty selbst nicht ganz befriedigt, diirfte aus dem Worte „snad" („etwa, vielleicht") hervorgehen. Lautgesetzlicher Schwund ist absolut ausgeschlossen, aber auch die Zubatysche Hypothese, dass ein Wort für „hie" unter dem Einflüsse eines Wortes für „is" seine Haupttonsilbe verloren habe, ist beinahe ebenso unglaublich. Sollten wir dann vielleicht annehmen, dass zuerst "^sitas (mit s aus urbalt. 'v) die Bedeutung „is" bekommen habe und später unter dem Einflüsse von "^tas in Sias verwandelt sei? Auch das wäre sehr unwahrschein- lich: ursprünglich hatte man nebeneinander sis „dieser, hie", sitas „id.", tas „der, is"; '.sitas, das ebensogut „Tch- Deixis" hatte wie sis, stand als „der hier" in einem ge- wissen Gegensatz zu tas „der", und solange sis in seiner alten Bedeutung existierte (was bekanntlich bis in die

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historische Periode der preussischen Sprache der Fall war), dürfen wir nicht annehmen, dass 'Htas und fas (das im Preussischen ziemlich lange bewahrt geblieben seinmuss; s. u.) gleichwertig geworden seien.

Es kommt mir vor, dass überhaupt diejenigen Forscher, die fi"ir stas von '''li-to-s oder "^k-to-s ausgehen, zu wenig mit der „Ich-Deixis" des Stammes idg. */:i-, slav. st-, lit. szi-, pr. Sohl- gerechnet haben. Und es liegt doch m. E. eine ganz andere Deutung sehr nahe, die ausschliesslicli von Pronominalstämmen mit „Der-Deixis" ausgeht.

Ich möchte in stas ein Kontaminationsprodukt der Stämme "^so- und */ö- erblicken, welche bekanntlich im Indoger- manischen zusammen ein Paradigma bildeten, das die Formen '"'.w, '•'sä als Nomin. Sing. M. bezw. Fem. und Bil- dungen vom Stamme *^ö- fiu* die übrigen Kasus verwen- dete: s. Brugmann Grundriss 2 % 2, 313, Meillet Intro- duction ^ 310. Diesen Kontaminierungsprozess können wir uns auf zwei Weisen denken. Erstens ist mit der Möglich- keit zu rechnen, dass ebenso wie im Litauischen zu den Kasus mit ^^-Anlaut ein Nominativ Singular m. -^tas, f. ^tä gebildet ist; dann können "^tas und *,ya (idg. ^^ö), *^^ und "^^sä eine Zeitlang nebeneinander existiert haben und darauf ,zu stas, stä kontaminiert sein; später wäre der Anlaut st- durch das ganze Paradigma durchgefiihrt; eine solche Entwicklung von stas, stä aus ""''sa, ^sä X "^tas, '^^tä Hesse sich mit der Entstehung von ahd. anfr. bim, hin (nhd. bin, ndl. ben), asächs. biiim, biun, bion, afris. bim, bin, bem, befi, angl. biom aus "^^im, {^em) X "^biju (ags. beo) vergleichen. Zweitens Hesse sich die Hypothese aufstellen, dass das anlautende s- des Nom. Sg. M. und F. auf eine ähnliche Weise vor die iibrigen Formen des Paradigmas gefügt sei, wie das h des Nom. Sg. ags. he, afris. hi, mndl. hi\ vgl. ags. afris. hini, ndl. hem, ags. hiere, hiera, afris. Jiire, hira^ mndl. häre, höre, Neutr. ags. hit, afris. hit, het, ndl. het.

Die erste dieser beiden Hypothesen verdient den Vorzug, und zwar deshalb, weil in einer der Bedeutungen, welche

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stas in den samländischen Texten hat, ein altpreussischer Nominativ '^tas tatsächlich nachzuweisen ist. Zwar kommt er als selbständiges Wort nicht mehr vor, aber ohne Zwei- fel steckt er im Ausgange -U von Verbalformen wie asiits „ist", hilläts „sprach" usw.; s. Trautmann 273 und die daselbst zitierte Literatur.

Meine Erklärung von stas würde, wenn auch nicht un- annehmbar, so doch jedenfalls weniger wahrscheinlich werden, wenn diejenigen recht hätten, die den Nominativ "^'tas auf die baltisch-slavische Periode zurnckfiihren. In dem Falle würde es mehr als auffällig sein, wenn die sonst in den baltischen und slavischen Sprachen nicht mehr vorkommende indogermanische Nominativform ^so (halt. **a) im Altpreussischen soviele Jahrhunderte neben ^Has bewahrt geblieben wäre. Es ist aber durchaus nicht sicher, dass */ö5 so alt ist. Zwar kann die Uebereinstimmung zwischen abg. tu und lit. tas diesen Gedanken leicht auf- kommen lassen, aber auch in andern Fällen, wo Baltisch und Slavirfch sich in derselben Richtung entwickelt haben, müssen wir Parallelismus und keine gemeinschaftliche Entwicklung annehmen, '•'•^) und die Uniformierung des Paradigmas "^'so: -^tom usw. lag so nahe, dass sie in jeder Sprache zu jeder Zeit durchgeführt werden konnte; auch das deutsche dar ist ja auf eine ähnliche Weise zu erklären. S. Meillet Les dialectes indo-europeens 44 f.

Die Existenz eines urbaltoslavischen Nominativs "^tas, oder etwa "^'iäs, wäre bewiesen, wenn die scharfsinnige Hypothese Fortunatovs (Izvestija 13, 2, 1 ff.), dass das-i^7/ von abg. pi-fü, ii-mrP'-tu (Aor.), nese-tü, nosi-tü (Präs.) mit dem Ausgange -ts von apr. billn-ts usw. identisch und eine in gewissen Verbalformen schon in der baltoslavischen Periode der sekundären Personalendung der 3. Pers. Sing, ange- hängte Pronominalform sei, zur Evidenz zu erheben wäre. Aber diese Vermutung Fortunatovs ist nicht nur unbe- weisbar, sondern sogar sehr unwahrscheinlich. Bereits Meillet Mem. Soc. Ling. 18, 234 f. hat sich gegen dieselbe ge-

o

11.^

wandt, indem er darauf hinwies, dass das Slavische im Gegensatz zum Preussischen keine atonen Subjektformen von Pronomina besitze; ausserdem spreche das -tu der Phiralformen satn^ heratit, nosetu gegen Fortunatovs Ansicht, und drittens sei das von Fortunatov vorausgesetzte Vor- handensein urslavischer Injunktivformen wie lit. nesza^ apr. ginm nicht bewiesen. Es kommt mir vor, dass durch diese Einwände Meillets die Meinung Fortunatovs ebensowenig widerlegt wird als sie von ihrem Urheber bewiesen wurde. Weshalb könnte das Urbaltoslavischekein atones Pronomen gebraucht haben in solchen Fällen, wo das Russische shazal 071 „sagte er" u. dgl. hat? Und wenn man für das Ursla- vische die Existenz präsentisch gebrauchter Injunktiv- formen bezweifelt, so kann man den Ausgangspunkt der Formen auf -tu im Aoriste suchen. Und was berqtü, sqtüj nosetu anbetrifft, so ist Meillets Bemerkung: „L'explication

de M. Fortunatov n' arrive ä rendre compte du pluriel

sqtü, herqtü, nosetu que par des formules analogiques plus hypothetiques encore et tres compliquees" zwar voll- ständig richtig, aber dennoch wird hierdurch Fortunatovs Bypothese nicht endgültig widerlegt. Die grosse Anzahl unbewiesener Analogiebildungen usw., die Fortunatov an- nehmen muss, machen seinen Erklärungsversuch zwar sehr unsicher, aber noch nicht unmöglich, und weil keine absolut überzeugende Deutung des slavischen -tu gegeben worden ist, begreife ich, dass ein so kritischer Gelehrter wie Kul'bakin noch immer Fortunatovs Ansicht für die wahrscheinlichste hält (Drevne-cerkovno-slov'anskij jazyk'^, Char'kov 1917, 153 f.) »^^)

Ebenso wie Meillet lehne ich Fortunatovs Hypothese ab. Den von Meillet zusammengestellten Einwänden füge ich noch einen vierten, meiner Ansicht nach schwerer wiegenden hinzu: wir dürfen nicht annehmen, dass der Stamm *^ö- (lit. ta-) im Urbaltischen oder Urslavischen oder Urbalto- slavischen für das Pronomen personale der 3. Person ge- braucht sei. Sowohl im Slavischen wie im Litauischen

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ist io- bezw. ta- ein demonstratives Pronomen : für „er" ver- wenden diese Sprachen die Stämme abg. /^-, /e-, lit. ji-^ja- und slav. ono-^ lit. ana-\ das Lettische hat das etymologisch nicht ganz klare icinscli. Nur das Preussische hat in dieser Bedeutung den Stamm '^^ta- besessen; ein apr. "^ta- „er" ergibt sich aus dem den Verbalformen der 3. Person an- hängten 'ts ^^•'•) und aus dem Pronomen tans^ iäns „er", von welchem unten die Rede sein wird. Die speziell preussische Bedeutung von "^ta- „er" muss sekundär sein. Das geht aus zwei Tatsachen hervor, die eng miteinander zusammen- hängen : 1. diese Funktion von ^ta- kommt nur im Preus- sischen vor, 2. diejenigen Stämme, die sowohl im Litauischen wie im Slavischen für „er" gebraucht werden, die Stämme lit. ji-, ja-^ slav. ji-, je- und lit. a7ia-, slav. ono- sind im Preussischen beinahe ganz verloren gegangen : der erste Stamm lebt nur noch in den Encliticis diu, dien „ihn, sie", dins „sie", dei, di „man" ^^^') und wohl auch in dem durch Kontamination entstandenen Plural tennei (s. S. 120) fort, der zweite kombinierte sich mit "^tejia- zu teneja-, ta?ia-, Diese ganze Evolution des Pronominalsystemes wurde offenbar durch das Aufkommen der Bedeutung „er" beim Stamme "^'ielta- hervorgerufen.

Aus dem Vorhergehenden ergibt sich, dass weder das Urbaltische noch das ürslavische ein '^'te\ta- bezw. '^telio- „er" besessen haben. Dann lässt sich aber Fortunatovs Hypothese nicht aufrechterhalten. Und darausfolgt wieder: dass ein urbaltoslavischer Nominativ "^Has oder '^täs nicht beweisbar ist, und dass also gegen meine Erklärung von apr. üas das hohe Alter von '^^tas nicht angeführt werden kann.

Ich glaube, dass meine Auffassung von sias plausibeler ist als die früheren Hypothesen. Ich nehme an, dass im altern Preussischen die Nominative "^sa und "^Has neben- einander existiert haben. Diese Periode kann weit zurück- liegen, und das ist sogar sehr wahrscheinlich: denn in der historischen Periode des Altpreussischen hat der kon-

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taminierte Stamm sta-, sie- die altern Formen, abgesehen von dem enklitischen -ts und etwa dem Adverbium tijt, tu, tit „also, so", vollständig verdrängt, so dass sogar Adverbia wie stivi „da", süoeu „dort", stwendau „von dannen" vom Stamme mit st- gebildet worden sind. Ob die Form "^tas auf die urbaltische Periode zurückgeht, ist kaum auszumachen. Möglich wäre es allerdings; in dem Falle würde die Herausbildung des Stammes staste- in der ältesten Periode der altpreussischen Sprache stattgefunden haben, als diese Sprache noch wenig mehr als eine Mundart des Urbaltischen war.

Wir besprechen jetzt das Pronomen täns, tmis „er". Es kommen im Enchiridion folgende Formen vor :

Nom. S. M. täns, tans (beides oft); F. tennä (2 X), tenna (3 x), ''««^^ (1 X).

A. S. M. tennan (4 X), tenne7i (2 X); F. tennan (4 X).

G. S. M. tennessei (1 X), tenneison (10 X), tenneison (2 X). [In I tanassen, II tancBSsen?)^

D. S. M. tenmismu^ tenrdjsmu, tenesmu (je 1 X), tennesmu (2 X); F. tennei (1 X).

N. P. M. tennei (7 X).

A. P. M. tennans (9 X), tannans (1 X); F. tennans (1 X). , G. P. M. tenneison (2 X); F. tenneison (1 X).

D. P. M. tenneimans, tenneimons (je 1 X).

Sehr auffällig ist der Ablaut tan- : ten-. Natürlich muss er in der Vorgeschichte des Paradigmas seine Erklärung finden. Diese Vorgeschichte war aber bisher wenig klar.

Alle Forscher sind wohl dariiber einig, dass dieses Pro- nomen aus einer Vermischung des Stammes "^te-jto- mit einem Stamme, der ein n enthielt, entstanden ist; aber die Entwicklung stellt man sich auf sehr verschiedene Weisen vor. Sowohl Berneker wie Trautmann erblicken in täns eine „Weiterbildung" des indogermanischen Stam- mes ^telto-. Berneker hält diese „Weiterbildung", wenn ich ihn richtig verstehe, '•'^^) für erst im Preussischen entstan- den, während Trautmann 265 von einem idg. "^tono-^ Heno-

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redet. Brugmann Die Demonstrativpronomina der indo- germanischen Sprachen 92, 129 hat wohl einen richtigeren Weg eingeschlagen, indem er (ans, iemiu zunächst mit lit. ans „jener", abg. onn „er" verknüpft: ebenso wie bei slav. onn soll auch bei tänfi ,,der Gebrauch als undeiktisches Er-Pronomen'" auf ältere Jener-Deixis zurückgehen, und der Anlaut soll durch „Vermischung des fertigen "^anas = lit. aus aksl. onü mit dem "^^ö-Pronomen" entstanden sein. S. auch Grundriss 2 '^, 2, 336.

Diese Auffassung halte ich für richtig. Ich glaube, dass wir die vorliegenden Tatsachen am besten erklären können, wenn wir von einem suppletiven Paradigma des Pronomen personale der dritten Person ausgehen. Suppletion kommt bei diesem Pronomen in mehreren Sprachen vor. So ge- braucht das Griechische, wenn es ein Snbjekt der 3. Per- son durch ein Pronomen ausdrücklich bezeichnen will, sxeZro;, während die obliquen Kasus nviov, «itw, aizöv lau- ten. '^") Das Altsächsische dekliniert: //e, hie: isj imu/ina, und einen ähnlichen Gegensatz miissen wir auch für das prähistorische Friesische, Angelsächsische und Niederlän- dische annehmen. '•'^") Auch der Nomin. Plur. ist im Westgermanischen von einem andern Stamm gebildet als die übrigen Kasus, und im Fem. Sing, zeigt sogar auch das Gotische ein suppletives Paradigma : si : izos^ izai, ija. Aehnliche Verhältnisse liegen im Slavischen vor, wo abg. onn^ ona, ono , Plur. onl, oni/, ona, Dual ona, one, om als No- minative der drei Numeri auftreten, während für die übrigen Kasus Bildungen von den Stämmen (;)z-, je- ge- braucht werden, und auch in litauischen Mundarten sind die Stämme ana- einerseits, ']Vja- anderseits auf eine ähnliche Weise über das Paradigma verteilt : s. Baranowski- Leskien Idg. Forsch. Anz. 13, 90,. Doritsch Beiträge zur litauischen Dialektologie CXI, CXXXI f., CLXXIX, CG VIII. Auch in altlitauischen Mundarten existierten ähnliche Ver- hältnisse. So lesen wir in der Summa Abä Trumpas iszgul- dimas im Anfang von Matthäus 5 (Wolter Chrestomatija

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73, 22 fF.) Folgendes : . . . ateia jop mokitiniay jo

mokie jnos ju ira karaliste dangaus anis

aptures Ziame. anis pasotinti bus .... mds miezfa-

szirdiste. aptures anis Diewa^ matis .... anis Suiiumis

üiewa pawadinti bus jic ira karaliste dangaus.

Die litauische Bibel van 1853 (Frankfurt a. M.), die ich verglichen habe, ^ ^ ^) hat für die kursivierten Formen pas ji bezw. jo^ jus, jü, jie, jie, jie^ jie, jie, ju. Bretkens Postille hat im Evangelientext Lucas 16 (Wolter 25) zwei- mal anis: der Text von 1853 gebraucht an der einen Stelle jie, an der zweiten wird das Subjekt nicht besonders ange- deutet. Bretken verwendet in demselben Abschnitt die obliquen Kasus iem, ia7mii, io usw., und auch den Nomin. ghis. In der Erläuterung zu diesem Texte (Wolter 26, 44) lesen wir auch einen Dativ anleums, der hier ebensowenig eine deiktische Bedeutung hat wie das deutsche „ihnen". Auch bei Dauksza ist speziell der Nom. Plur. a^iis „sie" besonders häufig; s. z. B. Postilla Catholicka ed. Wolter 216, 26 f.: Täre tad' tvissi : 0 tad<ig' tu essl Sumis Diewo ? 0 iissdi tdre iuj hihte, iog' asz esmi. 0 anis tdre usw. In den folgenden Zeilen kommen vor: io „eins", iu^ „eorum", ii „eum" (2 X), anis „ii, illi". Genau ebenso wie hier anis steht iie 217, 32 ; ,223, 21. Weitaus am häufigsten kommt die Pluralform anis (d. h. anys) '^') vor, und zwar sowohl in preussisch- litauischen wie in russisch-litauischen Texten (s. u. A. Bezzenberger Beitr. zur Geschichte der lit. Spr. 168), daneben aber auch andere Formen: z. B. anas in dem bei Wolter 75, 29 fF. abgedruckten Psalmtext aus der Kniga Nobaznistes : 39 fF. Lapes io ne krimta niehados : 0 ka tijktay anas weyksis \ IVissur iaw. Föns sztawint teyksis (die Bibel von 1853 hat hier: ir jo Idpai ne pawysta, ir kq^ jissai daro, pasiseka geray), und ana in Dauksza's Postille an der von Wolter 31, 41 f. abgedruckten Stelle: ir tureio kldpoP Baznicziq S. wissatime,, kaip' ana mokitu.^ mo'kstu^ weliniszku^, auch Kasus obliqui, vgl. a.niemus an der eben angeführten Stelle aus Bretkens Postille. Leskien Idg. Forsch. Anz. 13, 90 meinte,

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das ostlitauische Paradigma anas-. jo beruhe auf russischem Einfluss. Das kann deshalb kaum richtig sein, weil anas „er", ana „sie" und vielleicht auch anys „sie, ils" auch auf preussisch litauischem Boden vorkommen (s. Doritsch aaO. CXI und CXXXI f. ; wegen miys s. freilich unten S. 124 f. mit ßem. 168); auch kann ich angesichts der grossen Verbreitung speziell von anys „sie, ils" im Altlitauischen Brückners Ansicht (Litu-slavische Studien 1, 68 Fussn. 9) nicht teilen, dass russischer und polnischer Einfluss ge- wirkt habe. Ob bereits das Urlitauische das Paradigma des Pron. pers. der 3. Person durch Suppletion gebildet hat, das weiss ich nicht. Eine solche suppletive Deklination konnte in jeder Periode aufkommen, vornehmlich in einer solchen Sprache, die oft das Subjekt gar nicht durch ein besonderes Wort bezeichnete: brauchte man zur Hervor- hebung des Subjekts ein Pronomen, so konnte man das Wort für „ille" verwenden (vgl. gr. exeiiog) und auf die Dauer konnte dieses Wort auch mit schwächerm Satzakzente verwendet werden (vgl. spätlat. ille, frz. il).

Ein ähnliches suppletives Paradigma wie lit. dial. anas: joj abg. onü: jego, asächs. he: is, gr. exsivog : «i» roi" wird auch im altern Preussischen bestanden haben, wobei wir es unentschieden lassen, ob dieses preussische Paradigma zu- sammen mit dem litauischen auf ein urbaltisches '^aua-s : "^{jyija- "^•■^) zurückgeht oder jüngeren Ursprunges ist. Wie S. 114 bereits bemerkt wurde, hat das Preussische den Stamm ^{jYIja- „er" durch "^iejta- ersetzt. Wir werden also ein vorhistorisches Paradigma "^anas : ^tesei, '^tesmö^ '^tan usw. annehmen dürfen; neben "^anas wird auch '^tas be- standen haben (vgl. asti-ts, hillä-ts usw.), ebenso wie in litauischen Mundarten jis, ju und ans, änys nebeneinander vorkommen (vgl. bei Doritsch aaO. 54, 36/55, 1 : Tai hü^ ^i male, kal jis kruvins yr, ir kldiise kodel hruv'i ns yr. Ans atsdke :), und wie Dauksza anis und üe ohne einen merkbaren Be- deutungsunterschied verwendet.

Diese Annahme empfiehlt sich nicht bloss deshalb, weil

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sie für den preussischen Nominativ ians, (uns eine einfache Deutung ermöglicht {taus, tans aus '^Has X '^'an{a)s), sondern auch, weil sie über den Ursprung des Anlautes te- von tennessei usw. Licht verbreitet.

Zu '^anas „jener" werden die obliquen Kasus "^anesei, ^anesmö, '^anan usw. gehört haben. Wegen des 6? des Genitiv s und Dativs vgl. Solmsen KZ. 44, 175 ff., wegen der Aus- gänge -sei, -S7nö s. oben S. 58 f. und S. 87 ff. Daneben kamen mit der Bedeutung „eius, ei, eum" "^Hesei, "^tesmö, "^tan vor; die weiblichen Formen werden ebenfalls im Genitiv und Dativ den Anlaut te- gehabt haben, während diese selben Kasus im Plural mit tei- anlauteten. Als nun der Nominativ taiis^ tans gebildet wurde, konnten im An- schluss an diese Form Kasus obliqui mit tana-^ lane- und unter dem Einfluss von '^Hesei usw. mit tena-^ tene- entstehen. Tatsächlich kommen beiderlei Formen vor: einerseits tanasse^i in 1, tancessen in U, ^ ^ ^) anderseits tennessei, tenneison usw. im Enchiridion. In der Mundart Wills drang der Anlaut ten- in alle Kasus ausser dem Nomin. Sing. M. ein, sogar lautet der Nom. Sing. F. gewöhnlich tenna^ ienna, und nur einmal iannä.

Der Wechsel ten- : tan- dürfte im Vorhergehenden durch die Annahme eines altern suppletiven Paradigmas befrie- digend erklärt sein. Damit sind aber noch nicht alle mit dem Pronomen tans, täns zusammenhängenden Fragen erledigt. Sehr grosse Schwierigkeiten bereitet besonders der Nomin. Plural tennei, welcher durch seinen Ausgang -ei in einem gewissen Gegensatz zu stai, schal, quai [quoi), Jcawidai steht. Solmsen aaO. 179 bemerkt dazu (im Anschluss an seine scharfsinnige Deutung von stesmu, teunesmu, stei- mans, tenueimans usw., deren e er dem Einfluss des Gen. Sing, zuschreibt) Folgendes: „Noch weiter ist tans auf diesem Wege gegangen, indem es auch im Nominativ Plur. tennei bildet im Gegensatz zu stai, schal', dieser Unterschied ist jedenfalls bedingt durch die Unbetontheit der in Frage kommenden Silbe dort, ihre Betontheit hier, die naturge-

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mäss besser erhaltend wirkte." Diese Erklärung des Un- terschiedes zwischen stai, schai^ qual^ kawidai '^^) einerseits und tennei anderseits kommt mir allzu gesucht vor, und ich gebe der Hypothese Brugmanns Berichte der sächs. Gesellschaft der Wissenschaften Phil.-hist. Classe 1908, 71 f. den Vorzug, dass in dem -ei von tennei der indoger- manische Nominativ Plural ^ei (ir. e, kymr. ivt/', vgl. ai. im-e) fortlebe ; also : tennei aus Stamm '^tenn(ay + '''(^i, oder was auf dasselbe hinauskommt : tennei für ^iennai, unter dem Einfluss vor '^ei. Diese Hypothese Brugmanns ist durch die Erklärung, Avelche Meillet Mem. Soc. Ling. 19, 54 für apr. ä, dins ' ^' ^) gegeben hat, erst recht wahr- scheinlich geworden. Meillet geht für diese Formen von dem indogermanischen Pronominalstamm "^i- aus: das an- lautende d soll aus dem Auslaut vorhergehender Wörter verschleppt sein (vgl. etwa promeladin „man verriet ihn"), ebenso wie das nach Caland KZ. 42, 173 bei altpers. avest. f/m, altpers. r/w- der Fall ist. Auf eine ähnliche Weise sind auch altnord. ßer^ Jnt für er, it zu erklären, welche Formen Frantzen KZ. 42, 331 richtig mit av. dim ver- glichen hat; und das bekannteste Beispiel einer solchen Konsonantverschleppung sind wohl abg. njego, njemu, njimi usw. Wenn diese Erklärung Meillets richtig ist woran ich nicht zweifle , so liegt das von Brugmanns Hypothese postulierte "^el tatsächlich im Altpreussischen vor : es steckt in dem enklitischen dei, dl, {i)i „man" {kai dei 57, 27, käidi 43, 17, 18; 71, 26 „dass man", turedi, turridi 43, 22, 23 „soll man", ^virsti 63, 26 „wird man"). Der Wechsel -ei : -i stimmt vollständig zu den Auslautverhältnissen sonstiger Wörter auf unbetontes -ei; s. S. 56 und 61. Was tennei anbetrifft, das stets mit -ei geschrieben wird, hier müssen wir angesichts tenneison, tefmeimans mit der Mög- lichkeit rechnen, dass das -e^^ betont war : wegen des Fehlens des Längezeichens vgl. prei, das als alleinstehendes Wort nie prei geschrieben wird widerholt begegnen wir aber preistan, preisten usw. , kai : käidi, käigi. Freilich wird der

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einmal vorkommende Dativ Sing. Fem. temtPl geschrieben : vgl. damit falls die Form richtig überliefert ist das Präteritum iiostüi 1 X w^h^Ti postai 1 X, dal 3 X. Wenn tennci ein Paroxytonon ist, so werden wir das ausnahmslose -id (neben welchem niemals -e^ -i vorkommt) entweder dem Einflüsse der obliquen Kasus oder dem Zufalle zuschreiben müssen.

Den Nomin. Plur. *^i, welcher in äel^ dl, {t)l und wohl auch in fe?inel fortlebt, '^^) halte ich für die einzige Form von einem Stamme *d-, deren Existenz wir mit grosser Wahr- scheinlichkeit für eine ältere Periode der altpreussischen Sprache voraussetzen di'irfen. Brugmann Berichte aaO. hat die Meinung ausgesprochen, dass stes?mi, tcnnesfnu, sUlso7i, tennelsony stelmans, tennelmaus Reimbildungen nach "^^e-smn usw. seien. Solmsen aaO. 179 Fussn. 3 bekämpfte diese Annahme mit der Bemerkung, dass auf diese Weise der Gegensatz zwischen (.e7inei Reimform zu "^ei und stai unerklärt bleibe. Darin hat Solmsen ohne Zweifel recht. Wir werden m. E. den Tatsachen am einfachsten gerecht, wenn wir, wie ich es oben tat, diQYovmQn ?iui-esmn,-elsou, -eimaiis auf die von Solmsen vorgeschlagene Weise erklä- ren, für tennei aber uns Brugmann anschliessen. Dass die alte Form '^^ei bloss ein preuss. tennei^ aber kein ^stel her- vorrief, das ist der Bedeutung von "^^el zuzuschreiben. Es bedeutete „sie", wird also für das Sprachgefühl viel enger mit dem Stamme tenneja- als mit dem Stamme stela- asso- ziiert gewesen sein.

Die Ansicht, dass preuss. te^inel durch Kontaminierung von tenne\a- und der Form Vi entstanden ist, ist umso wahrscheinlicher, als auch für lit. avys eine ähnliche Er- klärung gegeben werden kann. M. E. unterstützen meine Auffassung von anys und die von Brugmann aufgestellte und von mir akzeptierte Hypothese bezüglich pr. tennei einander gegenseitig.

Die litauische Form anys^ worauf bereits Geitler Litauische Studien 55, Bezzenberger Litauische und lettische Drucke des 16. Jahrhunderts 2, XXIV Fussn., Beitr. z. Gesch. der

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lit. Spr. 168, Brückner Litu-slavische Stud. 1, ß8 Fussn. 9 aufmerksam gemacht haben, hatte offenbar im Altlitauischen eine etwas andere Bedeutung als das ebenfalls vorkom- mende a?it. Mein Material ist nicht sehr umfangreich, ich glaube aber, dass es ausreicht, diese Ansicht plausibel zu machen.

Zuerst habe ich den von Bystron Rozprawy i sprawo- zdania z posiedzen' wydz. filolog. Akad. Umiej. 14, Krakau 1891 ausgegebenen Katechismus von 1605 auf diesen Punkt hin untersucht. Dieser Text ist deshalb sehr geeignet als Ausgangspunkt zu dienen, weil der Herausgeber ihm ein ziemlich vollständiges Glossar hinzugefiigt hat. In diesem Glossar werden sieben Stellen mit d/äs, atiis angefiihrt. Fiinf davon entfallen auf die Seligsprechungen, wo auch noch ein sechstes, im Glossar nicht verzeichnetes d?iis vor- kommt. Fünf von diesen sechs Stellen wurden oben S. 117 nach einem andern altlitauischen Text (Summa) mitgeteilt; die sechste lautet: d?iis Ima paHnkliminti/ (sie); hier fehlt in jenem Texte die Pronominalform. Dem zweimaligen ;w der Summa entspricht im Katech. von 1605 iu bezw. iu. Die zwei andern Stellen lauten: Ir gieyde auis- uuog mani^ und: adunt gdrbintumbime . . Diewu szwintusu i6\ wel\ adunt vszmxn- tumhime szwizdami tu gdrhu^ Jcuriü dnis türi dunguy. An all diesen Stellen würden wir dnis, anis in deutscher Sprache durch „sie" wiedergeben; in einem Teile der Fälle wiirden das Griechische und Lateinische die Subjektform weglassen, während an der letzten Stelle sxetvoi bezw. Uli stehen dürfte: die Grenze zwischen „er" und „jener" ist ja nicht in allen Sprachen dieselbe und in mancher Einzelsprache etwas fliessend. Das einmal vorkommende a7iie wird ganz anders gebraucht : zodzey an'ie^ Icuriuos lito.

Das Bild, das uns der Katechismus von 1605 gibt, wird durch andere altlitauische Texte bestätigt: anys „sie", es sei denn mit einem schwächern oder stärkern Akzente, anii „diejenigen"; ausserdem wird a?/r mit der Bedeutung eines adjektivischen „jene" verwendet, und auch wohl

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substantivisch für „jene" im Gegensatz zu „diese". Ich untersuchte folgende Texte :

von Dauksza die in Wolters Chrestomatija abge- druckten Stücke, ausserdem Postilla Catholicka, ed. Wolter S. 238 272. In der Chrestomatija fand ich kein Beispiel von anys und eins von ane\ anie, hirie zinauia (Katech. 77; Chrest. 58, 24). In der Postilla S. 238 ff. begegneten mir folgende Beispiele von ane: 240, 31: anie zmones szwe^ntieli, kurie hüwo . . .^ 265, 30 f.: Pdskui anüs zodzlus: IF kötaig' hussife

Pdskai eil ante [seil. zoäzlai\. Zinokiteg'. Kdg' tokidl

log' IFieszpatis padidino szwe(ifito,ii sdwa,^ und folgende von any&\ 243, 7 ff.: q,nt^ didesnio iu^ (d. h. : der Juden) gatwo- karto : idqnt' sztowe kelimo iz^ numirus'm^ Wieszpaties Christaus, ktirid^ dnis vzusiepp norelo^ . . apreikszid . . butd, 250, 29 ff. : du

izg' mokitiniu lesaus eto Ir dfiis kdthSio ..., 252, 19 ff. : Bv

izg' mokitiniu^ Wieszpaties eio wienas Cleophas, o d^ntras .

Lukoszius . . ., arha nekuris Amw,aon^ .... BeV kiausik\ ape kq

dnis kehl eidami katbeio^ 254, 35 ff. : tie mo'kitinei

Ärtinos' miestelop\ o Wieszpatis teip^ rodes kaip^ butu turis eil tolaus, 0 dnis priwerte ii, 258, 21 ff.: JViena' [zime~\, iog

stoios widuriie iu, : o antra', iog' sztorawo su ieis,

Treczia zlme, iog' iiemus parode rqkdö Ketwirtd zime, iog

kad^ dnis,. tikeios dwdsiq regi, iiemus liepe . . ., 269, 22 f. Teip^ kaipo Kardlus pdsiuntiniams sawiemus düsV galibe^ iztissq, zadedamas, iog' tai wissa priims ka^ norint' dnis paredndi padaris' ,

271, 31 ff. Lutheris falsziwu Prdnaszu arba dtsiu stas

nüg' Antichristo^ arba nüg' kurio Antichristo Apdsztato, niig° kuriu ne gaV büt' siujti Bdktarai Ewangelio's JF. Christaus. Kq, iei dnis [kokie tarp^ iu^ ne kurie rd^das) izpazista ....

Szyrwid Punkty kazan', ed. Garbe S. 6 33. Ane: 9,

9: Kaj/p anie padare | kurie Anys: 10, 13 f.: Anis prie-

sinas priesz swiesiby (Job, 24, 13; im Texte von 1853: jie atsitrduke yra szwiesos), 12, 19 f.: Kas tieg niekinamani saw I zodziey kuriuos katbeiaii \ anis sudis ii (anis widerholt das vorhergehende Subjekt), 18, 17 ff . : Jonas . . ., nusiuntis du iz mokitiniu sawo, tare iam : A atsaki-

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damas Jezus tare lem.us: A kad a?iis parelo, pradeio Jesus

hitot muiiwnp.

Willent Enchiridion und Episteln und Evangelien, ed. Bechtel S. 1 7 {FrahalhegUmas zum Euch.), 45—107 (1. Teil der Euangelias bei Epistolas). S. 45 107 begegneten mir zahlreiche Beispiele von anijs, '^") kein einziges von ani'. Anis wird an all diesen Stellen für „sie", russ. „oni", frz. „ils" gebraucht. S. 1 7 kommt einmal ayiys vor: 5, 12 f.: iog tat Jcalti Ira darlti | a' iei/ io nedara | tada tüpra- kelkta grieka anis dara, und einmal anc\ 3, 1 f . : Taiai taipaieg anie tiewai schiventieghi gerai regeiair ischmane \ kuric . . .

Auch der Psalter von 162 5, den Bezzenberger in den Fussnoten zur Einleitung des 2. Bändchens der Lit. und lett. Drucke des 16. Jhs. widerholt anführt, wird dieselbe Ver- teilung der beiden Formen gekannt haben. S. XXIV Fussn. teilt Bezzenberger mit, dass er anis an 148 Stellen bemerkt hat. Als Beispiele werden angeführt: ir anis aßerawoia saico sunus (Ps. 106, 37), anis dangausp ejo (Ps. 107, 26) ; an beiden Stellen hat die Bibel von 1853 /i^. ^?^^> (aw%^>) hat B. nur an 4 Stellen gefunden, und zwar Ps.'l6, 4 ; 20, 8 ; 107, 39 ; 109, 3 ; der Text von 1853 hat 16, 4 annie^ kurrie^ 20, 8 Annie, im Gegensatz zu mes^ wohl als „jene" aufzufassen, 107,39 Tie, kurrie, 109, 3 jie. Die Abweichung 109, 3 ist schwer zu erklären; leider ist mir der vollständige Text des Verses nicht bekannt. Hat der Uebersetzer ««^5 und ü^t?^' nicht mehr richtig auseinander gehalten? Oder hat er mit seinem auie etwas anderes sagen wollen als einfach „sie"?

Ich zweifle nicht daran, dass der in mehreren weit aus- einander liegenden Mundarten des Altlitauischen vorkom- mende Gebrauch von a?igs speziell für „sie" im Gegensatz zu anr „diejenigen; jene" der ursprüngliche ist. Wenn in gewissen Texten ani/s vorkommt, wo wir a?u' erwarten würden (vgl. Wolter Chrestomatija 74, 15: paszta2vi7iü ira anis tarnag, aus der Summa), so wird das einem sekundären Durcheinanderlaufen der beiden Formen zuzuschreiben sein. Und wenn wir in der Forma chrikstima van 1559 auie

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für „sie" gebraucht finden (Lit. u. lett. Dr. des 16. Jhs. 2, 33, 22), so kann das derselben Ursache zuzuschreiben sein. Aber es ist auch möglich, dass in der Mundart dieses Denkmals die Form anys die kaum etwas anderes als eine litauische Neubildung sein kann niemals existiert hat: auch der Katechismus von 1547 gebraucht ane „sie" (Lit. u. lett. Dr. d. 16. Jhs. 1, 15, 14). '"«)

Wie ist nun dieses äui/s^'-'^) zu erklären? Man könnte an Beeinflussung durch m?.s, jus denken; bei dieser Auf- fassung bliebe aber die Qualität des Vokales y unerklärt; auch kann ich kaum glauben, dass der Einfluss dieser Formen stärker gewesen sei als derjenige des Typus /^, ß. Aus diesem selben Grunde kommt es mir wenig wahr- scheinlich vor, dass onys eine Analogiebildung nach pätys „selber" sein sollte. M. E. erklärt sich die im baltischen Pronominalsystem vollständig isoliert dastehende ^ ' ") Form änys am einfachsten, wenn wir für das ältere Litauische einen Nom. Plur. *//,9 „sie" annehmen dürfen: dann wäre äuys durch Kontamination von anc und "^/y-? oder durch Anhängung von ^^z* an den Stamm an{eja)- entstanden, auf eine ähnliche Weise wie pr. fenuei sich entwickelte.

Ein solches "^ys kann nach meiner Ansicht sehr wohl bestanden haben. Es würde dem got. eis „sie" entsprechen und eine ähnliche Bildung sein wie av. cayö^ lat. ques; s. Brugmann Grundriss 2 -, 2, 368. Zwar halte ich die von Wiedemann Handbuch der litauischen Sprache 31, Traut- mann 238 angenommene Entwicklung vor idg. -ejes zu lit. -ys mit Endzelin Archiv f. slav. Phil. 32, 294 für „uner- wiesen und unglaublich" (s. auch Brugmann Grundriss 2 ^, 2, 216 f., Hujer Slovanskä deklinace jmennä 63); aber Leskiens Ansicht Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen 80. dass äkys die Endung -ijas (d. h. -ijes) habe, kann richtig sein; und was für äkys gilt, gilt auch für irys und *y<9. Ob bereits im Indogermanischen eine Endung -ijes bestanden hat, ist unsicher: ein urbal- tisches oder vielleicht erst litauisches -yes könnte auch

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viel später nach der Analogie anderer Kasus mit i ent- standen sein. Daneben ist noch eine andere Deutung vor- geschlagen (s. Brugmann und Hujer aaOO.) und zwar diese, dass -ys nach der Proportion -as, -es (Akk. PL): -äSj -es (Nom. PL) = -h : cc entstanden sei. Auch diese Er- klärung ist nicht nur auf äkys, trjjs^ sondern auch auf '^jjs anwendbar: denn einen mit got. ins übereinstimmenden Akk. Plur. ^ins dürfen wir auf Grund des altpreussischen dins für die urbaltische Sprache voraussetzen. Wenn '^y^ keine altererbte Form (idg. ^^ijes) sein sollte, so würde es sich weiter fragen, welche Form von '^Jjs oder etwa von einem noch altern lit. ^'ijes verdrängt worden ist, ein mit preuss. {d)ei übereinstimmendes '^^i oder ein mit got. eis identisches "^ejes-^ das wäre, soviel ich sehe, kaum aus- zumachen. Man könnte auch noch vermuten, dass ein altes "^ei im lit. ß fortlebe : das ;'- wäre dann wie in j\s zu erklären; ich halte es aber für jedenfalls ebenso wahr- scheinlich, dass ß ein ähnliches, auf idg. oi zurückgehendes e hat wie ü^ an^ usw. Wenn j^ aus ^ei entstanden ist, so haben wir für das vorliterarische Altlitauische *^i und '^i/s nebeneinander anzunehmen, was ebensogut möglich ist wie das gleichzeitige Vorkommen der Synonyme jie und djiis bei Dauksza. Es ist wohl am besten, über das etwas unklare Bild des vorhistorischen litauischen Pronominal- systems nicht allzuviel zu phantasieren. Es genügt uns zu konstatieren, dass ein Nomin. Plur. ^ys „sie" eine wenn auch nicht beweisbare, so doch ziemlich wahrscheinliche Form ist, weil sie 1. sich in das Pronominalsystem unge- zwungen einreihen lässt, 2. fiir die Form änys^"^^) eine plausibele Deutung ermöglicht.

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KAPITEL IX. Das altpreussische Modussystem.

Im Gegensatz zu Berneker haben Bezzenberger und Trautmann bei der Behandlung des altpreussischen Modus- systems dem Injunktiv ein besonderes Kapitel gewidmet (Bezzenberger KZ. 41, 110 ff., Trautmann Die apreuss. Sprachdenkmäler 283 ff.). Und tatsächlich dürfen wir fiir einige Formkategorien des Altpreussischen diesen Namen verwenden, wenn wir das vorliegende Material von indo- germanischem und nicht von preussischem Standpunkte betrachten. Die preussischen Imperative auf -s (telhs „stelle ! '', milijs „liebe ! ", gerdaus „sage ! " usw.) sind Formen mit einer sekundären Personalendung und ohne Augment, m. a. W. solche Formen, welche die indogermanische Grammatik Injunktive zu nennen pflegt (s. Brugmann Grundriss 2 % 3, 519). Auch können in Optativen wie Z/o^i/öj« „wäre", haulai „sei", PÄlai „gehe", pereilai „komme" Injunk- tivformen der 3. Person auf idg. -t enthalten sein ; s. Bez- zenberger aaO. 111 f., Trautmann 285.

Wer sich bei der Betrachtung des preussischen Modus- S3^stems konsequent auf den Boden der indogermanischen Grundsprache stellt, der muss ausserdem nicht bloss die Präteritalformen, sondern auch den grössten Teil der Per- sonalformen des Indikativs Präsens zum Injunktiv rechnen. Bekanntlich haben im Baltischen alle thematischen Verba in der 3. Pers. Sg. die sekundäre Endung -t, welche in der historischen Periode lautgesetzlich geschwunden ist , ebenso die Stämme auf -i- und -ä- (lit. o, pr. a, 0, u) und die preussischen Stämme auf -e-. Diese Formen auf

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-t gehören, von indogermanischem Standpunkte betrachtet, zum Injunktiv. Nun wird im Altpreussischen die Form der 3. Person Singular nicht bloss, wie im Litauischen, auch für die 3. P. Dual und Plural, sondern ausserdem sehr oft fiir die 1 . und 2. Person Singular gebraucht : auch in dieser Funktion sind diese Formen von indogermanischem Standpunkte Injunktivformen. Was die 1. und 2. Person Plural anbetrifft, diese haben in allen Modis die Endungen -mai bezw. -ü^ -tei, -te {-tai), m. a. W. weder die primären noch die sekundären Ausgänge des Indogermanischen.

Soviel ich weiss, hat bisher niemand bei der Betrachtung des baltischen Verbalsystems die indogermanischen Ver- hältnisse so konsequent in den Vordergrund gerückt, dass er solche Formen wie lit. )r/ia, lälko, apr. imma, laiku In- junktive und nicht Indikative genannt hat. Von baltischem Standpunkte sind es Indikative, ohne Weiteres.

Der Name Injunktiv taucht aber wieder auf, sobald solche Formen in konjunktivischer Funktion gebraucht werden. Und das geschieht sehr häufig. Abel Will ver- wendet die Indikativformen widerholt auch in solchen Fällen, wo das Deutsche und andere Sprachen den Kon- junktiv verwenden. Das gilt sowohl fiir die Formen mit primärer wie mit sekundärer Endung; mit primärer En- dung vgl. z. B. 59, 27 f. kal tehhei lahhan nt \ bhe ilga giwasi nosemmien „Das dirs wolgehe vnd lange lebest auff Erden". Bezzenberger und Trautmann trennen solche Formen von den indikativisch gebrauchten und geben ihnen den Namen Injunktiv. Bezzenberger fügt allerdings ausdrücklich die Bemerkung hinzu, dass es ihm „zweifelhaft" ist, ob solche Formen „diesem Modus zuzurechnen sind, weil sie sich äusserlich von präsentischen Indikativformen nicht unter- scheiden, und solche öfters konjunktivisch gebraucht sind" (aaO. 114). Ich glaube, dass es absolut keinen Zweck hat, die konjunktivisch verwendeten, formell mit dem Indikativ identischen Formen von den indikativisch gebrauchten zu trennen. Vermutlich bildeten beiderlei Formen fiir das

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Sprachgefiihl eine Kategorie, ebenso wie z. B. im Nieder- ländischen, das im lebendigen Sprachgebrauch keinen Konjunktiv mehr besitzt, sondern Indikativformen an seiner Stelle verwendet. Und wenn die alten Preussen noch einen Unterschied empfunden haben sollten, >'-) so Hesse sich doch jetzt die Grenze zwischen den beiden Kategorien nicht mehr feststellen, umso weniger als Will sich bei seiner Uebersetzungsarbeit oft von seinem deutschen Sprach- gefühl hat leiten lassen und wir nicht wissen, wie er in finalen und andern Nebensätzen diejenigen deutschen Ver- balformen aufgefasst hat, die formell ebensogut Indikative wie Konjunktive sein können. '"")

Wenn wir für die auf sekundäre Personalendungen aus- gehenden, in indikativischer und bisweilen in konjunkti- vischer Funktion gebrauchten Formen den Namen Indikativ und nicht den Namen Injunktiv verw^enden, so heisst das, dass wir uns bei der Klassifizierung der altpreussischen Modusformen nicht durch formelle, sondern durch funk- tionelle Kriteria leiten lassen, und dass wir uns auf den Boden der altpreussischen Sprache und nicht der indoger- manischen Grundsprache stellen. Es fragt sich dann aber weiter: diirfen wir überhaupt noch von einem preussischen Injunktiv reden? Ich glaube, dass wir den Namen besser vollständig aufgeben. Optative wie hoülai können zwar als erstes Glied einen indogermanischen Injunktiv enthalten, aber vom Standpunkte der preussischen Sprache sind sie ohne jeden Zweifel Optative oder etwa Konjunktiv-Optative oder Potentialitätsmodus; auf den Namen kommt es ja nicht an. Die preussischen Imperativformen entstammen bekanntlich teilweise dem indogermanischen Optativ, teil- weise dem Injunktiv; ^'^) Injunktive sind ohne Zweifel telks^ milijs usw. (s. ßerneker 226, Bezzenberger aaO. 110 fF., Trautmann 283), von welchen die Pluralformen dinJcauü „danket!", inilijü „liebet!" usw. nicht getrennt werden können. Aber im Rahmen der altpreussischen Grammatik sind all diese Formen Imperative, ebensogut wie ö?ae5, (^^^mi^,

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däiti, attraiü und alle i'ibrigen Imperativisch verwendeten Formen auf -ais^ Plur. -aiii und -eis^ Plur. -eiil. Wer in der preussischen Grammatik für milijs^ m'dijü usw. den Namen Injunktiv verwendet, der müsste eigentlich auch got. ?<'iZ;'a?^, w'ileis^ will einen Optativ, Jcami ein Perfektum und daga einen Instrumental, gr. norVi. einen Lokativ nennen. Das wird aber keiner tun, der, wie ich, meint, dass für die Klassifizierung der Formen einer Einzelsprache das Sprachgefühl derjeni- gen, die diese Sprache reden, an erster Stelle massgebend sein muss.

Aus dem hier Erörterten diirfte hervorgehen, dass Berne- kers Behandlung der altpreussischen Modi dem wirklichen Tatbestand am besten gerecht wird. Berneker unterscheidet bekanntlich nur drei Modi des Verbum finitum: einen Indikativ, einen Imperativ und einen Optativ. Beim Indi- kativ wird ausdrücklich hervorgehoben, dass apr. ^^senrinka „sammelt", lit. reTika, wie bekannt, die Fortsetzung der idg. präsentisch fungierenden Injunktivformen" sind (S. 211); beim Imperativ wird auf den doppelten Ursprung der zu diesem Modus gehörigen Formen, aus Optativ- und Injunk- tivformen, hingewiesen, während auch die Möglichkeit erwähnt wird, dass „einfach indikativische Formen mit untergelaufen sein" können ^'^'') (S. 225 f.); beim Optativ werden zwei genetisch verschiedene Klassen unterschieden : die Optative auf -sai^ -sei, -se, -si und diejenigen auf -lai. Es versteht sich, dass eine wissenschaftliche altpreussische Grammatik die Vorgeschichte der überlieferten Formen zu erforschen hat; bei der Klassifizierung des Materials aber muss sie von diesem Material, so wie es in den Texten vorliegt, und nicht so wie es viele Jahrhunderte früher aussah, ausgehen. Es ist Bernekers Verdienst, diese Methode konsequent durchgeführt zu haben.

Trautmanns Einteilung der preussischen Modi bedeutet derjenigen Bernekers''^) gegenüber einen Rückschritt, und das ist teilweise eine Folge davon, dass Trautmann sich zu eng Bezzenberger angeschlossen hat. Nun hatte

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aber dieser das preussische Verbalsystem nicht in einer Grammatik, sondern in einem Aufsatz (KZ. 41, 84 fF.) be- handelt, wo er natürlich vollständig frei war, seinen eigenen Ausgangspunkt und sein eigenes Einteilungsprinzip zu wählen. Er ist vor allem bestrebt, den ältest erreichbaren Grundformen auf die Spur zu kommen. Damit hängt es zusammen, dass seine Klassifikation der Modi sich nicht auf die syntaktischen Verhältnisse des in unsern Texten ijberlieferten Altpreussischen, sondern auf diejenigen einer weit zurückliegenden „indogermanischen" Periode stützt. So widmet er dem preussischen Imperativ keinen speziellen Abschnitt, sondern die Formen dieses Modus, die ja formell dem indogermanischen Injunktiv und Optativ entstammen, sind in den diesen beiden Modis gewidmeten Kapiteln behandelt. Vollständig konsequent verfährt Bezzenberger allerdings nicht: dann hätte er auch Indikativformen wie polinka, läiJcu zum Injunktiv rechnen müssen.

Eine solche in einem wissenschaftlichen Aufsatz be- greifliche Behandlungsweise taugt nicht für die Grammatik einer Einzelsprache. Das hat Trautmann gewissermassen gefühlt: er hat ja dem Imperativ ein besonderes Kapitel gewidmet. Darin wird aber bloss ein Teil der preussischen Imperativformen behandelt, und zwar diejenigen, die auf indogermanische Optativformen zurückgehen; die übrigen Imperative, d. h. diejenigen vom Typus teiks, endiris werden im Abschnitt über den „Injunktiv" besprochen. Es scheint Trautmann selber entgangen zu sein, wie inkonsequent er verfährt: dass er mit einem Fuss auf dem historischen Boden des Preussischen, mit dem andern auf dem prä- historischen der indogermanischen Grundsprache steht. Dass er die Ergebnisse von Bezzenbergers Untersuchung die er hie und da kritisiert und modifiziert zur Be- gründung seines eigenen Modussystems benutzt, das ist sehr löblich; er hätte aber bedenken sollen, dass die Gram- matik einer Einzelsprache ihr Material nicht zugleicherzeit nach zwei einander gerade entgegengesetzten Prinzipen in

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Klassen einteilen darf. In diesen Fehler ist Trautmann leider verfallen. Sein Kapitel über den Indikativ behandelt Formen, die von indogermanischem Standpunkte teilweise zum Indikativ, teilweise zum Injunktiv gehören; diese Formen werden deshalb zusammen behandelt, weil sie im Preussischen alle dieselbe indikativische Funktion haben. Dasselbe vollständig richtige Prinzip liegt dem Kapitel über den Optativ zugrunde, wo zweierlei Formationen behandelt werden, die im Preussischen genau dieselbe Funktion haben, von indogermanischem Standpunkte aber zu verschiedenen Modis gehören. Im Abschnitt über den Imperativ wird Trautmann seinem Systeme untreu. Zwar enthält dieser Abschnitt ausschliesslich solche Formen, die vom Standpunkte des Preussischen Imperative sind, aber ein Teil der preussischen Imperative wird weggelassen und im Kapitel über dem Injunktiv besprochen, wel- chem Kapitel ein anderes oder, besser gesagt, absolut kein Klassifizierungsprinzip zugrunde liegt: es enthält indoger- manische Injunktiv- und Indikativformen, die im Altpreus- sischen Imperativische (sub a) oder konjunktivische (sub b) Bedeutung haben.

Es wäre besser gewesen, wenn Trautmann die Berne- kersche Einteilung der Modi unverändert heriibergenom- men hätte. Diese Einteilung hätte es ihm ebensogut wie jede andere gestattet, unter Benutzung der neueren Lite- ratur die Vorgeschichte der einzelnen Formkategorien bis in die indogermanische Periode zu verfolgen. Eventuell hätte er ausserdem in einem besondern Kapitel die Vor- geschichte der preussischen Modi noch einmal in umge- kehrter Richtung, m. a. W. mit Zugrundelegung des indogermanischen Modussystems, behandeln können. Eine solche doppelte Behandlung, einmal nach der induktiven, das zweite Mal nach der deduktiven Methode, würde dem Leser das entwicklungsgeschichtliche Bild klar vor Augen stellen; die Anwendung der beiden Methoden nicht neben- einander, sondern durcheinander wirkt verwirrend.

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KAPITEL X.

Die I. Person Plural auf -imai und der Stammesauslaut

des Indikativs.

Beinahe alle in den samländischen Texten vorkommen- den Formen der 1. Person Plural gehören dem Indikativ Präsens an. Wenn Bezzenberger KZ. 41, 116 ff., Traut- mann 283 ff. viele von diesen Formen zum Injunktiv rechnen, so bedeutet das einfach, dass diese Formen in konjunktivischer Bedeutung verwendet werden. Formell sind sie mit den Indikativformen identisch, und wir dürfen sie ohne Weiteres zum Indikativ rechnen. S. S. 128 f.

Eine 1. Person des Optativs liegt in dem einmal vor- kommenden turriümai „müssten" (71, 11) vor. Berneker 227 betrachtete es als einen Fehler für Hurrilaimai^ während Bezzenberger KZ. 41, 112 immimai verglich, m. a. W. turrilimai nach der Proportion (eb-)immai : im.mimai (oder etwa po-gannai : po-gau7nmai, piclai : pidimai) tnrrilai : x erklärte. Diese Auffassung wird wohl richtig sein. Ein mitwirkender Umstand dürfte der Differenzierungstrieb gewesen sein, der danach strebte, den Gleichklang der Silben lai und mal zu beseitigen.

Bezzenberger aaO. 121 möchte auch emvackeimai „(dass) wir anrufen" und waicUeimai „(dass) wir zaubern" als Op- tativformen auffassen, indem er auf die litauischen Formen praschitumhim^ ßoUnetumhim hinweist, die Willent an der ent- sprechenden Stelle seiner Uebersetzung des Enchiridions verwendet. Diese Auffassung kommt mir sehr gesucht vor. Damit ein jeder urteilen könne, führe ich den deutschen Text, so wie er im preussischen Enchiridion abgedruckt

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ist, den altprenssischen Text Wills (bei Trautmann S. 23, Z. 14 ff.) und den litauischen Text Willents (in Bechtels Ausgabe, Litauische und lettische Drucke des 16. Jahr- hunderts 3, S. 7, Z. 24 ff.) nebeneinander auf:^'")

IKir sollen Gott den Herren . . . fo'rchten vnnd lieben | das wir hey sei7iemNamen nicht Fluchen \ Schweren \ Zeuhern \ Liegen oder triegen | Sondern den seihen inn allen noHhen Anrufen l Beten \ Lo- ben vnd dancken.

Mes turrimai Beiwan stan Liihijan . . . biä- twel I Ihe milijt \ hai Dies sen tennelson em- nen | 7ii nideivmkan gunnimai | ni wertem- mai I hlantemmai | he- binniynai \ waidleimai adder menüniaihhe pai- kemmai | Schläitstan- suhban enwissai nautei enwacksimai \ Posinni- mai I girrimal \ bhe dln- kauimai.

Turim Pona Üiewa hiotiesi \ ir ghy mi- lefl I idant per jb war- da nekleikturnhim \ ne- prislektumhlni \ neßoll- netumbim i nemeluium- b'im ' neprmilotumblm. Bei idani io IKarda tcissosa prigadosa masu] praschitumbim \ mel- siumbim \ schlowintum- bim I ir yamui dekaioo- tumbim.

Willent gebraucht, wie man sieht, nach idaid „dass"' nur Optativformen, wohl einfach deshalb, weil sein litauisches Sprachgefühl ihm dieselben in die Feder gab ; der deutsche Text verwendet solche Formen, die formell sowohl zum Indikativ wie zum Konjunktiv gehören können, und von den elf altprenssischen Formen sind die meisten (9) ohne jeden Zweifel einfache Indikativbildungen; nur zwei weichen von dem gewöhnlichen Indikativtypus ab : 2vaidleimai, en- wackecmai. Was sind das nun für Formen? Angesichts der neun Indikativformen, die in demselben Satze vorkommen, ist es mir unglaublich, dass diese zwei Formen etwas anderes sein sollten, zumal weil in ähnlichen Nebensätzen auch sonst der Indikativ auftritt. '^^) Bezzenberger, der im Allgemeinen bestrebt ist, die guten Qualitäten von Wills Uebersetzungsarbeit hervorzuheben, hat m. E. in diesem Falle durch die Annahme, dass -eimai, -eimai der Ausgang des Optativs Aor. sei, den armen Will unnötiger-

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weise einer unvergeblich inkonsequenten Uebersetzungs- technik beschuldigt. '^^) Nach meiner Ansicht legt das einmal in indikativischer Funktion vorkommende eniüacMmai (73, 14 mes emvackemai tien „Wir ruffen dich an") die Ver- mutung nahe, dass enwackehnm und dann wohl auch vjaid- leimai einfach Fehler sind. Daneben ist aber noch eine andere Auffassung möglich, und zwar diese, dass der litauische Typus akeju, aketi „eggen" direkt zu vergleichen ist, und dass apr. -B'miai^ -eimai also dem lit. -ejavie ent- sprechen. Das anstatt ja auftretende i wäre gar nicht auffällig; s. S. 137.

Die übrigen Formen der 1. Person Plural lassen sich in folgende Klassen einteilen :

1. Formen mit einem einsilbigen Präsensstamm: asmai „sind, seien", et-skimai „auferstehen", per-eimai „kommen".

2. die Form wlrstmai „würden", die von der 3. Pers. wirst „wird, werde" gebildet wurde. Auf wirst selber ist es jetzt nicht nötig näher einzugehen.

3. Formen auf -amai, -umai, -ämai, -ümai, mit ^, u (ä, ü) aus urbaltischem ä. Gewöhnlich ist dieser Vokal schwach- tonig, so dass das Längezeichen fehlt. Hierher gehören: läikumai „halten, erzeigen", en-laikümal (1. enläikumaiT) „an- halten", po-läikumai „behalten", waitiämai „reden", quoitämai „wollen". Mit dieser allgemein baltischen Formation stehen die ausschliesslich preussischen Formen auf -m^^i auf einer Linie. Es sind Neubildungen zu der 3. Person auf -e\ s. S. 18. Es kommen folgende Formen dieser Gestalt vor: billemai „sagen", druwemai „glauben", seggemai „tun", stal- lemai „stehen", en-ioackemai „rufen an". Auch klaiisemai „hören" ist diesen Formen anzuschliessen ; es setzt eine 3. Person '^klause voraus; s. weiter S. 19. In ait-paickemai „abdringen" möchte ich das e als em auffassen; ' ^ °) vgl. paikemmai „triigen" und po-paikä „betrüge", das in dieser Gestalt nicht richtig sein kann (nach Labialen und Guttu- ralen kommt bekanntlich kein ä vor) und am einfachsten in po-paika oder po-päika geändert wird. '^')

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4. Formen auf -ammai^ -emmai. Zwischen diesen im Vo- kalismus oder vielleicht bloss in der Orthographie vonein- ander abweichenden Ausgängen darf kein Unterschied gemacht werden; vgl. die Dative ?rir^^w/j;?a?z5 „den Worten", vremmans „den alten" neben waihamw.ans „den Knechten". Es kommen folgende Formen vor: giwammai, giwemmai „leben", klaniemmai „fluchen", per-klantemmai „verraten", po-preste7nmai „fühlen", per-wechammai „verachten", wertemmai „schwören".

5. Formen auf -imai. Diese gehören zu mehreren sowohl von preussischem wie von indogermanischem Standpunkte voneinander zu trennenden Verbalklassen. Nicht bei allen Formen auf -imai lässt sich die Konjugationsklasse genau feststellen. Zur /-Klasse (lit. turiu, turi, tur) gehören kirdimai „hören" (vgl. lit. gifd, girdwie), menümm „lügen", ep- mentimai „belügen", turrimai „haben, sollen" ; zur y'ä^-Klasse (lit. girm, girl, giria) girrimai „loben", und auch wohl ^^w'e/- pimai (I atwerpimai/, 11 eiicerpymaij) „vergeben" (vgl. 1. Sg. etwerpe, 3. Sg. etivierpei, 1. -ie?, 2. Sg. Im'p. efwerpeis); zur Ä-Klasse'"^) galbimai „helfen" (oder ein ;a-Stamm ? Der In- finitivstamm ist galh-\ vgl. 3. P. Sing. Opt. galbsai, galbse), au-gaunimai „gewinnen", po-gauniwai „empfangen", immimai „nehmen", en-immimai-sin „Sinnehuien'\ pid imai, pid imai „brin- gen", po'Siänimai „werden", wahrscheinlich auch ser-ripimai „erfahren" (oder ein i-Präsens? Vgl. einerseits lvß.^,ripaiii, anderseits Part, ripintin '^^)), auch wohl er-simiimai „er- kennen", po'si?i7ii?nai „bekennen", die nicht direkt zu lit. zhiome gestellt werden können; dann wäre *-sinnamai zu er- warten; ' ^^) zur ^;^ß-Klasse (Unterabteilung der a-Klasse) bebi?i?iimai ^^si:>otten'\brewi7ifiimai „iördern^^ mukinni??iai „lehren", prei-statti7mimai „stellen vor", ticki7i7iimai, teckin7dmai „machen"; zur ^z^/<2-Klasse diiikauitTiai ^^did^rik^n^' {i^'onQhQn di7tkau7nai). Die Lehnwörter 1. 3. Sg. madli, 1. PL madlimai „bitten", 1. Sg. schlüsi, 1. PL schlüsimai „dienen", per-schlüimiai „ver- dienen", 1. 2. Sg. 3. Sg. PL massi, 1. PL /y/ö'.s.fmai „mögen" können als Verba der /:(^)-Konjugation aufgefasst werden

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(vgl. lit. szlüzijti u. dgl.); von preussischem Standpunkte betrachtet, können sie aber ebensogut zur i-Klasse gerech- net werden. ^^^) Dasselbe gilt für grild-sl „versündigen sich", grlhimai „sündigen"; dieses Zeitwort ist wohl einfach ein Denominativum vom Lehnworte '^griks (G. griJcas usw.) „Sünde" und nicht eine Umbildung des altpolnischen Verbums, das jetzt grzeszyc lautet. Fiir gunnimai „treiben*' gilt dasselbe, was zu viadli, -imai usw. bemerkt wurde, falls dieses Präsens wirklich dem Slavischen entlehnt ist. Daneben besteht aber die Möglichkeit, dass guntwei „trei- ben" ein von alters her baltischer Infinitiv mit Schwund- stufenvokalismus ist (vgl. lit. 5/i^w^/i „stossen"): dann wiirde das Präsens wohl zur ja- oder zur ^-Klasse zu stellen sein. Zu welcher Klasse das dem Deutschen entlehnte au-schj)ändiw,ai „abspannen" gehört, das ist nicht auszu- machen, — toaidimai „wissen" ist eine sekundäre Form zu einem athematischen Präsens ^^^) (waisei, waisse „weisst"), während er-nerümai „erzürnen", woneben das Ptz. Pf. Akt. er-nerüuns, er-nertiuns vorkommt, zur i-Klasse (vgl. lit. lurlu, tureti) oder zur «-Klasse (vgl. lit. gelbu: gelbeti) oder was mir am wenigsten wahrscheinlich vorkommt zur i[iay Klasse (vgl. lit. rüclyju : rüdytl „rosten") gehört. Wenn die S. 135 für möglich gehaltene Deutung von enwachmnai und tvaidleimai als Formen eines ^/«-Präsens richtig ist, so stehen diese Formen auf einer 1A\\\q m\i dinkaiumai^^-jimai] nach Analogie des Litauischen wäre '^-jmnai zu erwarten) und mit immimai (wofür '^iwmamai zu erwarten wäre).

Nicht auf alle hier aufgezählten Formen brauchen wir näher einzugehen. Diejenigen unter 1, 2, 3 geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Bei Klasse 4 ist das doppelte m auf- fällig. Die orthographischen Regeln Wills, w^elche ich wohl als bekannt voraussetzen darf, nötigen uns, in giwanimai, -emmai, kla7iiemmai, per-klantemmal^ loertemmal^ po-presfemmai, per-weckammai, die alle mit mm geschrieben werden (womit die Tatsache, dass die ersten vier, mit langer Anfangssilbe, kein Akzentzeichen auf dieser Silbe haben, in üebereinstim-

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mung ist), Paroxytona zu erblicken. Vgl. die S. 136 bereits erwähnten Dative wirdemmans, vremmans, uoaikamm,ans^ die ebenfalls Paroxytona sein werden, im Gegensatz zu loissamans „allen", delnäalgenikamans „den Tagelöhnern", anschaut eniJcamans „den Schuldigern", tnalnijkiJcamans „den Kindlein". Wir haben es hier offenbar mit einer ähnlichen Akzentverschiebung zu tun wie in n&\.roekel66sheid: roekeloos, arhetdzaam : drheid, levenskrdcJiüg : leceiiskracht, wo die vorletzte Silbe infolge der Anhängung einer neuen Ableitungssilbe eine Intonationsänderung erlitten hat, welche den Wort- akzent heranzog; vgl. auch slav. nesemüj nesete u. dgl. (s. Verf. Archiv f. slav. Phil. 36, 373 f.).

Von den Formen auf -imai geben diejenigen, die zu i-Präsentien gehören, zu keiner Bemerkung Anlass. Die zu /a-Präsentien gehörigen können als Analogiebildungen nach der «-Konjugation aufgefasst werden ; ich halte es aber für nicht weniger wahrscheinlich, dass r/irrimai, et-iver- pimai ebenso wie d'inkaulmai i aus ji haben und mit hnmlmai usw. auf einer Linie stehen. Auch auf die etwaigen ija- Präsentia gehe ich nicht ein, auch nicht auf die S. 137 nach grlkhnai angeführten sekundären und mehrdeutigen Formen auf -imai^ wohl aber auf die a-Stämme und die ^V^a-Stämme, welche eine Unterabteilung der a-Klasse bilden. Dinkauimai steht mit immimai^ behinnimai auf einer Linie; -imai wird auf -jimai zurückgehen. Vgl. S. 79 f.

Wenn wir an-gauniynai^ po-gaunimai, immimai, eyi-imruimai-sin^ pidimai [pidimai), po-stänima'i mit welchen Formen galbimai, ser~riplmai, er-sinniniai^ po-sinntmai wohl auf eine Linie ge- stellt werden dürfen und bebinnimai, bretvinnlmai, rnukinnimai^ prei-s[aUinnimai^ tickiti7iimai (ieckiiinimai) einerseits mit giwa?fimai {-emmai), klaniemmal^ per-klantemmal^ po-presiemmai,per-iveckat)imai^ wertemmai anderseits vergleichen, so ist der Gegensatz zwi- schen diesen beiden Klassen wohl am einfachsten so zu erklären, dass die erste Kategorie die proparoxytonierten, die zweite die paroxytonierten Formen der 1. Person Plural der thematischen Verbalklasse umfasst. Den Grund eines

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solchen Betonungsunterschiedes wird jeder, der sich je mit baltischen Akzentfragen beschäftigt hat, geneigt sein, in der Intonation der Antepänultima zu suchen. Hängt die zweierlei Betonung vielleicht mit dem Gesetze De Saussures zusammen? Tatsächlich haben diejenigen lang- vokalischen Stämme mit einer 1. P. PL auf -Imal, die im Litauischen oder Sla vischen wiederkehren, dort Akutus: lit. gdunu ; lit. stöju, abg. sta?iq,, serb. sta?iu; lit. (/elbu (ablautend mit apr. pogalhton^ galhlmai) ; die Zeitwörter mit -emmai, -aimnai haben teilweise kurze Stammsilbe, teilweise lange: diejenigen mit langer Stammsilbe kehren in den verwandten Sprachen nicht wieder, ausser gmamrnai, -emmai^ welches Zeitwort im Slavischen eine zirkumflektierte Wurzelsilbe hat : russ. zivu^ -e^\ freilich beweist dieser Zirkumflexus nichts flir das baltische Verbum ; denn auch das slavische Adjektivum zivü hat eine andere Intonation als das litauische g^vas (serb. slov. zw). Auffällig ist die ausnahmslose Paroxy- tonesis bei Verben mit 2^- Vokalismus: immimai, -simiimai, behinnimai usw. ; man vergleiche damit wlssamans gegeniiber waikammans^ wirdemmans, vremmaiis. Leider gestattet uns das dürftige Material nicht, das preussische Akzentverschie- bungsgesetz genau zu formulieren. Bezzenbergers Unter- - suchungen hatten uns bereits gezeigt, dass im Altpreus- sischen die Bedingungen fiir die Wirkung des Gesetzes von De Saussure nicht dieselben gewesen sind wie im Litauischen (KZ. 41, 74 ff.). Wir haben jetzt, wenn ich richtig sehe, einen neuen Unterschied zwischen den beiden Sprachen entdeckt: im Altpreussischen hat eine sekundäre Intonationsqualität den Akzent in solchen Fällen herangezogen, wo er im Litauischen an seiner alten Stelle blieb. 18 7)

Auffällig ist das ausnahmslose -imai der proparoxyto- nierten Formen. Es wäre vielaiehr -amal^ -emai zw evwdiYiQn (vgl. wissamaiis ^ ^^)'. ivaikammans, vremmans). Ein ähnliches, dem Litauischen unbekanntes „bindevokalisches" -i- kommt auch im Lettischen bei thematischen Präsentien neben -a-

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vor, und zwar nicht bloss in der 1., sondern auch in der 2. Pers. PL ; s. Bielenstein Die lettische Sprache 2, 119, 124. In seiner Schrift lieber die Sprache der preussischen Letten 125 teilt Bezzenberger einige von solchen Formen aus süd westlettischen Mundarten mit; er schreibt dort das i dem Einflüsse der i-Präsentia zu: „/^^jm und wahrschein- lich auch esim.^ sowie methn^ zeWüm u. a. haben ihre Endung von df'i'rdlvi, milhn entlehnt". Von den altpreussischen Formen auf -imai wird hier nicht geredet. Wenn Bezzen- berger sie mit in Betracht gezogen hätte, so wvirde er sie wohl ebenso wie die lettischen Formen auf -im aufgefasst haben. Später hat Bezzenberger der preussischen Endung "imal widerholt seine Aufmerksamkeit gewidmet, und aus denjenigen Stellen, wo er auch den lettischen Ausgang -im erwähnt (BB. 26, 171 Fussnote, ^^e^»«; 199), ergibt sich, dass er die beiden Ausgänge für identisch hält '^^) Er erblickt jetzt in -imai und in der bei vielen Zeitwörtern vorkommenden Endung -^i der 3. Person Singular (auch für die 3. Pers. Plur. und für die 1, 2. Pers. Sg. gebraucht) die Reste des von Bartholomae Studien zur indogermanischen Sprachgeschichte 2, 63 ff. ausführlich besprochenen indo- germanischen Ablautes l : äi. BB. 23, 305 ff., wo er diese Ansicht ausführlich dargelegt und begründet hat, fasst er das altpreussische -ai als Verkürzung von -äja auf; neben dieser Ansicht hält er freilich auch andere Auffassungen für möglich. In einem spätem Aufsatz, KZ. 41, 96, 98, erblickt Bezzenberger in -ai die athematische Endung -äi\f]. Wenn icli zwischen diesen zwei Hypothesen die Wahl habe, so gebe ich der zweiten den Vorzug: sie gestattet uns, den Ablaut -ai: 4inat der mit a gebildeten Präsentia ipo-gauual, en-gaunai : au-ga?iuimal, po-gauuimai USW.) mit dem- jenigen der altindischen 9. Klasse {-nämi : -nlmali) auf eine Linie zu stellen, während die 7^-losen Präsentia, die diesen Ablaut zeigen, mit solchen altindischen Bildungen wie dqarait'. gdritoJi (zu rriiäti: criiimäh) s. J. Schmidt Festgruss an Roth 179) verglichen werden können ; weil das baltische

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Präsens sekundäre Personalendungen hat, Hesse sich das -ai von pldal, -gaunal usw. einfach mit dem Ausgang -alt von ai. dcarait identifizieren. '*'^*) Und was das i von apr. -imai anbetrifft, vgl. Bezzenberger KZ. 41, 94 f. : „Ob das mittlere i von immlmal '^') usw. im Preussischen kurz oder lang war, ist ihm freilich nicht anzusehen, aber prinzipiell kommt darauf nichts an, denn es kann nach dem vorhergehenden Akzent verkürzt sein (vgl. Geras S. 166; auch in lit. suktumblm.e lässt sich diese Verkürzung annehmen)." Es dürfte hier auch an pr. marUimai, sc/düsimai erinnert werden, die ebenfalls ein altes i haben können; ob das i dieser Formen in Wills Sprache lang oder kurz war, das lässt sich nicht entscheiden.

Berneker, den Bezzenberger BB. 23, 305 bekämpft, hatte S. 212 f. seiner „Preuss. Sprache" die Personalendung -al als eine Partikel aufgefasst. Gegen eine solche Partikel -ai hat Bezzenberger sich widerholt gewandt, u. A. KZ. 41, 125. Ich glaube, dass die Annahme einer fast vollständig bedeutungslosen Partikel -ai nicht widerlegt werden kann ; sogar könnte man fiir gewisse Formen auf -al auch eine an ältere Bildungen auf -a angehängte Partikel -i ansetzen (vgl. Gauthiots Bemerkungen zu lit. hadai: Jcada, hel\ he Idg. Forsch. 26, 357); ebenso unleugbar ist es aber, dass in den meisten Fällen solche Vermutungen „vollständig in der Luft schweb[en]", wie Bezzenberger aaO. zu Bernekers Partikel -ai bemerkt. Was speziell die Präsensformen auf -äii anbetrifft, so kommt mir Bezzenbergers Meinung wahrschein- licher vor als diejenige Bernekers : mit Bezzenberger erblicke ich im preuss. -al ein mit -l- ablautendes idg. -äi{pi. Insofern weiche ich von Bezzenberger ab, als ich in grösserm Umfange analogische Verbreitung dieser Endung annehme, ebenso wie ich auch das ausnahmslose Auftreten von -imai in den proparoxytonierten Formen der 1. Pers. PL thematischer Verba einer Erweiterung der Gebrauchssphäre dieses Aus- ganges zuschreibe. Dass der Ablaut Ttl : l nicht nur im Indoiranischen, sondern auch in andern Sprachzweigen

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vorkommt, dürfte aus den Untersuchungen '^^) Bartholo- maes aaO. passim, J. Schmidts aaO. 184 f., Bezzenbergers i'EQitg 153 fF. passim hervorgehen ; weshalb sollte er dann nicht auch in apr. -a^ : -i-mai stecken ?

Bernekers Meinung wäre plausibeler, wenn neben einer oder mehr Formen auf -ai eine 1. Pers. Plur. auf -anwial, -emmai vorkäme. Das ist aber nicht der Fall : diejenigen Verba, von welchen sowohl eine 3. Pers. auf -ai wie eine 1. Pers. PI. vorkommt, haben ausschliesslich die Endung -imai (vgl. dagegen giiva 4 X : giivammai^ -emwai zusammen 3 X), so dass -ai : -imai ein regelmässiges Verhältnis zu sein scheint. Allerdings ermöglicht der geringe umfang des Materials kein absolut sicheres Urteil.

-ai liegt in folgenden Präsensformen vor: eh-immai „be- greift" (: hnmlmai^ en-irmnlmai-sln)^ po-dingai „gefalle", piclai „trägt", per-pidai „man soll bringen" ^ ^ ^) {: pidimai, pldi?nai), au-pallai „findet", en-gaunai „enip^Singe^\ po-gau7iai „empfängt" (: au-gauumal, po-gannimai), po-stänai, po-stanai „werde, wer- den" (: po-stänimai)^ dlllnai „wirkt", Jclumstinai „klopft an", er-schwaigsünai „erleuchtet", ni-siointinai „heiligen nicht", po-drüki'mai (1. P. Sg.) „bestätige" (: -itinimai bei allen Ver- ben auf -int). Einige von diesen V^erben haben daneben -a\ im.ma (1 X; 1. P. Sg. : „nehme"; auch eh-immai 'kouixni nur 1 X vor), ni-swintina „entheiligt"; auch sonst widerholt -iyia^ -inna.

Wie ist dieser Tatbestand zu erklären?

Wenn wir folgende zwei Tatsachen ins Auge fassen : 1. dass zu einer altpreuss. 3. Pers. auf -ai offenbar regel- mässig eine 1. Pers. PI. auf -imai gehört, 2. dass im Alt- preussischen alle proparoxytonierten Formen der 1. Pers. PL -imai und nicht -am,ai, -emai haben, so ist meiner Ansicht nach folgende Erklärung sehr wahrscheinlich. Es gab von alters her Zeitwörter mit einem Präsensablaut äi : i. Dieser Ablaut kam u. A. bei einem Teil der mit ?^-Formans ge- bildeten Präsentien vor, und zwar bei denjenigen, welche auf den in der altindischen 9. Klasse fortlebenden indo-

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germanischen Typus zurückgehen. Auf altpreussischem und auf lettischem Boden drang nun das i der 1. Pers. Plur. bezvv. der 1. und 2. Pers. Plur. auch in gewisse thematische Präsentia ein. '^*) Daneben kommt im Let- tischen auch die umgekehrte Entwicklung vor, d. h. die thematischen Formen verdrängten die i-Formen; ebenso verfuhr die litauische Sprache. Im Preussischen wurde 'imai die ausnahmslose Endung der proparoxytonierten thematischen Formen. Weil nicht alle Verba etymologisch klar sind, wissen wir nicht immer, ob -ma2 alt oder sekun- där ist. Ein paar Formen mit sekundärem -l- sind wohl immimai und e?'-sln?iimai, po-sinnimai.

Dem preuss. Präsens imma entspricht litauisches Ima, abg. imetu [j-imetti). Der einfachste Weg, diese Formen zu erklären, ist wohl dieser: dass w^ir einen balt.-slavischen Präsensstamm ^ime-, '^imo- (aus idg. '^e'^ne-^ *gmo-) annehmen. Die Hypothese Bezzenbergers KZ. 41, 95, dass in imma ein Stamm '^'imnä- stecke, kann nach meiner Ansicht daneben nicht in Betracht kommen. Höchstens könnten wir ver- muten, dass balt.-slav. */W/ö-, idg. *em^/ö- aus noch älterm ^eff^nejo- entstanden sei; das ist aber Bezzenbergers Meinung nicht. Er führt i?nma auf ein noch in das Preussische hereingekommenes "^im??/! zurüick, dessen n das ä vor dem üebergang in einen labialen Vokal geschützt haben soll. Dabei wird der Stamm 'Hmnä- von dem für immimai, eb- 'hnmai antyenommenen Stamm "^^iml- : Hmäi- oder ^imni- : '^imnäi- getrennt. Das sieht mir allzu phantastisch ausi Wenn wir nach dem einfachen Rezepte arbeiten, welches vorschreibt, zunächst die Formen der nächstverwandten Sprachen zu vergleichen, so identifizieren wir i^nma (das formell eine 3. Person Sing, sein wird; diese wird ja oft für die 1. Pers. gebraucht ^^^)) mit lit. ima^ abg. ime-tu. Immimai hat infolge der Proparoxytonesis die Endung -imai angenommen, und -immai wird zu immimai gebildet sein unter dem Einflüsse anderer Formpaare dieser Art. Für diese Auffassung spricht auch die 2. Pers. Plur. imm,aü»

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Wenn immimai, wie Bezzenberger glaubt, einem alten äi : i-Präsens angehörte, so wiirde die 2. Person Plural doch wohl denselben ^- Vokalismus zeigen. '^^) Wenn aber iinmi- mal ein durch Analogie entstandenes -i- hat, so brauchen wir uns iiber iminati nicht zu wundern: es hat den alten thematischen Vokal bewahrt. Dass dieser nicht auch in der 2. Pers. Plural durch i ersetzt wurde, kann dem psycho- logischen Bande, das diese Person mit der 2. Pers. Sing. zusammenhielt (s. darüber S. 61), zugeschrieben werden.

Ebenso erblicke ich in er-^ po-sinnimai eine Analogiebil- dung für ^^-slnnamai. Der thematische Vokal a hat sich nicht nur in po-shma (4 X als 1. Ps. Sg., 1 X als Ps. PI.), sondern auch in er-sinnati (2. Ps. PI. ; 1 X) gehalten. Das Prä- sens -siu7ia, '^-sinnamai^ -sinnaü wird dem lettischen Präsens Jmu, fini, fin{a)^ finaw, finai (Bielenstein aaO. 1, 414) ent- sprechen. '^") Dass dieses Präsens in einer altern Periode den Stamm zinnä- gehabt hat (s. J. Schmidt aaO. 181, Bezzenberger rk^m 201, KZ. 41, 95), leugne ich nicht. Das litauische Paradigma Hnan^ zifim, zlno, zmome, zinote wird die Ablautsstufe -nä- des Singulars, die lettischen und altpreussischen Paradigmata die Stufe '7ia- (idg. -n?-) des Plurals verallgemeinert haben. Der Infinitiv hat in allen drei den Sprachen langes ä: Wi.zinoti, lett.yeV<!ö7, apr. -sinnat. Wir haben es hier mit dem Präsensablaut -nä-: -719- zu tun, der im Indogermanischen neben -7iäi-\ -7ä- bestanden hat; s. J. Schmidt aaO. 180 ff. '^«) ''9)

Auch das ausnahmslose Vorkommen von -^'wai bei sämtli- chen preussischen ^^-Präsentia (sowohl -gaiai'mal, -siä7ii)7iai '^ °") wie -iiviwiai) wird auf einem Verallgemeinerungsprozesse beruhen. Neben dem indogermanischen Präsenstypus auf -7iäi-: -711- hat es einen solchen auf -uä- -. -n?- gegeben, ausserdem noch andere athematische Typen und einen thematischen auf -7it\o-. Das preussische -7ii7nal beruht auf einer Verallgemeinerung des nur bei den riäi : /^i-Präsentien altererbten i\ im Litauischen dagegen hat der thematische Typus gesiegt. Bezzenberger hat Beiträge zur Geschichte

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der lit. Sprache 112 ff, BB. 23, 306, KZ. 41, 97 f. die Meinung aasgesprochen, dass in der Flexion der Verba mit Präsensstamm auf -Ina- in der urbaltischen Periode ein Stamm auf -iiird- (woraus unter gewissen Bedingungen -Inä-) eine Rolle gespielt habe, und dass dieser Stamm in den zahlreichen altlitauischen Präterita auf -inojan lett. -indjn enthalten sei. •' " ^ ) Das kann richtig sein ; anderseits aber gestattet die Bildungsweise der Zeitwörter auf -ina- : 'Inü keine direkte Verknüpfung mit der altindischen 9. Klasse. ^"^) Der Stamm auf 'inä(iy wird dadurch entstan- den sein, dass das bei andern Verben vorkommende und als Stammesformans empfundene -nä{iy auch bei dieser Klasse auf analogischem Wege eingeführt wurde. Auf die- selbe Weise ist das altpreuss. -Iniiimai zu erklären, das end- gültig erst dann das ältere ^-innamai verdrängt haben wird, als man in -imai die für die proparoxytonierten Formen charakteristische Endung fiihlte.

Ebenso wie die Endung -imai^ so hat auch die Endung -ai der 3. Pers. im Altpreussischen ihr Gebiet bedeutend ausgedehnt, nach meiner Ansicht in viel grösserem Umfange als Bezzenberger angenommen hat. Die ursprüng- lich wohl nicht sehr zahlreichen Verba mit Ablaut ai : i {näi : ni) haben bewirkt, dass auch in solchen Fällen, wo -imai jüngeren Ursprunges war, in der 3. Person neben -a ein sekundäres -ai aufkam. Ebensowenig wie wir in jedem einzelnen Falle entscheiden können, ob der Ausgang 'imai altererbt oder auf analogischem Wege entstanden ist, ist es uns möglich das Alter eines jeden -ai festzustellen. In einigen Fällen aber ist es klar, dass es auf Neubildung beruht. So wird eb-immai neben imm.a^^^) aufgekommen sein, nachdem zuerst die 1. Pers. F\u.r. Immimaientsisiuden war, und auch in dilinai, klumstinai usw. möchte ich eher als in ge^oinna, ynuTcinna usw. junge Formen erblicken.

Aus dem Vorhergehenden ergibt sich, dass ich für die Präsensformen auf -ai und für die 1. Person Plural auf -imai denselben Ausgangspunkt annehme wie Bezzenber-

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ger, dass ich aber den Umfang derjenigen Klasse, die diese Endungen von jeher besessen hat, für viel kleiner halte. Was 'imai anbetrifft, so hat das Bestreben sich geltend gemacht, diese Endung auf alle proparoxytonierten Formen thematischer Verba auszudehnen. Weil der ursprüngliche Umfang der öi:i-Klasse sich nicht mehr feststellen lässt, wird es unmöglich sein, meine Klasseneinteilung S. 136 f., welcher die litauischen Verhältnisse zugrunde liegen, durch eine bessere zu ersetzen, obgleich dieselbe nicht ganz richtig ist. Die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, dass bei der Verbreitung von -ö^'^o*) einige mitwirkende Faktoren im Spiele gewesen sind. So könnte man an Be- einflussung durch die 3. Ps. Opt. auf -lal denken, auch die Endung -7nai der 1. Pers. Plur. könnte Einfluss gehabt haben. Der Ursprung dieses -mai ist unsicher. Ich glaube nicht mit Porzezinskij K istorii form spr'azenija v baltij- skich jazykach 53, dass apr. '7nai^ lit. -me-s eine nach der Analogie von Singularformen gebildete Endung sei; s. Archiv f. slav. Phil. 36, 113 f. Wie man aus Porzezinskij aaO. 51 ff. ersehen kann, gibt es im Baltischen einige Ausgänge der 1. Ps. PL, welche sämtlich ein m und nach diesem tn verschiedene Vokale haben. Möglicherweise hat das Preussische einige Zeit die Endungen -ma und -mai nebeneinander besessen; sollte das der Fall gewesen sein, so könnte dieser Umstand ein mitwirkender Faktor bei der Verbreitung der Endung -ai der 3. Ps. gewesen sein.

Dass auch Einfluss von Präsentien wie et-trui „antwor- ten", i)eisäi „schreiben", peisai „schreibt" anzunehmen sei, glaube ich nicht. Diese Formen haben wohl -äi aus -äja(t) oder -äje{t) ^°^) (vgl. lit. stoja) und ihr -äi hatte wohl eine andere Intonation und Quantität als für -gaunal usw. an- zunehmen ist. ^ °^) Mit et'träi steht wohl auch kelsäl „lauten" auf einer Linie, welches sich zu kaltzd „id." verhalten dürfte wie lit. hiloja zu hilo'^ s. S. 16.

Bisher behandelte ich die Präsentia auf -ai, ohne auf die Präterita mit diesem Ausgang Rücksicht zu nehmen.

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Es kommt mir erwünscht vor, jetzt auch diese Präterita zu besprechen; das ist aber ausserhalb des Zusammen- hanges mit dem sonstigen Präteritalsystem unmögHch. Ich teile deshalb sehr kurz meine Ansicht auch über die übrigen Präteritalformen mit.

Das vollständige Material führt Bezzenberger KZ. 41, 103 an. Aus diesem Material scheide ich zunächst die Formen lasinna und ehsignä aus, die wohl Präsentia sind, trotz des im Text unmittelbar vorhergehenden po- glabüdins „hertzete sie". Dem preussischen bhe lasinna rank un nodim \ bhe ebsgnädins {sie) 69, 34 f. entspricht im Deutschen: „vnd leget die hende auff sie | vnd Segenet sie". Die übrigen Formen sind wohl in folgende Klassen einzuteilen :

1. e-Präterita vom Typus des lit. vede : is-mige „entschlief", wedde „führte", per-traüki „überzog". Hierher auch wohl be „war", das dann mit abg. be „id." identisch ist; vgl. weiter zunächst gr. k-(fii]. Weil aber be, oder vielmehr bhe, nur einmal vorkommt, und zwar unmittelbar vor be „und", während uns daneben je einmal bei und bei begegnen, ist die Möglichkeit, dass bhe ein Fehler ist, nicht ausgeschlos- sen. Auch bille „nannte" stelle ich hierher; es wird also eine ähnliche Formation sein wie das Präsens bille. Vgl. über den Auslaut -e, -i S. 17, über bhe S. 22 f. Aus I können ymmi-ts, jmmi-tz „nahm" hierhergehören.

2. bei, bei „war". Wohl 2i\x^Heja{t), -e{t); s. Bezzenberger KZ. 41, 108 f., oben S. 22 f. Aus II dürften ymmei4s, ymmey-ts „nahm" hierhergehören

3. ^-Präterita vom Typus des litauischen suho : en-deirä „sah an", po-glabü „herzte", teikü, -u „schuf", wohl auch küra „baute" (mit Dehnstufe, wie sidons „sitzend", stlnons „gelitten habend"); möglicherweise auch billa, billa-is „sprach" und laipinna „gebot". Bei billa, -ä-ts ist die Identität mit dem Präsens auffällig; auch teikü, -u könnte formell eine Präsensform sein: der Infinitiv lautet ja ieichit, das Part. Prät. Akt. teiküuns, S. unter 5, wo von dem unklaren Ver- hältnisse des altpreussischen Präteritums zum Präsens aber-

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mal8 die Rede sein wird. iluch lymu-czt II „brachs" ist ein Ä-Präteritum ; das Enchiridion hat dafür limants, das wohl als eine verfehlte, unter dem Einfluss des vorherge- henden (linhauis „dancket" (49, 6 f.) niedergeschriebene Form aufzufassen ist, und limu-tz in I wird sein a dem Einflüsse von Präterita wie hela[-ts) „sprach", pro-ivela „ver- rieten", wo dem Vokal ein dentaler Konsonant voranging, verdanken. Diese Formen selber, denen in II bt/la[-czt), hila-ts, pro-icela entsprechen, sind als ^-Präterita am leich- testen begreiflich.

4. l)iiikau-ts, dinkau-iSy II dinkau-tzt, -au-czt „dankte" beruht auf Umbildung. S. Trautmann 321 und die dort zitierte Literatur, auch wegen dinkowa-ts, -tz in I.

5. Imma, imma-ts „nahm" ist wohl mit der Präsensform imina identisch. Aus ä wäre ü, n entstanden. Zwar schlägt Bezzenberger KZ. 41, 106 eine Grundform '^imnät oder '^imnä\jet\ vor, aber er hat es nicht plausibel gemacht, dass mn im Altpreussischen bis nach dem Uebergang von in mn^ mu bewahrt geblieben sei. Ich sehe keine andere Möglichkeit, als Imraa, -a-ts einfach mit der Präsensform innna zu identifizieren. Dann kann aber auch la'iplnna ein kurzes -a haben, das mit dem a des Präsens vollständig identisch wäre. Man beachte, dass auch fidai^ hilla, Ullä-ts^ lille sowohl als Präsens wie als Präteritum vorkommen. Ich gehe jetzt auf diese Frage nicht weiter ein ; ich weise bloss darauf hin, dass solche mit Präsensformen identischen Präteritalformen, soweit wir urteilen können, nur im En- chiridion vorkommen, so dass mit der Möglichkeit zu rechnen ist, dass Will oder ein Dolmetscher die Tempora nicht auseinandergehalten hat. Es ist aufFäUig, dass I und II dem Willschen imma{ts) solche Formen gegenüber- stellen, die sich leichter mit lit. hne vergleichen lassen. Was hela[-is) in I, h}jla{-czt\ hila-ts in II anbetrifft, so wissen wir nicht mit Sicherheit, wie der Infinitiv und das Präsens dieses Zeitwortes in der Mundart der Uebersetzer lauteten.

6. t^e'-Präterita : dai „g3iW\ po-släi, po-slai „wsiYd^', driäudai

149

„bedrohten", per-pidai „brachten", widdai „sah", sigriai „seg- nete", ^"') billal (1. Pers.) „sprach". Angesichts des unter 0 Bemerkten könnte man glauben, dass diese Formen einfach mit den Präsensformen auf -al identisch seien, und tatsächlich dürfte diese Vermutung für einige Formen das Richtige treffen, in erster Linie wohl für per-pidai. Ander- seits aber ist es nicht zu leugnen, dass -ai eine typische Präteritalendung gewesen ist. Darauf weisen po-stüi, po-stai und das dreimalige dai hin, denen ganz anders gebildete Präsentia gegenüberstehen : po-stänai, -anai, po-stänimai, stä- nlnte'l, -nti\ däse^ däst, dast. Und dass diese zu einsilbigen Verbalstämmen auf preussisches ^ä- gehörigen Formen auf -ai allgemein samländisch waren, darauf dürften dai-ts^ dai-tz in I, dai-ts, day-ts in II hinweisen. Diese Formen sind kaum anders aufzufassen denn als ^^-8täja{t)^ ^däja(t) (s. Bez- zenberger KZ. 41, 104). Freilich fällt es auf, dass nur einmal po-stm mit dem Längezeichen vorkommt, dagegen po-stai und dai zusammen 4 mal, während doch die voll- kommen gleich gebildete Präsensform et-tmi an der einzigen Stelle, wo sie vorliegt, -äi hat und auch neben kehai und peisai (je 1 X) nur einmal peisai geschrieben wird. Die Formen '^-stäja{t), '^dä'ja{t) finden in Heja[t), worauf /^^i (1 X; daneben hei 1 X) zurückgehen wird (s. oben sub 2) eine gewisse Stütze. Wegen der Schreibweise mit und ohne Längezeichen s. Bem. 20.

Die für -stai, -stai, dai gegebene Erklärung ist auch auf andeie Formen anwendbar; so Hesse sich slgnai aus ^signäja{i)y billai aus HiUäja{t) erklären. Sogar wäre eine Hypothese, die sämtliche Präterita auf -ai als Analogiebildungen nach 'Sfäi, Maij dai und vielleicht noch einigen andern Mustern erklären wollte, nicht zu widerlegen. Eine solche Hypothese wäre aber ebensowenig zu beweisen; und die Annahme, dass ein Teil der Formen ebenso wie die ältesten Prä- sentia auf -ai und also auch wie der altindische Typus drarait gebildet sind, ist wenigstens ebenso w^ahrscheinlich. Schliesslich ist mit der schon sub 5 angedeuteten Mög-

150

lichkeit zu rechnen, dass ein Teil der Präterita auf -ai ohne Weiteres Präsensformen sind. Leider geht aus den Formen mit nichthaupttonigem -ai nicht hervor, ob dieses -ai, was seine Intonation betrifft, mit haupttonigem -äi oder -ai (s. S. 146 und Bem. 206) übereinstimmt.

Was das altpreussische Präteritum angeht, beschränke ich mich auf diese kurzen Bemerkungen. Das dürftige Material ermöglicht keine sichereren Schlüsse.

BEMERKUNGEN

BEMERKUNGEN.

1) Auch könnte man die von Torbiörnsson Die gemein- slavische Liquidametathese 1, 52, Le monde oriental 8, 119 gebrauchten Termini „Accent I" (lit. «^ , slav. fallender Ton) und „Accent II" (lit. ', slav. steigender Tonjanstatt „Zirkumflexus" bezw. „Akut" verwenden. Dieselben Namen wie ich verwendet Agrell (Intonation und Auslaut im Slav. ; Zur slav. Lautlehre; Slav. Lautstudien).

2) Das von ßerneker verzeichnete Partizip perjpists wäre besser weggelassen, denn im Texte fehlt das Zeichen ~. S. Trautmanns Ausgabe 69, 15 (= Berneker 75, 12).

3) Grikans „Simden", grikit „sündigen", grikenikan „Sün- der", — pomirit^ ermirit „dünken, ersinnen", ^ö»2/;>/*?^awi9 „Ge- danken", — switan „Welt", dilants „Arbeiter", dilniks „ds.", dilint „bewirken".

4) In diesem Zusammenhange verweist Berneker auf Brugmann Idg. Forsch. 5, 341. [So ist anstatt 311 zu lesen.]

5) Berneker schreibt unrichtig perträuki. S. Trautmanns Ausgabe 63, 22 (= Berneker 69, 21).

6) Der Text hat wsraui (Trautmann 53, 25).

7) S. Wiedemann Das litauische Präteritum 122, Traut- mann 289.

8) Die litauischen Präterita mit e haben bekanntlich stets dieselbe Intonation wne die zugehörigen Infinitive; s. Verf. Idg. Forsch. 34, 373. Ob hier bereits urbaltische Verhältnisse vorliegen, weiss ich nicht.

9) Das -?7 der beiden letzten Beispiele entstand aus unter dem Einfluss des vorhergehenden labialen Konso- nanten. S. das IL Kapitel.

10) Auch Endzelin Slav'ano-baltijskie et'udy 66 f. Fuss-

II

note bestreitet die Annahme eines Instrumentals "^semmen^ „weil das Auftreten eines (dem Deutschen fremden) prä- dikativen Instrumentals sehr befremden würde in der so stark verdeutschten Sprache des III. Katechismus, der im Allgemeinen eine Uebersetzung der einzelnen Wörter und nicht der vollständigen Sätze gibt, und der im Allgemeinen den Instrumental nicht kennt, sogar nicht nach der Prä- position 8en^\ Vollständig richtig! Weniger überzeugend ist Endzelins eigene Deutung von senime. Weil Endzelin nicht daran zweifelt, dass in der Mundart Wills jedes e zu l geworden sei, kann er nicht von urbalt. *ie^»i^ ausgehen. Er erklärt nun semme aus '^semmel. Dagegen spricht aber der Umstand, dass ein Wechsel von -e und -ei zwar in schwachtonigen Silben vorkommt {sfesse: stessei^telibe: iebhe'i^ loüse: boüsei^ asse: assei\ s. das IV. Kap.), aber in hauptto- nigen Silben nicht nachgewiesen ist. Wenn hhe „erat" mit hei „ds." identisch sein sollte, so ist das e dem schwachen Satzakzente zuzuschreiben. S. S. 22 f.

11) Endzelins Auffassung, dass -e für -^/ stehe, halte ich für unannehmbar; s. die vorige Bem.

12) Vgl. lett. 'use^ -use-s bei Bielenstein Die lettische Sprache 2, 185, 188, Bezzenberger Lettische Dialekt-Studien 73 Fussnote, Ueber die Sprache der preussischen Letten 69.

10) Zubaty führt als Beispiel bille an, also eine Form, wofür Bezzenberger den Ausgang 'ei(t) und nicht -eja{t) annimmt.

14) Eine grosse Anzahl der e-Präsentia hält Berneker für jüngere Analogiebildungen (S. 214). L^ns geht selbst- verständlich bloss seine Ansicht über den Ursprung des Typus, m. a. W. der ältesten nach diesem T^'pus flektie- renden Präsentia an.

15) Im Litauischen bildet bekanntlich -ä- sowohl Präsens- wie Präteritumstämme, -e- nur Präteritumstämme.

16) So ist für ilwlbvgüt zu lesen.

in

17) S. Porzezinskij Izvestija 1, 479, Doritsch Beiträge zur litauischen Dialektologie XCII f.

18) S, Bezzenberger riga^ 197 Fussnote.

19) S. auch Bezzenberger KZ. 41, 102.

20) Vgl, z. B. bei (1 x): bei (1 x) „war", tarn (8 x): taiü{a)s (8 x), täivan (4 x): tawan (5 x) „Vater", teikn [\ x): telkn (2 x) „schuf", täns (22 x): tans (30 x) „er", tennä, tannä (3 x): tenna (3 x) „sie", twaiä (1 x) „deine": 7naia {2 x) „meine", swaia (1 x) „seine". Vgl. in diesem Zusammen- hang Endzelins Urteil über Wills Akzentandeutungen: „er bezeichnete gelegentlich betonte Längen, wo er sie heraus- hörte, und das ist schliesslich kein Kunststück" (Archiv f. slav. Philologie 32, 282 f.).

21) Bei diesen und dergleichen Indikativ-Subjunktiv- formen wurde das Band mit der 3. Person auf -e so stark gefühlt, dass das -e- bewahrt blieb. Die Imperativformen eu-dlris „siehe an!" (: en-äyritwei^ lit. dyrUl)^ mijlis^ 1. milijs, PL milijti, seggitei {-ta), billitei, laukijti „suchet V {: Inf. luukil) s. Berneker 225, Bezzenberger KZ. 41, 113, Trautmann 283 sind im Grunde wohl mit den Indikativformen identisch ; weil hier der Zusammenhang mit den Formen auf -^schwächer empfunden wurde, konnte das e ungehindert dem lautgesetzlichen Uebergang in i unterliegen. Bisweilen kommen die i-Formen auch in indikativischer oder subjunk- tivischer Funktion vor; vgl. z. B. 61, 1 : kai ious sfawida?i quäitin Deiivas seggitei „das jr solchen willen Gottes thut".

22) Auch die Imperativformen haben lautgesetzliches i, ij. S. die vorige Bemerkung.

23) Der Infinitivstamm quoiü- wird durch den Optativ quoiiilai und das Partizip poquoiilton bewiesen.

24) Das war Bernekers Auffassung 214. Ebenso, jedenfalls was quoitä'. '^quoitlt^ stallä: «^«//i^ anbetrifft, Porzezinskij aaO. 138. S. auch Bezzenberger KZ. 41, 100 f., wo für hll/rr.

IV

billH Ablaut ä[i) : i angenommen wird ; dieser selbe Ablaut soll auch in lit. -o: -y-ü vorliegen; s. aaO. 102 und ausser- dem r^qa; 196 ff.

25) Die Stämme ima- und ime- werden im älteren Sla- vischen zusammen ein suppletives Verbalparadigma gebildet haben. S. dari'iber Meillet Rocznik Slawistyczny 6, 134 f.

26) Verbaltypen mit längeren und zusammengesetzten formativen Bestandteilen lasse ich ausser Betracht. Solche sind etwa die Zeitwörter auf -setl und -soti (s. Bezzenberger KZ, 41, 101) und diejenigen auf -«W/'i und lett. -i«^^, welches Formans bekanntlich dort auftritt, wo das Litauische -inti hat. Auch im Lit. kommen Verbalstämme auf -^'wo- vor, hauptsächlich im Prät.; s. Bezzenberger Beitr. z. Gesch. d. lit. Sprache 112 f., BB. 23, 306, KZ. 41, 97 f., Gaigalat Mitteil, der litauischen liter. Ges. 5, 120.

27) Bartholomae aaO. fasst den ^-^"i- Wechsel als einen Wechsel von ursprünglichen Langdiphthongen [ei bezw. äi) auf. Weil uns jetzt die Vorgeschichte dieser Stammesausgänge nicht angeht und ei, äi vor Konsonanten in den meisten Fällen bereits im Indogermanischen das i verloren haben werden, brauchen wir nicht zu untersuchen, ob B.'s Auffas- sung richtig ist.

28) Dasselbe dürfte für "^klause (klausemai) gelten. Leider wissen wir nicht, ob das Preussische daneben ein dem lit. klaüso entsprechendes "^klausä besessen hat.

29) Zu 2. und 3. s. S. 19.

30) Auch das in apr. iit, tiji, tit „also" enthaltene *^i hat man als einen Instrumental = got.^<^ aufgefasst (s. Traut- mann 449). Ich halte diese Annahme für hypothetischer als die im Texte für sie gegebene Erklärung. Möglich ist sie aber, und sie kann zugleicherzeit mit Meillets und meiner Auffassung von sie aufrecht erhalten werden; tit wüirde den im Inlaut lauto^esetzlichen Vokalismus haben.

31) S. Berneker 139 f., Trautmann 121 f., 134. Anders Endzelin Arohiv f. slav. Phil. 32, 292, der m. E. ohne ge- nügenden Grund hetteit und rekiau (NB. auch der Nomin. rekis kommt vor) als Fehler betrachtet. Dass bloss das ursprüngliche i, nicht auch das aus e entstandene i diphthon- giert worden ist, wird möglicherweise einem kleinen Laut- oder Intonationsunterschiede der beiden ^-Vokale zuzu- schreiben sein. Auch in II und Euch., wo e ohne jeden Zweifel zu i geworden ist, begegnet uns ei aus ursprüng- lichem i und nur aus diesem.

32) Soviel ich weiss, ist im Enchiridion ausser märtin^ tvaispattiu (s. S. 32) nur ein Akkusativ eines /^-Stammes überliefert, und zwar kratvian „Blut". Diese Form hat wohl 'ian anstatt -ien nach dem Nom. Sg. kraivia. Angesichts der Uebereinstinimung im Geschlechte zwischen Vokab. crauyo, Enchir. krawia und II mayiey krcßuwiey (Dativ Sing.) kommt es mir wahrscheinlich vor, dass das Wort für „Blut" im Altpreussischen stets als weiblicher /^-Stamm auftrat. Die männlichen bezw. sächlichen Pronominalformen 31, 26 [sen swaiäsmu . . krawia7t „mit seinem . . blut"), 49, 13 (krawian I kas perwans pralielton wirst „Blut | Das für euch ver- gossen wirdt"), 13, 28 (mayiey krceuwiey \ ha per wans prallten •wirst ) II), 7, 27 (maian krängen \ kha perwans palletan werst] I) halte ich fiir verfehlt (vgl. sta Bruivi \ kas 41, 19; s. S. 31). Allerdings könnte ka^ kha an den zwei letzten Stellen eine auch im lebendigen Sprachgebrauch für die drei Geschlech- ter gebrauchte Form sein : vgl. russ. Ho. Anders Traut- mann 236 f.

33) Auch vor Berneker waren von der Leskienschen abweichende Meinungen ausgesprochen worden. S. Bezzen- berger BB. 23, 304.

34) Eine Ausnahme macht Endzelin Slavano-baltijskie et'udy 181 ff. Die Meinungen Bernekers, Trautmanns und Brugmanns werden dort bekämpft und abgelehnt, und E. akzeptiert Leskiens Ansicht, dass apr. 7nien^ tien, sien = abg.

VI

me^ ie^ se seien. Soweit gehe ich mit Eadzelin zasammen; dann trennen sich unsere Wege. Während E. in dem ie \ on apr. mien^ tiea^ sien einen bloss graphischen Varianten von ;: erblickt, glaube ich wahrscheinlich machen zu können, dass der Ausgang -ien einen von dem sonst aus ^entstan- denen i etwas abweichenden Vokal hat.

35) Gemeint ist wohl „Buchstabengruppe". Zwei kleine Schreib- oder Druckfehler korrigierte ich im Texte: „wur- den" für „wurde", "^sen für "^seu-,

36) Neben mien, (21 X) kommt kein "^jtiin vor.

37) Ein paar Nominative auf -i gehören deryä-Flexion an; s. S. 32.

38) Unrichtiger weise hielt Leskien Die Bildung der Nomina im Litauischen 379 (229) f. die Verbalabstrakta auf -sennis für feminine ^Stämme: s. Trautmann 235.

39j Die Nominativendung -ei kam wohl nach Analogie von -ai\ neben -e auf, bevor dieser Ausgang sich in -l und -^ gespaltet hatte. Eine etwas andere Erklärung gibt Trautmann 231, wo auch die Literatur über diese Frage verzeichnet ist.

40) Das daneben vorkommende märian (1 X) hat wohl -an nach Analogie der ä-Stämme.

41) Die Nominative auf -ei werden ältere auf -^:, -l neben sich gehabt haben; vgl. ?/-?e?/^*rt neben ///(?/^*t^/ „Fleisch", deiindisku neben deiwidisJcai „Seligkeit". S. Bern. 39.

42) Es könnte der Gedanke auftauchen, ob nicht -ten auf lautgesetzlichem Wege aus -in enstanden sei; dann wäre das neben -ien vorkommende -in dem Einflüsse des Nomin, Sing, zuzuschreiben. Eine solche Vermutung kommt mir unannehmbar vor. Ich möchte hier auf den pronominalen Akkusativ din „ihn, sie" hinweisen, der je einmal in I und II und fiinfmal im Enchir. vorkommt (daneben einmal dien\ neben dem Akk. Plural ditis I und

I

VII

Euch, hat II diens, 1 X) und keinen Nomin. Sing, neben sich hat. Auch erinnere ich an den Gegensatz midien, semmien, geyvnen'. naktin in II.

43) Das Litauische hat bekanntHch^^r<^;V. Das Verhältnis von preuss. -ja7i (woraus -ien) zu Ht. -ji lässt sich mit dem- jenigen von pr. schlau, sckan, schien zu lit. szi^ vergleichen.

44) Neuwenen „neu" in II betrachte ich nicht als eine bestimmte Form ; s. Neophilologus 2 , 244 f.

45) Ausführlicher werden pirmannien, pa^isdaumannien usw. im IL Kapitel besprochen.

46) Trautmann nimmt wegen steises nierties 71, 33 weibliches Geschlecht an. Beweisend ist dieses steises absolut nicht. Ein weibliches stesses kommt zwar vor (69, 22 : stesses Crixtisuas „der Tauff"), aber 41, 24 ist ^^^i*^* eine sächliche Form {steises geijioas „des lebens"), und die vierte Stelle, wo ein Genitiv auf -es als Artikel vorkommt, ist fehlerhaft (73, 6: stesses prabiitskas \ Deng^iiskans labbans „der ewigen Himlischen Güter"). Und schisses kommt nur als männliche Form vor, sogar im Gegensatz zu einer weiblichen Form (wohl Dativ) auf -ai : 77, 13 f. schisses niaubilllntis N. „dieses noch unmündigen N."; im Rande: adder schissai

' nian billin tai {sie) .

47) Ausserdem kommt ein /e^-Stamm dmzius vor. Material findet man bei Sommer Die indogermanischen iä- und io-Stämme im Baltischen 277.

48) Bezzenberger Aufsätze Ernst Kuhn zum 70.

Geburtstage 7. IL 1916 gewidmet S. 262 id^^^i sündin, Gen. sündis und ynadlin als Formen der e-Deklination aaf. Trotz der aaO. herangezogenen Form sunde „Strafe" halte ich diese Deutung für sehr unsicher. S. Pauli Beiträge zur vergl. Sprachforschung 7 (1873), 184 f. Der Akkusativ auf -in anstatt -ien kann allerdings die Unrichtigkeit von Bez- zenbergers Annahme nicht beweisen; auch sonst kommt ja -in bei ^-Stämmen vor.

VIII

49) In dem Falle wäre tar'ui ein /«-Stamm, und der Ausgang -in wäre wie bei -sefi?un, idin usw. zu erklären. S. S. 35 f.

50) S. das V. Kapitel.

51) K^rmeneu, kernienen^ emnen haben bekanntlich ein junges, auf analogischem Wege entstandenes -en, S. im V. Kapitel.

52) Allerdings könnte das ü auch ein Druckfehler sein, wie oft angenommen wird.

53) Ein anorganisches auslautendes -t kommt auch sonst im II. Katechismus nach -ts vor: dapczi „gegeben" = Ench. dätSj lit. duta8\ enqiioi^tzt „begraben" = Ench. enkopts.

54) Auffällig sind die zahlreichen Partizipialformen, wie billiton „gesagt" usw.

55) Das von Berneker angeführte pro hat altes ä. Pra ist die häufigere Form. S. S. 51.

56) Enkopts dürfen wir nicht mit asmus „der achte" auf eine Linie stellen ; dieses hat in den drei Katechismen -us. Vielleicht ist asmus (: septmas, sepmas „der siebente") irgend- wie eine Neubildung und geht sein -us nicht auf lautge- setzlichem Wege auf -as zurück; vgl. pirmois; s. S. 47.

57) Die Wurzel lautet qäp-, mit 5-Vokalismus. S. Solm- sen Beiträge zur griechischen Wortforschung 1, 196 ff.

58) Dieses Wort kommt an drei Stellen vor: 39, 13 f. b/ie e/i pansdamonnien | kaden . . . „Vnd zu letzt | wenn . . .", 41, 1 f. prei Markon en payisadauynannien „Marci am Letzten", 41, 13: Marci en pansdauma7mie?i „Marci am letzten".

59) Uhlenbeck geht zu weit, wenn er die altpreussischen Formen einfach mit pmnq-ji identifiziert. Die preussische Artikelform würde im Litauischen ^jq lauten; vgl. schlau, schan, schien: lit. szt. und s. Bem. 43. Hieraus ergibt sich, dass wir im Preussischen nicht zwischen männlichen und weiblichen Formen zu unterscheiden brauchen. Uebri- gens glaube ich, dass Will öö, 35; 41, 2, 13 pirmonnien^

IX

pans{a)damna7mien als männliche oder sächliche Formen und nicht als Attribut zu einem verschwiegenen polasinsnan empfunden hat.

60) Für eine Erklärungshypothese s. Bezzenberger KZ. 41, 80.

61) Ueber das Verhältnis des halt, ö zum indogerma- nischen ö s. S. 53.

62) Später hat Berneker im Anschluss an Porzezinskij seine Ansicht über die altpreuss. Vertretung von ö etwas geändert; s. Archiv 25, 476, wo freilich dät nicht erwähnt wird.

63) Das einmal im Enchiridion vorkommende nuseiün „Geist" (neben häufigem nose'dis, -ien^ -in) kann kaum etwas anderes als ein Fehler sein; s. Trautmann 129, Bezzen- berger KZ. 44, 304.

64) Nu^ nu- wird von Endzelin Latysskie predlogi 1 (1905), 206 f. als eine in der Proklisis aus nn entstandene Form aufgefasst; und das wird wohl richtig sein: s. Zu- baty Indog. Forsch. Anz. 22, 60, Brugmann Grundriss2% 2, 799. Eine ähnliche proklitische Kürzung kommt auch sonst im Litauischen und Lettischen vor; s. Endzelin aaO., BB. 29, 320 f., KZ. 42, 375 f. Aus dem Altpreussischen ist uns eine ähnliche Erscheinung nicht bekannt.

^h) Das Enchiridion hat an der entsprechenden Stelle (35, 23) nosemien.

Q^) Das Enchir. hat an der entsprechenden Stelle nadangon. S. drei Zeilen höher im Texte.

67) Bezzenberger KZ. 44, 304 ändert nädewisln in uadewlsm und redet sogar von „nö und na'\ Insofern wird B. recht haben, als ?w trotz des Fehlens des Längezeichens langes

0 hat.

»

68) S. das Literaturverzeichnis bei Trautmann 128.

Die Entwicklung von ö zu lit. u wird von Mikkola Ur- slavische Grammatik 1, 51 noch stets nicht anerkannt.

69) Bei dieser Annahme verbieten lit. /?ö, pro es uns nicht, für pr. po, pra {pro) von urbalt. *7?ö, "^prö auszugehen.

70) F. Solmsen. Zur Geschichte des Dativs in den in- dogermanischen Sprachen. 1. Kyprisch jtFsiq^iko; und der indogermanische Dativ Singularis. KZ. 44, 161 197.

71) Endzelin versucht Lietuviu^ tauta 2, 284 ff. nach- zuweisen, dass jedes lit. -f^, auch im Auslaute, aus ei ent- standen sei. Ich halte das nicht für richtig. Wenn die preussischen Dative auf -ei nicht bestünden, wiirde ich wegen altbulg. ?mne, lebe, sehe fiir zem. munei^ sdvei idg. -ai annehmen.

72) Kurschat aaO. 230 verzeichnet bloss man, tdw, sdw. Die in Wiedemanns Handbuch der litauischen Sprache, in ßrugmanns Grundriss und auch sonst widerholt ange- führten Dative mdnei, tdvei, sdvei entspringen wohl einer und derselben Quelle. Diese Quelle wird wohl eine wissen- schaftliche Schrift und kein litauischer Text sein.

73) ainontsl 1 X, ainassei 2 X, maisei 1 X, schieise 1 X, steiseij stessei (-e, -i) usw. 52 X, swaisei [-e) 6 X, tennessei 1 X, twaisei (-<?) usw. 14 X. Ueber neainessa s. im V. Kap.

74) Auch ein nominal gebildeter Genitiv kommt vor: prei stessei supsas etnUtin „durch desselbigen gnade" (41, 20 f.). Ein nominal gebildeter Dativ ist wohl suhbai 35, 13: esseiennan subbai „von jhm selbs".

75) S. 65, Z. 8 f. und 10 begegnen uns swian subban hermenen „jre eigene Leibe" bezw. sivaian sMan niensan „sein eigen fleisch". Offenbar besass das Samländische für das deutsche Adjektiv „eigen" kein genau entsprechendes Aequivalent. Dieses deutsche Wort wird also einem Ueber- setzer wie Will, der im Allgemeinen ganz wörtlich über- setzte, grosse Schwierigkeiten bereitet haben. Vgl. ains^

XI

ter ains, die Will adverbiell gebraucht („allein"), z. B. 57, 20 f.: Tu seiti . . . poklusinan | ni ains stessei sündis 'paggan \ schlaiis digi ... „So seid . . . vnterthan | nicht allein vmb der straffe willen I sondern auch . . ." Wegen der iibrigen Beispiele s. Trautmanns Glossar.

76) Ueber stai, schai rede ich im VII. Kapitel, über die Personalendung -mai s. Verf. Archiv f. slav. Phil. 36, 111 ff., über -lai vgl. ausser Solmsen aaO. auch Endzelin Archiv 32, 295.

77) Bezzenberger KZ. 41, 124 möchte auch yjt'r^m (1 : 7, 5 Pergeis Uvais /a^^i;;?* „Zukomme dein Reich") hierherstellen. Was dellieis (Ench. ; 55, 26 stes deUieis stesmu „der theile . . .

I dem") anbetrifft, entscheidet er nicht, ob es ebenfalls hierhergehört oder verfehlt ist. Bezzenbergers Vermutung ist mir aus zwei Gründen sehr unwahrscheinlich: 1. weil hier das -s nicht an den Verbalstamm, sondern an den Imperativstamm (von indogermanischem Standpunkte Op- tativstamm) getreten ist, 2. weil der Wechsel -el\ -e, -l: Null absolut unbegreiflich wäre. Wenn Bezzenberger -sal, -sei, -6r, -si, -s als -st auffasst (S. 126), so sollte er uns doch erklären, weshalb das -e bisweilen in der Schrift ganz weggelassen wird. Die Infinitive auf -l, die er vergleicht, haben doch wohl urbaltisches -2^^", und daas ls-ra7tkU „ev\ÖQV\ per-klanUt „verdammt", is-maiünt „Yerloren^', em-ptyrint „ver- sammelt" dieselbe Endung haben, die sonst -tal oder -tei lautet, das wird kaum jemand Bezzenberger zuliebe an- nehmen.

78) Wenn das el des preussischen sigmatischen Optativs ausserhalb des Baltischen nicht vorkommt, so liegt die Vermutung nahe, dass es zunächst mit dem ei der als Imperativ fungierenden Optativformen weddeis, ideiti usw. identisch sei. Dann wäre aber die von Berneker 225 f., Trautmann 287 f., Solmsen aaO. 172 vertretene Ansicht, dass dieses ei von denjenigen Verben, wo ai (idg. oi) nach vorhergehendem i (/) zu ei geworden war, herübergenom-

XII

men sei, nicht länger haltbar (s. auch Bezzenberger KZ. 41, 120 ff.), und es wurde sich weiter die Möglichkeit ergeben, auch das -e von lit. te-suk^ aus -ei zu erklären ; s. Endzelin Lietuviu tauta 2, 289. Fiir den Auslaut Hesse sich viel- leicht die von Endzelin aaO. 284 ff. verfochtene Ansicht, dass das lit. c ausschliesslich auf ei zuriickgehe, aufrecht erhalten. Weil aber eine Formation auf lit. -c (> -?), und zwar der Dual der weiblichen ^>Stäinnie, von Endzelin noch nicht auf eine befriedigende Weise erklärt worden ist, und weil inlautendes r' in einigen Wörtern kaum etwas anderes als ein baltisches ai sein kann (was Endzelin S. 287 f. zu snhjas^ deveris, ve'uas bemerkt, hat mich gar nicht überzeugt), stehe ich der Endzelinschen Hypothese in ihrem vollen Umfange skeptisch gegenüber.

79) S. Endzelin Archiv 32, 295. Anders Bezzenberger KZ. 41, 123. Will hat wohl wörtlich aus dem Deutschen übersetzt. Auffällig ist allerdings po-stäsei. Sonst lautet das Präsens bekanntlich po-stänai usw.

80) Zufällig kommt von ski- keine 1. Pers. Sg. vor.

81) Sätuinei „sättigst" wird dieselbe Endung -ei haben, die auch in lit. ved).^ vede'-s vorliegt. Tübiinai „mehrst" ist formell eine 3. Pers. auf -ai oder es ist unter dem Einfluss der Formen der 3. Pers. auf -a, -«^ aus *^^^/;^^w^i entstanden. Ueber turei „hast, sollst" lässt sich wenig sagen; diese Form wird auch für die 3. Pers. Sg. PL gebraucht.

82) Auch I und II haben -ii, -ty und zwar an mehreren Stellen. Auch bei den Formen auff -a^^i, -aü^ die stets so und nie mit -^i^* oder -<? geschrieben werden, könnte man zweifeln, ob das -i aus -ei entstanden ist. Anderseits aber wäre auch ein bewahrt gebliebenes urbalt. -l angesichts der Infinitiv- endung -i aus -ti und der athematischen Formen der 3. Pers. (ast, däst; ebenfalls mit -t aus -ü) nicht weniger auffällig. Die Annahme, dass -as{s)i ein nach der 2. Pers. PL auf -ä/^ö ent- standenes -ase fortsetzt, ist möglich, aber sehr unsicher.

XIII

83) Für das altpreussische Sprachgefühl werden vmihai usw. und üai usw. eine und dieselbe Endung gehabt liaben. Ob die Ausgänge von Haus aus identisch sind, ist nicht sicher auszumachen. S. im VII. Kap.

84) 65, 7 hat der Enchiridiontext : hai stai Swlniai hou- sei I hhe niehmnütei „das sie [die Gemeinde] Heilig sey | vnd vnstrefflich". Der Nomin. Sing. Fem. niehwinütei ist ent- weder ein Fehler, oder (wie Solmsen 181 meint) eine Ana- logiebildung. Ersteres halte ich für wahrscheinlicher.

85) Die von Bezzenberger eingeklammerten Bemer- kungen lasse ich weg.

86) Vgl. nasewAniey (II; 13, 4) „auff erden": na semmei/ (I; 7, 6). Im Ench. kommt dieser Dativ nicht vor.

87) Uhlenbeck hat Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 21. 103 f. das pr. gewinna anders erklärt und zwar als eine Entlehnung aus d. geiinnnen,

'^'^) Theoretisch wäre die Annahme eines idg. Optativ- formans -ei- neben -o'i- sehr gut möglich. Ein paar preus- sische Formen geben uns aber nicht die Freiheit, zu glauben, dass ein solches Formans wirklich existiert hat.

89) Ich erblicke im lit. e die Fortsetzung sowohl von ai (idg. ai, Ol) wie von ei. Das wird wohl die Ansicht der meisten Forscher sein. Endzelin hat Izvestija 12, 1, 40 fF., Lietuviu^ tauta 2, 284 ff. nachzuweisen versucht, dass dem e ausschliesslich ei zugrunde liege. Ich halte seine Ausführungen nicht für beweisend (s. Bem. 78). Auch das altpreussische Material spricht gegen Endzelins An- nahme: ains „ein", maiggun „Schlaf", lüaispatün ^^Yxd.xx'^ ww^ die im Elb. Vok. vorkommenden Wörter snaygis „Schnee", aysm'u „Spiess", slayx „Regenwurm", ;?/^^/2i5 „Stahl" machen auch für lit. ve'nas^ mP,gas^ vhzpats, -paii, sjiPgas, Pszm.as, slPkas, plPnas alten ö!/-Vokalismus im höchsten Grade wahrscheinlich.

90) Etwas vorsichtiger drückte B. sich BB. 23, 299 aus: „Die annähme, dass der Übergang von ei^ ai in /'erst nach

XIV

der trennung des Lit. -Lettischen vom Preussischen statt- gefunden habe, liegt nahe Aber ich kann mich doch

des verdachtes nicht erwehren, dass bereits im Urbal- tischen el und ai innerhalb gewisser grenzen monophthon- gisch gesprochen wurden, und dass diese monophthonge im Preussischen im allgemeinen ähnlich behandelt sind, wie t im Zemaitischen". KZ. 41, 123 lesen wir; „. . . . wenn man mit mir annimmt, dass das Preussische in einer friiheren Zeit das litauisch-lettische c besessen hat".

91) Die weibliche Dativform auf -v fehlt bei Leskien. Ich füge sie hinzu, weil auch beim Paradigma von deiws die beiden Dativformen angeführt werden. Andere Neben- formen, wie den Nom. Sg. Fem. auf ~ai, lasse ich weg. Im Anschluss an Leskien schreibe ich gena usw. mit einem n\ das w der Quellen behalte ich bei. Ich halte es nicht für nötig, die zufällig bei den als Beispiele gewählten Wörtern nicht belegten Kasus zu besternen.

92) Der Genitiv ^^Y^^sist enthalten in 5^/^«*^/^«^' „Seiden- schleier", wofür silkas ämnhls gelesen wird. S. Trautmann 426 und die dort verzeichnete Literatur.

93) Das bedeutet wohl: innerhalb des Baltischen.

94) Auf die schwierige Frage, wie der Zirkumflexus von lit. -^/, slav. -^/, urbaltoslav. -am zu erklären ist, gehe ich jetzt nicht ein. Gr. ^e«r, got. (j'iha setzen idg. Akutus voraus. Nicht weniger schwierig ist es, die grundver- schiedene Behandlung von -üni und 'öili (> -i^ bezw. -?/) im Slavischen zu erklären.

95) Einmal kommt in II die Form r/ad^c^'/^ „gegeben" vor. Weil das ^-artige a in II durch e oder ce bezeichnet wird, glaube ich, das ae vielmehr gedehnte als palatale Aussprache andeutet. Ebenso üaey^ pallapsaey'l

96) Die Akkusative dinckun „Dank", malggun „Schlaf, packu7i „Friede", crixt'iänishin „Christenheit", kailüstisl-uu „Gesundheit", alle im Ench., und pattiniskmi „Ehe", per-

XV

ronisco7i (o < u) „Gemeinde^' in I haben wohl -im nach der Proportion: Nom. maddla usw.: Akk. maillan w^v^'. ^^dhicku usw.: X. S. Trautmann 226. Bei den Nomina auf -i.v/('w kam noch der EinÜuss des Dat.-Instr. auf -u (s. im VI. Kap.) hinzu.

97) Vgl. -an {-ev) aus -an. Offenbar ist hier die Ki'irzung eingetreten, bevor ä nach Labialen und Gutturalen zu ?/, 0 geworden war. Das kommt mir wahrscheinlicher vor als die Vermutung De Saussures, dass ä vor tautosyllabischen Konsonanten unverändert geblieben sei. Eine spätere Kür- zung — wenn hier überhaupt Kürzung anzunehmen ist dürfte in läiku u. dgl. vorliegen.

98) Bezzenberger hat Altpreuss. Monatsschrift 16, 503 f. plausibel gemacht, dass die Verse Eraina muhinsnsin swaian muklnsnan | TU wirst labhai staUiuyis e?istan huttan jambisch zu lesen sind. Swaiaii hat hier wohl eine von der gewöhn- lichen abweichende Betonung, was bekanntlich bei relativ schwachtonigen Wörtern sogar bei grossen Dichtern vor- kommt. Bezzenberger hielt aaO. die Endbetonung für regelmässig, wobei er auf aind. svaydm hinwies.

99) Ausser der konsonantischen Deklination; s. S. 75 ,und Bem. 104.

100) Bezzenberger BB. 23, 302 hielt es fiir möglich, dass schissai uiauhillintai „dieser noch vnmiindigen" und däiai „der Gabe" Genitive sein sollten : die Formen stehen ja im Texte Wills auf einer Linie mit schisses mauUllinüs bezw. etnutis. Weil aber ein Genitiv auf -al schwer zu erklären wäre und das Gefühl für syntaktische Symmetrie bei Will überhaupt schwach entwickelt war, fasse ich diese Formen auf -ai lieber als Dative auf.

101) S. das oben mitgeteilte Material; für die a- und ä-Stämme s. Trautmann 216 und 225.

102) Wegen tiierties s. S. 80.

103) Wenn für sounons in II sounus zu lesen wäre, so

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würde eine mit sunos in I identische Form vorliegen. Wenn die Konjektur soinws richtig ist, so werden wir -os nach dem Akkusativ auf -on erklären müssen. Vor -n war das 0 lautgesetzlich aus u entstanden.

104) Die Tatsache, dass das e von kermenes nicht ge- schwunden ist wie z. B. das a von '^deiwas > deiws, "^tanas > täns, ta7i^, weist darauf hin, dass die Ox^^tonierung hier bis in die historische Periode der preussischen Sprache oder wenigstens bis kurz vor derselben bewahrt geblieben ist.

105) Die Anfangbetonung sämtlicher Akkusative dürfte urbaltisch sein: vgl. lit. mergq^ mnu^ apr. mergan,soüno7i. Absichtlich wähle ich solche Beispiele, die im Litauischen wechselnde Betonung haben, ra. a. W. in einem Teil der Kasus die Endungen betonen. Was die m. und n. ö-Stämme betrifft, so kennt das Litauische für den Singular nur einen Betonungstypus, und zwar den barytonierten (erst infolge der Wirkung von De Saussures Gesetz fand eine Differenzierung statt), und das Altpreussische gestattet uns, diese ausnahmslose Barytonesis für urbaltisch zu halten.

106) S. auch S. 41.

107) lieyhjen in II wird ein ähnliches e aus a haben, wie im Dialekt dieses Katechismus so oft vorkommt (vgl. fiten^ aynen^ sacramenteii)\ I hat reh'ian. Für tatvischen (I), tauv'i/scheu (II), tawis{ch)en (Ench.) werden wir vielmehr Palatalisierung durch den vorhergehenden palatalen Kon- sonanten annehmen müssen. Der Genitiv lautet in I tan-i- sc//is (2 X), in II iauioyschls^ tamoyschies (je 1 X).

108) Wenn das ie diphthongisch war, so wird diese Aussprache die Kürzung vor -n (vgl. gennan aus '^genän) unmöglich gemacht und daher den Gegensatz gemunv. sem- mim bewirkt haben.

109) S. auch Endzelin Slav'ano-baltijskie et'udy 61 f. Fussnote.

110) Die etymologische Orthographie wäre rßw^/-/, *??;^«^f.

I

I

XVTI

S. Hujer Slovanskä deklinace jmenna 158 f. und die daselbst zitierte Literatur. Wie ich aus einer Bemerkung Porzezin- skijs Zurnal ministerstva narodnago prosve'scenija Dez. 1914 S. 75 ersehe, hat Fortunatov bereits im Anhang zu seiner Dissertation S. 31 f. in der Instrumentalendung einen ursprüngUchen Nasalvokal erblickt.

111) Die übrigen von Bezzenberger und Trautmann zitierten Formen auf -an ohne Längezeichen können formell ebensogut Akkusative wie Instruaientale sein. Bezzenberger BB. 23, 304 führt noch sen schlusien an, das ein Akkusativ sein kann, und se7i Gulsennien^ das es sein muss: denn die Wörter auf -sennis sind Maskulina; s. Trautmann 235.

112) Früher hatte Bezzenberger sich skeptischer über den apreuss. Instrumental geäussert; s. Altpreuss. Monats- schrift 15, 271.

113) So bereits Scherer Zur Geschichte der deutschen Sprache 1 292, "^17. Leskiens Einwand Die Decl. im Sl.- Lit. und Germ. 59, dass die pronominalen Dative stesmu, kasmu sich dieser Auffassung widersetzen, trifft nicht zu. S. S. 87 ff.

114) Auch an. feim, ags. "^ce'm können keine Dativformen sein; s. u. A. Streitberg aaO. 270, Brugmann aaO. 2'% 2, 365.

115) Abgesehen von vereinzelten Fällen wie stes7na^ die wohl verfehlt sind.

116) Die Zeichen ' und "* bezeichnen hier die Intonation, nicht die Stelle des Akzentes.

117) Sommers Ausführungen Kritische Erläuterungen zur lateinischen Laut- und Formenlehre 106 sind bloss in ihrem ersten, negativen Teile richtig.

118) Trautmann führt auch Literatur an, sein Ver- zeichnis ist aber nicht vollständig. S. im Texte.

119) Wenn ich hier für das Urlitauische und Urzemai- tische das Zeichen ü verwende, so will ich damit nicht

XVIII

behaupten, dass der durch dieses Zeichen vorgestellte Laut genau denselben Klang gehabt hat wie das schriftUtauische n.

120) S. Bern. 116.

121) Auch got. ja])])e „und wenn" enthält den Instru- mental ])e.

122) S. Verfasser Indogerm. Forsch. 22, 264 f. und die daselbst zitierte Literatur.

123) Wir müssten dann für kn ein zirkumflektiertes idg. 0 annehmen und es etwa mit as. hwo^ huo^ ahd. icuo, ndl. hoe „wie?" identifizieren. Das ist die Meinung Traut- manns, wenn ich seine Zusammenstellungen auf S. 267 richtig verstehe. Was soll aber "^cpo sein? Doch nicht etwa der J. Schmidtsche Dativ auf -ö? Auch von -od dürfen wir nicht ausgehen; denn ein idg. "^(pod liegt in lit. ko vor.

124) Wie das zweite Glied von kuilgimai, stu ilgimi, kudes- natnmi, kodesnimma aufzufassen ist, entscheide ich nicht. Traut- mann 250 liest für -ammi -imma und fasst -a als idg. -od auf; -imi soll ein von den ja- und e-Stämmen auf die a- Stämme übertragenes -i haben; -a'i gibt T. zu keiner be- sondern Bemerkung Anlass. Also dreierlei Adverbialfor- mationen von einem Stamm auf -i;;^a- ! Berneker 210 möchte das -m- zum Kasussuffix rechnen; aber auch dann bleibt das gegenseitige Verhältnis der Ausgänge dunkel.

125) Vorsichtiger bespricht Berneker 164 die Frage vom preuss. sj. S. auch Berneker 261.

126) Stessie = stessiei; vgl. s/eise, tehhe neben steiseiy tehbei u. dgl.; s. oben S. 56 und Berneker 201. Trautmanns Konjektur (263) stessei für stessie ist vollständig iiberflüssig.

127) Ausserdem kommen sfesses, steises noch je 1 X als Gen. Sing. Neutr. bezw. Gen. Plural vor, ebenfalls mit der Funktion eines Artikels.

128) Schostro „Schwester" bei Grünau hat s {seh) aus

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dem .9-artigen polnischen s' (vor Vokal .vi geschrieben: siostra).

129) Vielleicht mouilliert, also /'.

130) Weiter ergibt sich, dass der Genitiv Sg. M. und N. stessei^ stesse, steisei, steisei, s/eise, steise, steisi, der sowohl als Artikel wie als Pronomen sehr oft vorkommt und stets mit -sei {-se, -si,), nie mit -siet (sie) geschrieben wird, un- möglich idg. sj haben kann. S. S. 58 f.

131) Natürlich dürfen Formen wie loargasmM^ wismu, emprikisenüsmu ausser Betracht bleiben. Sie haben ein prono- minales Bildungselement -sm-] die Endung -u gibt zu keinen Bemerkungen Anlass.

132) Berneker fasste nautei, mattei und auch die Formen auf -iki als Neubildungen nach andern Klassen auf. Wenn er auf den Gedanken gekommen wäre, dass nautei, mattei einen bereits indogerm. Ausgang -ei haben (s. oben S. 57 f.), hätte er wohl auch für -iki diesen Ausgang angenommen.

133) Der Nominativ Sing, preisih^ -ich ist belegt.

134) S. noch Hujer Slovanskä deklinace jmennä 124.

135) Mit swintickens für etwaiges "^siviiitickins liesse sich teckint neben tickint „machen" vergleichen.

136) „on sait en effet que les nominatifs pluriels litu- aniens tels que vilkal sont des pluriels neutres comparables ä lat. loca en face de locus\ c'est ce que montrent l'accen- tuation sur la finale et la gen6ralisation de la regle

Q(an igelst'

137) Noch in einem andern Punkte hat Endzelin aaO. 139 Meillet bekämpft, und zwar nach meinem Dafürhalten mit vollem Rechte. Im 10. Bande der Indogerm. Forsch. S. 48 ff. hatte Hirt die Kurschatschen Akzentschemata la und IIa [dBvas: PL dcvai, kelmas: PI. kelmat) auf indo- germanische Paradigmata mit anfangbetontem Singular und endbetontem, auf -i ausgehendem Plural zurückgeführt.

XX

Eine ähnliche Auffassung hat Meillet Mem. Soc. Ling. 15, 73 (s. die vorige Bern.) ausgesprochen und gegen ihn wendet sich Endzelin, der selber im Typus dPvas\ devdl^iQ Fortsetzung der indogerm. Oxytona erblickt, wobei auf aind. dp^vd-s verwiesen wird. Meillet bekämpft diese Ansicht Endzelins wieder Mem. Soc. Ling. 19, 81 f.: „II est arbi-

traire de dire, comme le fait M. Endzelin , que lit.

dc'väi (cf. skr. devdk)^ kotal representent d'anciens themes oxytons; tres peu d'exemples viennent ä l'appui; et les exemples contraires ne manquent pas, ainsi sapnal en face de skr. svdpnah, v.-isl. suefii et meme de gr. vnro;\ vilkäi en face de skr. vrkak, got. wulfs: varnäi en face du genitif r. v6ro?m, s. vräna] etc.; et l'on ne voit pas pourquoi, seul, le nominatif pluriel aurait conserve l'ancienne oxytonaison, en regard du singulier Jcotas et du duel kotu.''^ Auf diesem Wege kommen wir nicht zum Ziele ! Eine Vergleichung desjenigen Teiles der litauischen ö!-Stärame, der in andern indogermanischen Sprachzweigen wiederkehrt, mit ihren indischen, griechischen, germanischen, slavischen Aequiva- lenten führt verschiedene Forscher zu verschiedenen Kon- klusionen. Dariiber brauchen wir uns nicht zu wundern : denn die Brücke, die den baltischen Wortakzent mit dem indogermanischen verbinden soll, ist noch immer nicht geschlagen worden ; sogar ist das Verhältnis der baltischen Betonung zur slavischen in vielen Fällen vollständig dunkel. Wir werden also einen andern Weg einschlagen müssen.

Bekanntlich sind sämtliche Singularkasus der ö^-Stämme im Litauischen barytoniert, wenn wir jedenfalls die der Wirkung von De Saussures Gesetz vorangehende Periode ins Auge fassen. Im Indogermanischen gab es auch Oxytona, diese sind aber im Litauischen mit den Barytona in eine Klasse zusammengefallen, wenigstens im Singular. Bloss eine Kategorie von a-Stämmen hat, glaube ich, den alten Unterschied zwischen Ox3^tona und Barytona jedenfalls in einem Kasus bewahrt, und zwar die /«-Stämme mit einem Nom. Sing, auf -is, -ys\ während beris auf '^b'erijas

XXI

zurückgeht, setzt zehrjjs eine ältere Form "^zebrljas voraus, die wohl aus -^zebrijas entstanden ist zur selben Zeit als alle Oxytona auf -as zu Barytona wurden. [S. zu den Nomina auf -is, -i/s Sommer Die indogermanischen iä- und iö-Stämme im Baltischen 224 ff. und die dasell)st zitierte Literatur.] Nun haben bekanntlich die Substantive auf -is einen bary- tonierten, diejenigen auf -ys einen endbetonten Nominativ Plural: berlai, zebrlm] m. a. W. die alten Oxytona haben 'iaZj die alten Barytona ~lai^ ^iai. Dann werden wir aber auch in cWvas: cU'väl, kelmas: kelmai die Kategorie der alten Oxytona, in rälas: rätal^ ültas: ültai diejenige der alten Barytona sehen müssen. Endzelin wird also Meillet gegen- über recht haben. S. auch Büga Aistiski studijai S. 40 f. In diesem Zusammenhange möchte ich noch bemerken, dass man sich von der Rolle, die der Akzentwechsel zwischen Neutrum Singular und Neutrum Plural im Indogermanischen gespielt hat, keine übertriebene Vorstellung machen soll. S. Kul'bakin Izve'stija 11, 4, 257 f., Verf. Archiv f. slav. Philologie 37, 44 ff.

138) Die Form malnijkiku hat Meillet offenbar gänzlich übersehen.

139) S. auch Mem. Soc. Ling. 19, 191. Wenn Meillet hier in dem Nominativ Plural Mask. der Partizipien {sukä^ usw.), der kaum etwas anderes als eine sächliche Form sein kann, eine neue Stütze für seine Theorie erblickt, so ist das zwar eine sehr scharfsinnige Bemerkung, aber den Tatsachen der altpreussischen Grammatik gegenüber hat sie keine Beweiskraft.

140) S. Leskien Die Bildung der Nomina im Litauischen 365 (215).

141) Auch der altlitauische Genitiv Plural ikru wird wohl zu einem Maskulinum ^ikras gehören.

142) Vgl. poln. rece „die Hände", aber ?^ö^^ „die Füsse", giowy „die Köpfe" usw.

XXII

*

143) Auch die dritte Möglichkeit, dass ein Teil männ- lich, ein Teil weiblich ist, ist nicht zu leugnen.

144) 63, 29 f. : stai tvirst boüuns aina mensas „sie werden sein ein Fleisch".

145) 41, 10: stai toirdai hhe preibillisnai „die Wort vnnd Verheyssunge". 41, 12 {stai wirdai hhe) preibilllsnä muss ver- fehlt sein.

146) S. auch Bern. 150.

147) S. Trautmann 216. Ob das dort verzeichnete hut- ianiäws „Hausvater" ein sächliches hnitan beweisen kann, bezweifle ich. Es kommen daneben vor : lutia tawas, hutte taivas^ hutti tätos, hutfastaivs (Gen. Sg. hnttas). Eher dürfte 37, 13 ein neutraler Nominativ buttan vorliegen ; dieses buttan kann aber auch Akkusativ sein.

148) Solmsen meinte KZ. 44, 185: „Niemand wird die litauischen Nom. PI. Masc. auf -ai von den preussischen auf -ai trennen wollen".

149) Es ist nicht ganz sicher, dass diese lit. Formen -e aus idg. -oi, urbalt. -ai haben. Diese Endung war gewiss die ursprüngliche. Es könnte aber im Litauischen an ihre Stelle ein auf analogischem Wege aufgekommenes -ei ge- treten sein. S. Endzelin Lietuviu^ tauta 2, 289. Mir ist das nicht wahrscheinlich. Apr. stai wird auf jeden Fall urbalt. -ai < idg. -oi haben. Dass stai nach waikai {= lit. vaikat) u. dgl. entstanden sein sollte, kommt mir unan- nehmbar vor.

150) In diesem Falle würden die weiblichen Plurale gennai usw. nach dem weiblichen Nom. PI. stai gebildet sein. Dieses stai selber ist auf jeden Fall eine erst auf preussischem Boden nach der Analogie des Maskulinum entstandene Form; s. S. 105 über gennai usw.

151) Natiirlich ist es nicht stricte zu beweisen, dass der Untergang der Formen für die 3. Person Dual und Plural

xxriii

auf das Urbaltische zurückgeht. Auf jeden Fall aber zeigt das samländische Material, dass in dieser Mundart der Schwund dieser Personalformen älter ist als der Untergang der neutralen Deklination mit ihren speziellen Formen für den Nom.-Akk. Sing, und Plural. Dann diirfen wir aber auch für das Litauische kaum einen direkten Zusammen- hang zwischen diesen beiden Erscheinungen vermuten.

152) Den Akutus von szüU schreibt Zubaty wohl richtig dem interjektioneilen Gebrauche dieser Form za.

153) In einem Aufsatze, der in den Indogermanischen Forschungen erscheinen wird, hoffe ich nachzuweisen, dass die Akzentverschiebung nach dem Gesetze De Saus- sures nicht auf die baltoslavische Periode zurückgeht, dass also Fälle wie lit. ranJca: rankq. = tuss. rukd: ruku auf blossem Parallelismus beruhen.

154) Kul'bakin hat offenbar den von mir zitierten Auf- satz Meillets iibersehen.

155) Trautmann meint, es sei bisweilen „noch fühlbar, dass in dem -ts ein Pronomen steckt" (273). Die Beispiele Trautmanns sind aber so wenig zahlreich und der prono- minale Wert des Suffixes -ts ist so schwach fiihlbar, dass Zweifel an die Richtigkeit von Trautmanns Beobachtung gerechtfertigt ist.

156) S. S. 120. Das Fortleben des Stammes *i- (Ht. jls hat sekundäres ;!) nur in der Enklisis lässt sich mit dem enklitischen Gebrauche von ^tas > -ts vergleichen.

157) Berneker Die preussische Sprache 202: „tä?is „eY^\ tennä „sie". Eine Weiterbildung des Pronominalstamms "^tejto- mit -710-j wie sie der Pronominalstamm *ö- in lit. anas erfahren hat, und der Stamm ho- in dor. aijvog^ an. kann „er" aus urnord. "^JianaRr

158) Der Nominativ avzöq bedeutet bekanntlich „selber".

159) S. Brugmann Die Demonstrativpronomina 54, Grundriss 2 % 2, 391, oben S. 11 J.

XXIV

160) Es ist dies die sogenannte fünfte Ausgabe der litauischen Bibel. Der Text geht zurück auf die von L. J. Rhesac.s. in den Jahren 1810 '16 bearbeitete Redaktion der Bibel von 1734/5.

161) S. S. 122 ff.

162) Weil das Preussische und das Litauische nicht die- selben Kasusausgänge haben, führe ich die Stammform an.

163) Bekanntlich kommen pronominale Genitive Plural sehr oft mit Singularbedeutung vor: stelson neben stessei usw. Bei keinem andern Pronomen werden die Formen auf -S071 so oft für den Singular gebraucht wie bei to«, iäns. Nur einmal kommt tennessei vor, und zwar im Enchi- ridion [na tennessei imllaiinans „nach seinen Geboten"), sonst im Ench. stets tennelson^ tenneison^ in I tanassen (1 X), in II tancessen (1 X). Diese Formen auf -en sind auffällig. Wenn wir daran denken, dass „unser" in II achtmal nouson und nie anders, in I fi'mfmal nuson^ einmal nusun^ einmal nusa7iy einmal nusen lautet, während tanassen^ tancBssen an der einzigen Stelle wo es vorkommt in den beiden Katechismen auf -en ausgeht, so ist die Frage berechtigt, ob dieses tanassen^ tanassen formell vielleicht etwas anderes ist als ein Genitiv Plural. Ich halte das nicht für unmöglich: ich glaube, dass es ein vom Genitiv Singular aus gebildetes Pronomen possessivum sein kann. Bekanntlich liegt auch dem possessiven Fürworte der 1. und 2. Person Plural der Genitiv des Pron. pers. zugrunde; vgl. auch das zum russischen Genitiv Plural ich gebildete Ichuij. Das preussi- sche Jcatanassen asch^ katancessen hest übersetzt das deutsche „was sein (seyn) ist" ; die Uebersetzer dürften hier sein (seyn) als possessives Pronomen aufgefasst haben. Das einzige, was bei dieser Auffassung auffällig bleibt, das ist der Aus- laut -en in I. In II kommt -en für -an widerholt vor; in I ist ein solches -en sehr selten, aber es gibt jedenfalls ein paar Fälle, und zwar ausser nusen [yusen rickis „Vnser herr"; daneben einmal nusan; ^on^t nusnn wudi Qinxndl nusun)

XXV

iungkfrawen „Jungfrau" (: II ju7igprawan, Ench. 3 X ium,- prawan), und wohl auch heUe7i [pho stan betten eden „nach dem Abend mal"); dieses letzte Beispiel ist deshalb un- sicher, weil dem Gen. bltas des Ench. in I und II bieüs bezw. hijtis gegenüberstehen. Die Form tenneison, tenneison^ die im Enchir. 12 X mit Singularbedeutung gebraucht wird, kann kaum etwas anderes als ein Genitiv sein : man denke an die widerholt vorkommende Verbindung mit paggan (vgl. stesse paggan „darum").

164) S. Solmsen aaO. Fussnote 2. Die dort für das Be- wahrtbleiben von ai gegebene Erklärung kommt mir wenig natürlich vor.

165) Den Nom. Plural hält Meillet unrichtigerweise für eine „Innovation du prussien".

166) Ausserdem wurden die Adjektive direkt oder in- direkt durch *^i beeinflusst. S. S. 62.

167) 48, 2, 24; 49, 29; 51, 26; 56, 22; 58, 15, 27; 59, 27; 60, 9; 64, 28; m, 19 (2 X), 20, 21; 71, 15; 75, 7; 83, 21, 29; 87, 16 f.; 90, 24; 91, 11; 97, 24; 98, 17; 100, 17; 102, 7 f.; 104, 16, 19, 20; 105, 28; 106, 24.

168) Aus Doritsch Beiträge z. lit. Dialektologie § 168 und § 204 (S. CXT und CXXXIIi) geht hervor, dass zu der altmemeler Mundart der ältesten litauischen Sprach- denkmäler die heutigen Dialekte von Klooschen-Bartel und Rund-Goerge mit ihrem Nom. Plur. ane, ane „sie" genau stimmen. Dass die Form miis^ anis, welche Doritsch aus einigen ostlitauischen Mundarten aufgezeichnet hat, ein Nomin. Plur. ist, ist Doritsch selber entgangen; es geht aber aus den von ihm publizierten Texten klar hervor (s. S. 70, 11; 73, 7: änis hiivo tavdriscei] 73, 35; anis jeme ddvities ferpu sdvi).

169) Diese Betonung dürfen wir wegen des bei Dauksza widerholt vorkommenden d7Üs ansetzen.

XXVI

170) Abgesehen von patys. Merkwürdige Formen sind die zemaitischen und nordlitauischen partizipialen Nomi- native Plur. jojamis^ noredanüs. Insofern gehen sie uns nicht direkt an, als wir sie auf keinen Fall als die Prototypen , nach welchen äu)/s gebildet wurde, ansehen diirfen. Sind vielleicht umgekehrt diese Partizipialkasus nach änys oder *y* gebildet? Es kommt mir wahrscheinlicher vor, dass-ßwi*, -damis [-ijs] unter dem Einfluss von esantis {-ys) u. dgl. ent- standen sind. Solche Formen (die durch Uebertritt in die i-Deklination zu erklären sind und also mit szlrdys, daniys, dial. moierya auf einer Linie stehen) werden von Klein (s. Bezzenberger Beiträge z. Gesch. d. lit. Spr. 158) und Kur- schat Gramm. 302 der Memeler Mundart zugewiesen (vgl. Doritsch aaO. CXXXIV f.; Ma. von Rund-Goerge bei Memel), früher aber haben sie auch in andern Gegenden bestanden ; vgl. Bezzenberger aaO. 158 f. Ich habe nicht untersucht, inwiefern das noch jetzt der Fall ist. Das Neben- einander von -antys, -intys und -anti^ -intl (Rund-Goerge turentes neben turente; vgl. schriftlit. sukanU'ji bei Kurschat aaO. 293) kann leicht neben -ami^ -dami {-e-ji, -es) ein sekundäres -amys, -damys hervorgerufen haben.

171) Dauksza schreibt oft dnis, ebenso pdtis, dwis, dkis usw., widerholt auch ohne Akzentzeichen. Zahlreiche Beispiele kommen Post. Cath. ed. Wolter 273 ff. vor. Der Haken unter dem l wird hier keine Nasalierung bezeich- nen, sondern einfach gebraucht werden um dieses i von demjenigen des Nomin. Sing, und Akk. Plur. zu unter- scheiden. Ebenso wird oft ^uj „ihr, vos" geschrieben, wohl zur Unterscheidung vom Akkusativ. Es kommen ab und zu Druckfehler vor; so steht 276, 2S aivis SLUsid^tt awis (Akk. PL). Bekanntlich gibt es einen Vokal, und zwar e, bei welchem der Haken nie die Nasalierung bezeichnet, sondern stets das Vokaltimbre. Wer diese Auffassung von dnis usw. und J7i^s nicht akzeptiert, der nimmt am besten sekun- däre Nasalierung der von Haus aus oralen Vokale an:

XXVII

vgl. wens für mes u. dgl., worüber Bezzenberger BB. 9, 31 if. zu vergleichen ist.

172) Das ist nicht wahrscheinlich. Dort wo das Sprach- gefühl einen vom Indikativ verschiedenen Potentialitäts- modus verlangte, wurde offenbar der sogenannte Optativ verwendet.

173) Vgl. etwa 22, 15 ff.: Wir sollen Gott lieben |

das wir bey seinem Namen nicht Fluchen | Schweren | Zeubern | Liegen oder triegen | Sondern den selben . . . Anruffen | Beten | Loben vnd dancken.

174) Nicht in allen Fällen sind die Forscher in der Beurteilung der einzelnen Bildungen einig; s. Bezzen- berger aaO. 41, 119 f., Trautmann 287.

175) Es ist hier von turriti „habet!", seggUei ,,i\xiV\ endiris „sieh!" 7nilijü „liebt!", kircUjti „hört!", hiUUei „sprecht!", lauhijü „sucht!" die Rede. Auf keinen Fall sind es Optative. Fmdirisi^i eine Injunktivform, und was die Plurale auf-^^, •tei anbetrifft, so macht es wenig aus, ob wir den Namen Indikativ oder Injunktiv dafiir wählen. Die Endung -iei^ -te, ist eine Neubildung des Preussischen bezw. (falls für von 'ie auszugehen ist) des Urbaltischen; s. S. 61; es ist also weder eine primäre noch eine sekundäre indo- germanische Endung. Wir begegnen ihr bei allen Modis. Die Pluralformen des Imperativs bildeten für das Sprach- gefühl der alten Preussen mit den Singularformen ein Paradigma, anderseits aber werden Indikativ- und Im- perativformen nicht stets auseinandergehalten: vgl 61, 1 : hai ious . . . seggUei „das jr . . . thut", 63, 12 f. : hhe kai ious segijiei „auff das jr thut". Ueber das Verhält- nis vor seggeti zu seggUei s. Bem. 21.

176) Auch Nesselmann hatte sich Die Sprache der alten Preussen 69 76 auf den Boden der altpreussischen Sprache gestellt. Obgleich er Tempora und Modi durch- einander behandelt und ein grosser Teil seiner Ansichten

XXVIII

vollständig veraltet ist, gebiihrt seiuer Auffassung des Modussystems der Vorzug vor der Trautmannschen.

177) Dass der preussische Text den daneben gedruckten deutschen Text nicht wörtlich iibersetzt, ist für unsern Zweck von keiner Bedeutung.

178) Vgl. z. B. 23, 25 ff. : kai mes ni penveclcammai

schläit . . läiJcumai | reide Jclausemai \ bhe ?fiukimiimai, 25, 7 ff. :

kai mes nl perweckammai neggi ernerlimai \ Schläit . . .

läikumai | . . sMüstmai | . . . . läikumai^ 25, 15 ff . : kai mes

segge mai schläits . galbimal bhe breiüimii7nai . . . .,

25, 23 ff.: kai mes giwammai usw., 27, 1 ff.: kai

mes ni immimai \ neggi pidimai \ Schläits

galbimai ....

179) Allerdings kommt ein (wohl unrichtiger) gemischter Modusgebrauch bisweilen vor; vgl. 35, 29 f. Kadden Deiv:s

lemlai \ bhe kümpinna „Wenn Gott bricht vnd

hindert".

180) Es gibt ein paar sichere Fälle, wo der Strich über dem Vokal die Geltung eines Nasals hat; s. Bezzenberger BB. 23, 288. Diese Fälle sind aber so wenig zahlreich, dass wir bei irgendwie zweideutigen Formen kaum das Recht haben, den Strich so aufzufassen, und wir stehen auf noch unsichererem Boden, wenn wir dort, wo der Druck emm hat, ein em der Willschen Handschrift ver- muten. Bezzenberger erklärt auf diese Weise die ihm sonst unbequemen Formen giicemmai^ paikemmui^ klantemmai (aaO. 89 f., 118 Fussn. 1).

181) Diese Ansicht kommt mir einfacher und natür- licher vor als diejenige Bezzenbergers (KZ. 41, 118 mit Fussnote 1), nach welcher paikemmai ein vom Setzer miss- verstandenes ^paikemai und po-paikä ein Fehler für "^po-paikü aus "^-paikälit] sein soll; ^-paikü sollte dann zu -paickemai in einem ähnlichen Verhältnis stehen wie billä zu billemai, S. die vorige Fussnote.

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182) Vorläufig stelle ich mich hier auf den Boden der litauischen Konjugation. Unten wird sich ergeben, dass einige von diesen Verben zur indogermanischen äi: ^-Klasse gehören. Auf dieses Problem kann ich aber erst eingehen, nachdem das vollständige Material mitgeteilt ist.

183) Diese Form beweist wenig. Auch stänintei, -i „ste- hend" hat -int-,

184) S. weiter S. 144.

185) S. S. 15 f. Ueber die Quantität des i s. S. 141.

186) Anders Bezzenberger aaO. 102.

187) Ob Akzentverschiebungen dieser Art im Litauischen überhaupt stattgefunden haben, entscheide ich nicht. Die Annahme liegt nahe, dass die von Endzelin und W. Schulze KZ. 44, 50 ff. bezw. 130 f. verzeichneten altlitauischen und dialektischen Formen hiitil^^ hitumbei^ stoios (Dauksza), tartum (2. Ps. S.), hitü (3. Ps.), stojos (Baranowski bezw. Mundart von Dusetos) einen verschobenen Akzent haben, und dann wird die Ursache wohl in der Intonation der jetzt betonten Silbe zu suchen sein. Von einem sekun- dären „Akut" (s. Archiv f. sl. Phil. 36, 373 f.) kann frei- lich kaum die Rede sein. Väharas halte ich wegen des Plurals vakaräl für ein altes Oxytonon (s. Bem. 137); deshalb glaube ich, dass das von Schulze angeführte wakardp eine altertümlichere Betonung hat als wäkaro.

188) IFiJrimans wird zunächst zum Akkus. Sg. wijrw zu stellen sein; auf eine ähnliche Weise ist wohl crix- tiänimans zu beurteilen.

189) S. auch Endzelins Rezension von Bogorodickij's Ocerki po jazykovedeniju i russkomu jazyku. Zurnal Minist. Narodn. Prosve'scenija 1909.

190) Der indogermanische Wechsel äi : ä (aus äi) hat für keinen Indogermanisten mehr etwas Auffälliges, -

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obgleich die Bedingungen, worunter das i schwand, m. E. noch nicht feststehen.

191) Weil immiinai ursprünglich kaum z.ur äi : ^-Klasse gehört hat (s. S. 143 f.), wäre ein anderes Beispiel besser gewesen.

192) Hiermit soll nicht gesagt sein, dass ich jede Form, die von diesen Gelehrten hierhergestellt wird, auf diese Weise fiir richtig gedeutet halte.

193) Oder als Optativ aufzufassen?

194) S. Bezzenberger BB. 26, 171 Fussn., wo dmkaui- mai als eine Form mit analogischem l aufgefasst wird.

195) Die 1. Ps. Sg. auf idg. würde im Pr. *^;;2« oder "^imü lauten.

196) Vgl. turrimai '. turriti', schlnsiinai \ schlüsiti.

197) finim^f'mit^ Ptz.y^i>^?"<? werden sekundäre Formen sein. Anders Endzelin in seiner Rezension von Bogorodickij's Ocerki (zurnal Min. Nar. Prosv. 1909), wo ai. jäuimdh verglichen wird. Die Identität des lett. -im mit dem ai. -im- erkenne ich an; aber in diesem Zeitwort halte ich sowohl das lett. i wie das aind. i für sekundär.

198) Das Griechische verallgemeinerte die Konjugation mit -nä-\ -nd- \ dauvtjui: öatjiva^uev USW., das Altindische die- jenige mit -nä{iy : -nl- : jänämi : jäuimdli usw. Das Urbaltische wird die beiden Klassen deshalb besser auseinanderge- halten haben, weil hier der Diphthong äi als Diphthong erhalten geblieben war; auf griechischem und altindischem Boden veranlasste die Monophthongierung den Zusammen- fall der Hochstufenvokale ä und ü{i).

199) Das u des Infinitivs wird kaum aus ww entstanden sein; zlnoli ist vielmehr ein idg. ^geUü-ü.

200) Von indogermanischem Standpunkte gehört auch -sinnimai hierher. Fürs baltische Sprachgefühl ist es kein ?2-Präsens.

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XXXI

201) In der sekundären Personalendung -rät war der Diphthong wohl bewahrt gebUeben; s. Bern. 198. Ein Mo- nophthong liegt vor in dem Iw^u. anilQÜ. -in dt =\ii.-inoti . In welchen Formen das cd lautgesetzlich monophthongiert war, ist kaum präzis zu sagen, S. Bem. 190.

202) Leskien Der Ablaut der Wurzelsilben im Litaui- schen 432 (170) ff. fasste die Verba auf -inü als eine ur- sprüngliche Denominativklasse auf. Das wird kaum richtig sein. Vgl. über den Ursprung dieser Klasse Porzezinskij K istorii form spr'azenija v baltijskich jazykach 129 ff., wo die Meinungen von Osthoff, Brugmann, Fortunatov und üljanov mitgeteilt werden.

203) Dass imma 1. Ps., ^^-m^^ai 3. Ps. ist, ist ohne Belang. Im Altpreussischen wird ja die 3. Person sehr oft für die 1. Ps. Sg. gebraucht. Ich wüsste sogar keine Form, wo die thematische Endung der 1. Pers. (idg. = \it.-u,-ü-s) mit Sicherheit vorläge. Auch er ü'^^i^ „taufe" ist wohl formell eine 3. Person, keine 1. Person.

204) Nach der Analogie von -al neben -a kann po-tvai- clinnei „bedeutet" (41, 34) neben dem im Texte gleich fol- genden po-ioaklinne (43, 1) entstanden sein. Bezzenberger fasst KZ. 41, 98 diese Formen als '^^'Waidlnnei\t\ bezw. daraus entstandenes "^^-waidmne auf. Daneben hält er für 'VMidinnei die Herleitung aus '^^-waidmeja für möglich, -e liegt ausserdem noch in dem als 3. Pers. PI. gebrauchten en-laipinne „befehlen" und in dem als 1. Ps. Sg. fungierenden taiikinne (zu lesen für iank'mne) „gelobe" vor; es ist also ausgeschlossen, dass po-waidinne einfach ein Fehler ist. [Bei po-waid muei isi mit dieser Möglichkeit zu rechnen.] Deshalb braucht natürlich Bezzen bergers Auffassung noch nicht richtig zu sein, und ich kann dieselbe nicht für plausibel halten, solange noch andere Wege offenstehen, noch abgesehen davon, dass ich ein innerhalb des Preussischen aus -ei entstandenes -e für sehr unwahrscheinlich halte. Und es gibt tatsächlich einen andern Weg; Berneker 212

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hat uns denselben bereits gezeigt. Freilich wird Berneker nicht in allen Punkten recht haben : die S. 222 von ihm ausgesprochene Ansicht, dass taukinne „^ für im Auslaut verkürztes «" habe, beruht auf der unrichtigen Voraus- setzung, dass taiillnne der Form nach eine 1. Ps. Sg. sei; es ist vielmehr eine 3. Ps.; s. die vorige Fussnote. Aber mit vollem Rechte identifiziert Berneker das -e der 3. Pers. Sg. auf -inne mit demjenigen von lue „kriecht". Wie ist nun Ilse zu beurteilen? Bezzenberger KZ. 41, 92, dem Trautmann 279 folgt, fasste Ilse als eine Form nach der /ii-Konjugation auf. Das baltische Präsens wird aber wohl vielmehr mit dem slavischen Präsens abg. Uzq,^lezesl\^^Yi- tisch sein, welches zur ^ ö-Klasse gehört; auch das von Bezzenberger und Trautmann zitierte poln. lezie hat slav. e und nicht je. Ich möchte mit po-waidmne usw. und lise zunächst giweMmai neben yiwammai vergleichen. Ob das e das unveränderte thematische e oder jüngeren Ursprunges ist, entscheide ich nicht. Auf jeden Fall ist das Vorkommen eines e im thematischen Präsens des Preussischen nicht zu leugnen.

205) Nach / scheint auslautendes -a oder -e bereits in der vorhistorischen Periode des Preussischen geschwunden zu sein. Vgl. damit lit. -ijs aus -ijas gegenüber sonst im Frühlitanischen überall bewahrt gebliebenem -as. Wegen des Schwundes eines auslautenden kurzen Vokales in andern Fällen vgl. Neophilologus 2, 108 f., oben S. 77.

206) Auslautendes -ai kommt nur in wenigen Form- kategorien vor. Vgl. hai : l^üigi. S. S. 120 f.

207) Vielleicht eine Präsensform. S. S. 16.

H

^•fi^h, TT. PG

3201+ Altpreussische Studien ,W5

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